Der einstige Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP, links) überlegte, dem SPÖ-Abgeordneten Krainer "Silberstein"-Methoden vorzuwerfen. Auslöser war Krainers Angriff auf den Großspender Stefan Pierer, der die Politik des ÖVP-Chefs Sebastian Kurz mit über 430.000 Euro unterstützt hat

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War Stefan Pierer ein "Abschleicher"? Bereits 2017 äußerte SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer den Verdacht, dass der millionenschwere KTM-Chef blitzheimlich wie geschwind Gelder aus Liechtenstein nach Österreich transferiert habe, ehe ihm die heimische Finanzbehörde wegen eines neuen Steuerabkommens mit dem Fürstentum auf die Schliche kommen konnte.

Der Millionär wies den Vorwurf von sich. Zwar habe er im Jahr 2013 kurz vor Inkrafttreten eines Steuerabkommens mit Liechtenstein zwei Überweisungen – 10,7 und zehn Millionen Euro – getätigt. Aber: Alle Meldepflichten seien eingehalten, alle Steuern bezahlt worden.

Jetzt zeigen Nachrichten, dass die Vorwürfe gegen Pierer die ÖVP, der er im Jahr 2017 über 430.000 Euro gespendet hatte, alarmiert und Vertreter im Finanzministerium bis zum Minister beschäftigt haben, so eine Recherche von STANDARD, ORF und Profil. Die Chats stammen vom Handy des heutigen Öbag-Chefs Thomas Schmid, der Beschuldigter in der Casinos-Affäre ist – es gilt die Unschuldsvermutung.

"Silberstein"

Aber was genau an den Vorwürfen sorgte anno 2017 für erhöhte Nervosität innerhalb der ÖVP? Pierer ist ein Bekannter Großspender der um ein sauberes Image besorgten Unternehmer-Partei. Dass ausgerechnet der sein Vermögen rechtswidrig vor den fälligen Steuern bewahrt haben soll, hätte im Nationalratswahlkampf 2017 für eine schiefe Optik gesorgt. Das mediale Getöse, so legen es die Handy-Nachrichten nahe, wollte man auf jeden Fall vermeiden. Stefan Steiner, jetzt Chefberater bei Kurz, bat im Finanzministerium um Unterstützung. Man solle doch bitte nachdrücklich Pierers Unschuld attestieren.

Steiner textete Thomas Schmid, zum damaligen Zeitpunkt Finanz-Kabinettschef und Generalsekretär Schmid: "Könntet ihr nicht als BMF (Finanzministerium, Anm.) sagen, dass Pierer nicht auf einer ,Abschleicherliste‘ ist, sondern es um stinknormale Kapitalverkehrskontrollen-Meldepflichten geht?" Der bestätigte per Kurznachricht, dass man das Wort Abschleicherliste "weder gesagt noch so zitiert" habe.

Doch der drohende Pierer-Skandal beschäftigte nicht nur den Kabinettschef – die Sorge schwappte sogar bis zum damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hoch. Der erkundigt sich bei Schmid: "Eigentlich müsste die Bundespartei Krainer auffordern, seinen Informanten zu nennen? Hat Krainer jemanden zum Amtsmissbrauch angestiftet?"

Solle Krainer darauf keine Antwort haben, so schlägt Schelling per SMS eine neue Strategie vor: Man könne dann argumentieren, Krainer übernehme die Arbeit von Silberstein (Anm.: der umstrittene ehemalige SPÖ-Berater wurde 2017 unsauberer Wahlkampf-Methoden bezichtigt). Schmid findet an der Idee offenkundig Gefallen: "Genau – Dirty-Campaigning-Methoden."

ÖVP: SPÖ wollte uns und Pierer "in negatives Licht rücken"

Dem damaligen Wirtschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) schrieb Schmid zuvor, er sei "gerade wegen KTM/Pierer im Einsatz". Auch Monate später beschäftigt Schmid die Causa noch. Er schreibt wieder an die ÖVP-Zentrale, nämlich an Steiner, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft "gegen Verdächtige in der Causa Pierer" ein Verfahren eingeleitet habe.

Jetzt schalten sich auch türkise Mitarbeiter im Justizministerium ein: Rund zwei Wochen später, am 17. Oktober, schreibt ein Kabinettsmitarbeiter des damaligen Justizministers Wolfgang Brandstetter (ÖVP), dass er Sektionschef Christian Pilnacek gesagt habe, er soll "wegen der Pierer Sache (...) ein Auge drauf haben". Schmid repliziert mit: "Cool".

Bei der ÖVP sieht man die Interventionen um mediale Schützenhilfe für Pierer durch das Finanzministerium naturgemäß anders. KTM-Chef Pierer sei erst dann massiv angegriffen worden, als er sich für die ÖVP ausgesprochen habe. Die Anschuldigungen von SPÖ-Finanzsprecher Krainer zwei Wochen vor der Wahl seien ein Versuch gewesen, mit "haltlosen" und "offensichtlich unter Verletzung des Amtsgeheimnisses" gewonnenen Informationen Pierer und damit die ÖVP in ein negatives Licht zu rücken.

Neue Ermittlungen

Am Freitag bestätigte die Staatsanwaltschaft außerdem, neue Ermittlungen gegen Schmid eingeleitet zu haben. Recherchen von STANDARD und Profil zeigen, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bei der Auswertung von Schmids Smartphone-Daten Hinweise auf Delikte im Suchtmittelgesetz fand. Dieser Zufallsfund wurde an die Staatsanwaltschaft Wien weitergeleitet. Schmids Anwalt sagt dazu: "Uns ist bekannt, dass es ein derartiges Verfahren gibt, das allerdings ausschließlich den höchstpersönlichen Lebensbereich meines Mandanten betrifft und nichts mit seiner beruflichen Tätigkeit zu tun hat." Sein Mandant Schmid werde bei den Behörden Stellung nehmen. Er geht von einer Einstellung des Verfahrens aus. Für dieses Delikt drohen bis zu sechs Monate Freiheitsstrafe. DER STANDARD betont, dass das öffentliche Interesse im Faktum der Ermittlungen besteht und die Unschuldsvermutung gilt.

ORF

Neos, FPÖ und SPÖ forderten nach der Veröffentlichung der Recherchen Schmids Rücktritt. Am Abend gab das Finanzministerium auf Anfrage der APA bekannt, dass der Öbag-Aufsichtsrat die Rechts- und Complianceabteilung eingeschaltet hat. Das Finanzministerium sagt dazu: "Wir beteiligen uns weder an Vorverurteilungen, noch an Spekulationen. Selbstverständlich sind stets die zuständigen Stellen zu befassen, wenn Vorwürfe erhoben werden." (Fabian Schmid, 5.6.2020)