Südkorea und die USA verzeichneten ihre ersten Coronavirus-Fälle im Jänner dieses Jahres. In Seoul reagierte man umgehend mit umfassenden Tests und Contact-Tracing. Das Resultat: eine relativ niedrige Infektionsrate. In Washington bewegten Präsident Donald Trump erst dramatische Infektionszahlen zum Handeln – inzwischen haben die USA fast 110.000 Tote zu beklagen. Auch die Tiroler Behörden werden kritisiert, frühe Warnungen über einen Infektionsherd in Ischgl ignoriert zu haben. Trotz der strikten Maßnahmen, die die Regierung anschließend umsetzte, ist das Gros der heimischen Fälle laut der Gesundheitsbehörde Ages auf Versäumnisse im Tiroler Skiort zurückzuführen.

Eines haben wir in den vergangenen Monaten deutlich gelernt: Beim Abflachen von Kurven spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Je länger wir Maßnahmen hinauszögern, desto fataler die Folgen.

Eine Erkenntnis, die sich auf die Klimakrise umlegen lässt. Seit den Achtzigerjahren wissen Politik und Öffentlichkeit, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe die Erderhitzung vorantreibt. So sprach der Präsidentschaftsanwärter George Bush Sr. im Wahlkampf 1989: "Diejenigen, die glauben, wir könnten nichts gegen den Treibhauseffekt unternehmen, vergessen den Effekt des Weißen Hauses."

Menschheitsgeschichte

Letzterer blieb bekanntlich aus: Damals hätte die Emissionskurve jährlich bloß um ein bis zwei Prozent gekrümmt werden müssen. Stattdessen haben wir seit dem Amtsantritt von Bush Senior mehr CO2 in die Atmosphäre gepumpt als die gesamte Menschheit davor. Deshalb braucht es jetzt drastischere Eingriffe, um die Emissionen global um sechs bis sieben Prozent pro Jahr zu senken, sagt der Klimaökonom Karl Steininger vom Wegener Center der Universität Graz.

Heuer könnte uns das – unbeabsichtigt – sogar gelingen: Der weltweite CO2-Ausstoß ist auf dem Höhepunkt der Corona-Maßnahmen zeitweise um rund ein Sechstel zurückgegangen, berechnete ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift Nature Climate Change. Als Anfang April die meisten Emissionsverursacher – gemeint sind insgesamt 69 Länder, die für knapp 97 Prozent aller Emissionen verantwortlich sind – im Lockdown waren, sanken die globalen Tageswerte um rund 17 Prozent. Aufs Jahr gerechnet gehen die Forscher von einem Prozenteinbruch von vier bis acht Prozent aus – je nach Dauer der Maßnahmen. In absoluten Zahlen sei das einmalig in der Menschheitsgeschichte.

Können wir das Klima also per Lockdown retten? "Anders als in der Corona-Krise fordert die Wissenschaft für den Klimaschutz deutlich weniger drastische Maßnahmen, die einen großen Zusatznutzen haben",sagt Steininger. Statt Grenzschließungen, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren wurden im vergangenen Jahr unter anderem folgende Forderungen formuliert: Investitionen in den öffentlichen Verkehr, eine ökologische Steuerreform, eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten, kürzere Wege bei der Raumplanung, höhere Besteuerung von Fleisch und ein Flugverbot bei Kurzstrecken, wo auch die Bahn fährt, unter gleichzeitigem Schutz des Flugpersonals. "Sollten die Weichen für eine fossilfreie Gesellschaft nicht umgehend gestellt werden, setzen wir unsere künftige Freiheit aufs Spiel", mahnt der Klimaökonom. Etwa weil die Emissionen dann durch deutlich radikalere Maßnahmen gesenkt werden müssten oder die Klimaschäden den Handlungsspielraum einschränken.

Nur 17 Prozent

Auch die Zahlen sprechen gegen einen Lockdown zur Reduktion unseres CO2-Fußabdrucks. Schließlich sind die Emissionen "nur" um 17 Prozent eingebrochen, obwohl ein großer Teil der Weltbevölkerung wochenlang das Zuhause kaum verließ, Flugzeuge am Boden blieben und die globale Wirtschaft vielerorts brachlag. Das zeigt vor allem, dass ein großer Teil unseres CO2-Ausstoßes fest in unseren Systemen verankert ist und nicht nur von unseren Gewohnheiten abhängt. Um die Erderhitzung zu stoppen, müssen wir die Emissionen aber auf null herunterfahren, sonst klettert der CO2-Gehalt der Atmosphäre weiter. Wie in einer Badewanne: Auch wenn das Wasser langsamer einläuft, wird sie trotzdem voller.

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Leere Autobahnen in Ohio während des Lockdowns.
Foto: AP/Rodrigo Abd

Also ist auch die Klimawirkung des Corona-bedingten Lockdowns vernachlässigbar: Schließlich werden im Transport- oder Energiesektor keine strukturellen Änderungen durchgeführt. Das verdeutlicht die Luftfahrt: Die Flugindustrie hat derzeit massive Umsatzrückgänge, weil der Flugverkehr durch die Corona-Krise eingebrochen ist. Deshalb haben etwa Austrian Airlines sowie ihre Muttergesellschaft um staatliche Stützen angesucht. Berlin pumpt nun neun Milliarden Euro in die Lufthansa, damit die Fluglinie den gewohnten Betrieb wieder aufnehmen kann. Im Gegenzug für die Hilfen wurden ihr aber keine verbindlichen CO2-Reduktionsziele abverlangt.

Macht des Staates

"Es heißt immer, der Staat sei angesichts der neoliberalen Marktdogmen ohnmächtig", sagt Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien. Doch der Lockdown habe sehr wohl gezeigt, wie handlungsfähig der Staat sei und dass nicht die Wirtschaft das Primat habe. In der Krise habe sich zudem die Bereitschaft der Menschen gezeigt, Verhaltensweisen zu überdenken.

Brand verteidigt damit aber keinesfalls eine Klimarettung per Lockdown: "Das ist keine attraktive Lebensweise." Menschen würden sich in erster Linie für konkrete Verbesserungen ihrer Lebensumstände einsetzen. Das Problem der Klimadebatte sei, dass sie als "Verzichtsdebatte" oder auch als "Zwei-Grad-Ziel-Debatte" geführt werde. Stattdessen gehe es aber um einen Umbau der Lebensweise auf Dauer: Nicht der Verzicht aufs Auto, auf Billigfleisch, auf den Flug nach Malle stehe dabei im Vordergrund, sondern eine grüne Mobilität, eine gesunde Ernährung, ein gutes europäisches Transportsystem und ein regionaler Urlaub.

Freiheit mit Verantwortung

Um dieses Leben attraktiv zu finden, muss man aber sehr wohl den vorherrschenden individualistischen Freiheitsbegriff ersetzen. Dessen Anspruch ist es, weitgehend tun und lassen zu können, was man will. Das sei eng mit dem Einkommen verknüpft, so Brand: viele Flugreisen, großes Auto, Zweitwagen, Haus und Garten auf dem Land. Die Nichteinschränkung des Einzelnen rechtfertige also einen unhinterfragten Konsum. Ein freies Leben in einer freien Gesellschaft bedeutet für Brand aber: nicht auf Kosten anderer und nicht auf die der Natur.

Leere Autobahnen in Polen während des Lockdowns.
Foto: EPA/Darek Delmanowicz

Auch für Eva Horn, die an der Uni Wien an einer Kulturtheorie des Klimas arbeitet, hat "grenzenloser Konsum nichts mit Freiheit zu tun". Die Idee, Freiheit mit Konsum zu verbinden, sei nicht nur sozial ungerecht – nicht jeder könne es sich leisten, nach Lust und Laune zu konsumieren – sie ignoriere auch die ökologischen Kosten vieler Konsumgüter. "Wir denken immer, dass die Dinge so weitergehen wie bisher – und wir glauben daher nicht, was wir eigentlich längst wissen", sagt Horn. Das sei auch in der Corona-Krise so gewesen, Warnungen vor großen Pandemien hatte es seit Jahren gegeben. Genau wie vor dem Klimawandel. Horn schlägt daher ein produktives Verhältnis zur Angst vor: "Wir brauchen keine Angst, die lähmt, sondern eine, die Respekt vor dem Problem erzeugt und uns zum entschlossenen Handeln treibt."

Ob durch Angst oder eine Utopie bewegt: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Politik nur glaubwürdig ist, wenn Worten Taten folgen. Das betrifft nicht nur die Auszahlung von Corona-Hilfen, sondern auch den Klimaschutz. Die Gesellschaft hat gezeigt, dass Freiheit mit Verantwortung einhergehen kann. (Flora Mory, 6.6.2020)