Peter Luttenbergers Leben ist gewissermaßen in Schieflage geraten. Wenn sich die Woche dem Ende zuneigt, räumt Luttenberger seinen Kleinbus ein. Nicht mit einem Fahrrad wohlgemerkt, sondern mit etwas mehr PS. Vor sechs Jahren stieg er in die Speedway-Szene ein, fährt Motorrad. "Es ist eine Herausforderung, ein Adrenalin-Kick. Man fängt von null an, braucht Mut, niemand traut einem etwas zu. Erinnerungen werden wach an früher", sagt Luttenberger zum STANDARD.

Es hat gedauert, um von dem Trip, wie es Luttenberger nennt, herunterzukommen. Zwölf Jahre war der mittlerweile 47-jährige Steirer Radprofi. "Man verdient viel, hat aber auch viele Verpflichtungen. Die Teambesitzer und Sponsoren glauben, man gehört ihnen. Man braucht Zeit, um zu lernen, das Leben lockerer zu nehmen und zu entspannen."

Fünfter bei der Tour de France

Juli 1996. Am Hinterrad des Steirers Peter Luttenberger keine Geringeren als der Däne Bjarne Riis, der dem Gesamtsieg bei der Tour de France entgegenradelt, und der Spanier Miguel Indurain (rechts).
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Rückblick, 20. Juni 1996: Luttenberger gewinnt in seiner erst zweiten Profisaison sensationell die Tour de Suisse. Der Deutsche Udo Bölts vergleicht Luttenberger mit Marco Pantani, der italienischen Gemse. Ein anderer Deutscher, der spätere Toursieger Jan Ullrich, versichert, das Potenzial des Mannes längst erkannt zu haben. Im selben Jahr wird Luttenberger Fünfter bei der Tour de France. 60 Kilogramm leicht, 1,74 Meter groß, das für den Radsport entscheidende Verhältnis zwischen Kraft und Gewicht war bei ihm besonders günstig. Immer im Spitzenfeld, verpasste Luttenberger das Podest in Paris nur knapp hinter Bjarne Riis, Ullrich, Richard Virenque und Laurent Dufaux. Woran denkt man eigentlich, wenn man sich auf einen Berg wie Alpe d'Huez hinaufquält? "Auf der Strecke sind 500.000 Zuschauer, mehrere Hubschrauber, 200 Radfahrer, zig Motorräder. Die Seele kann man nicht baumeln lassen. 'Scheiße, ich muss da jetzt rauf' wäre aber der falsche Gedanke."

Die Erfolge brachten dem Steirer einen der damals höchstdotierten Verträge beim niederländischen Team Rabobank ein. "Verglichen zur Formel 1 oder Golf war mein Verdienst trotzdem ein Klacks. Aber das Geld war für mich nie eine Triebfeder, ich wollte ganz nach vorne." An die Ergebnisse des Jahres 1996 kam der Kletterspezialist allerdings nie mehr heran. Im Jahr darauf fuhr er als 13. in Paris ein, 1998 wurde er nicht mehr für die Tour nominiert. Zweimal war er Staatsmeister im Zeitfahren.

Aus dem Niemandsland zum Radprofi

Begonnen hat Luttenbergers Leben auf zwei Rädern dank einer Kuriosität. Die Tante arbeitete in Graz, auf dem Fabrikgelände hatte jemand ein Rennrad über den Zaun geworfen. "Vielleicht war es gestohlen. Es hatte jedenfalls einen Patschen, und die Gabel war leicht verbogen. Das ist Monate dort gelegen, und irgendwann hat meine Tante das Rad mit heim genommen, und ich habe begonnen, damit zu fahren." Luttenberger ist familiär nicht vorbelastet, es gibt keine großen Sportkarrieren in der Verwandtschaft. Der Vater wollte ihm das Radfahren ausreden, "weil da siehst du eh kein Licht". Luttenberger wuchs als Einzelkind auf. "Ich bin aus dem Niemandsland gekommen und Radprofi geworden."

Bereits als 17-jähriger Amateur fährt er im Nationaltrikot Österreichs, als 18-Jähriger wird er Zweiter der Niederösterreich-Rundfahrt, kurz darauf Zweiter der Österreich-Rundfahrt (1992). Mit 20 Jahren wagte er den Schritt nach Italien, eine internationale Karriere war in Österreich nicht möglich. 1995 wurde er schließlich Profi bei Carrera, absolvierte ein Lehrjahr, der Körper musste sich erst an die längeren Renndistanzen gewöhnen. 1996 hat dann "wirklich alles gepasst". Als Radsportler war Luttenberger für seine eiserne Disziplin bekannt, ging mit enormer Härte gegen sich selbst vor. "Man lebt am Limit, faul war ich nie." Trainiert wurde grundsätzlich sechsmal die Woche bis zu fünf, sechs Stunden am Tag. Zum Auslockern wurde aber auch oft am Ruhetag kurz in die Pedale getreten.

Auf einem Weinberg

Luttenberger ist als Radsportler viel herumgekommen.
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Luttenberger ist als Radsportler viel herumgekommen, spricht fünf Sprachen, lebte in Italien, Spanien, mit seiner Ex-Frau in ihrer Heimat Brasilien. Seine beiden Kinder, eine Tochter und ein Sohn, wurden in seiner späteren Wahlheimat Monaco geboren, sind mittlerweile erwachsen und leben heute in in der Steiermark. In seiner Heimatgemeinde St. Peter am Ottersbach hat Luttenberger ein 120 Jahre altes Haus renoviert, das auf einem Weinberg steht. Schon der Großvater produzierte rund 1.200 Flaschen Welschriesling, eine Zeitlang vertrieb Luttenberger selbst hauseigene edle Tropfen.

2010 begab sich Luttenberger auf eine Weltreise. Mit dem Ziel, Bedürftigen vor Ort zu helfen, radelte er von der Steiermark aus Richtung Süden über Griechenland in die Türkei und nach Palästina und sammelte auf dem Weg übers Internet Spenden. In den Jahren darauf folgten auf seiner "United World Tour" Stopps in Kenia, Tansania, Brasilien, Paraguay und Argentinien.

Übersättigung

Heute macht der 47-Jährige zwei- bis dreimal die Woche eine Ausfahrt, aber nur "Spaßdistanzen", also nicht länger als zwei bis drei Stunden. Nach seinem Karriereende stellte er sein Rad für ein Jahr ins Eck, Diagnose: totale Übersättigung. Die Freude kam aber zurück. Es gab nicht wenige Stimmen im Radsportzirkus, die meinten, Luttenberger hätte mehr erreichen müssen. "Ich bin zufrieden mit meiner Karriere, mit meinem Leben, hadere nicht mit mir selbst. Ich wollte als Teenager der beste Radfahrer der Welt werden. Das klingt vielleicht arrogant, aber man darf sich nicht schämen für große Träume. Und dann muss die Arbeit kommen. Wenn man ein Pro-Tour-Rennen gewinnt, wo die besten Fahrer der Welt am Start sind, dann ist man für ein paar Tage der Beste, und das habe ich verwirklicht."

Als Jugendlicher malte sich Luttenberger eine Traumwelt aus, die Realität war freilich eine andere, wo man sich nicht nur am Rad, sondern auch politisch behaupten musste. "Manche Ereignisse waren menschlich enttäuschend, haben mir Schritt für Schritt die Leidenschaft genommen. Es war am Ende nur mehr ein Beruf, das hat sich in den Resultaten widergespiegelt." Krankheiten und Stürze, einmal brach sich Luttenberger beide Ellbogen, taten ihr Übriges.

Blutdoping-Vorwürfe

700.000 Kilometer hat Peter Luttenberger in seiner Karriere abgespult.

Der Tiefpunkt waren Blutdoping-Vorwürfe gegen Luttenberger in seiner Zeit beim Team Rabobank, aus einer anonymen Quelle. "Wenn jemand Fakten auf den Tisch gelegt hätte, wäre ich darauf eingegangen. Aber das war mir wurscht, weil an den Haaren herbeigezogen." Die Anschuldigungen datierten aus den 90er-Jahren, der Hochblüte des Dopings im Radsport. "Es gab Fahrer, die Grauzonen ausgelotet haben, es gab Teams, die gewisse Praktiken unterstützt haben. Es gab aber auch Fahrer, die abgelehnt haben. Und es wurde schon damals extrem viel kontrolliert." Was Luttenberger im Rückblick ärgert, ist, dass "sich manche Journalisten einen Sport daraus gemacht haben, Fahrer in Verruf zu bringen. Wir hatten keine Lobby. Ich kann mich in den Spiegel schauen, habe ein reines Gewissen."

700.000 Kilometer hat Peter Luttenberger in seiner Karriere abgespult, an knapp 2.000 Rennen teilgenommen. 2007 erklärte er seinen Rücktritt. "Radfahren tut immer weh. Man muss auch an einem schlechten Tag mit dem Rhythmus der anderen mithalten. Irgendwann ist der Kopf vom Schmerz geprägt und müde. Der Spaßfaktor lag am Ende im einstelligen Prozentbereich."

Vom Workaholic zum Genießer

Heute ist Luttenberger Privatier, Heimwerker und Motorradfanatiker. "Als Profisportler ist man ein Workaholic. Ich bin danach ein bisschen in ein Loch gefallen, genieße es aber nun sehr, mir mein Leben voll und ganz selbst zu gestalten." Warum er jungen Menschen dennoch zum Radsport rät? "Ich spüre keine Verschleißerscheinung, habe einen Körper wie ein 18-Jähriger. Das kann nicht jeder Sportler sagen nach seiner Karriere. Man kommt in Gegenden, die man so nie sehen würde, erlebt das Leben in höchster Intensität." (Florian Vetter, 29.6.2020)