Unzählige Tiere aus nah und fern tummeln sich auf den kunstvoll illuminierten Seiten. Schafe springen fröhlich durch die stilisierte Landschaft, die Anatomie eines Maulwurfs wird präzise erläutert, gut genährte Katzen widmen sich der Körperpflege.

Dann sind da noch die Lebewesen fremdländischer Lebensräume: Tiger, Elefanten und Hyänen streifen durch die Seiten des Buches.
Aber auch mythologische Fabelwesen feiern ihren Auftritt: der Phönix, der aus der Asche steigt, ein Einhorn darf nicht fehlen und auch ein missmutig blickender Satyr läuft seines Weges.

Der beste Freund des Menschen
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Das Bestiarium von Aberdeen

Das Bestiarium von Aberdeen ist eine reichlich bebilderte Handschrift, die vermutlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Die genaue Urheberschaft ist unbekannt, doch wurde das in Latein verfasste Manuskript über Jahre hinweg in kirchlichen Einrichtungen aufbewahrt, ehe es in die Bibliothek der königlichen englischen Sammlungen gelangte und somit in den Besitz von König Heinrich VIII. Auf welchen Umwegen das Werk in die Hände Heinrich VIII. gelangte kann heute auch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, vielleicht stammte das Bestiarium aus den Beständen eines Klosters.

Die mit Blattgold reich verzierten Seiten weisen darauf hin, dass der ursprüngliche Mäzen, der das Buch in Auftrag geben ließ, wohlhabend genug war, um sich derartige Materialien leisten zu können, so dass die Künstler und Schreiber bei der Herstellung des Manuskripts auch große kreative Freiheit genießen konnten.

Das erstaunliche Werk wurde von der Universität Aberdeen digitalisiert und kann bis ins Detail erkundet werden.

Die anatomisch korrekte Fledermaus
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Bestiarien, die ihren Ursprung in der Antike haben, sind Manuskripte, die Darstellungen von Flora und Fauna enthalten und in der Regel neben jedem Bildeintrag auch eine moralische Geschichte erzählen.
So beginnt das Bestiarium von Aberdeen mit der Schöpfungsgeschichte und geht dann in die Beschreibung von verschiedenen Tieren über.

Sehr spannend sind dabei auch die Informationen zu den einzelnen Abbildungen. Hier als Beispiel der Salamander:

"Der Salamander wird so genannt, weil er feuerfest ist. Von allen giftigen Kreaturen hat er das stärkste Gift. Andere Giftlebewesen töten eines nach dem anderen; er kann mehrere Dinge gleichzeitig töten. Denn wenn er in einen Baum gekrochen ist, vergiftet er alle Äpfel und tötet diejenigen, die sie essen. Wenn es in einen Brunnen fällt, tötet die Stärke seines Giftes zudem diejenigen, die das Wasser trinken. Der Salamander widersteht dem Feuer und kann allein unter allen Kreaturen Feuer löschen. Dieses Tier kann inmitten der Flammen ohne Schmerzen existieren, nicht nur, weil es nicht brennt, sondern weil es das Feuer löscht."

Der feuerfeste Salamander, der auch die Äpfel am Baum vergiftet
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Adam gibt den Tieren ihre Namen
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Die wilden Ziegen
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Der Wolf im Haus
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Mittelalterliche Gadsen
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Die Eule
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Der Phönix erhebt sich aus der Asche
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Der missmutige Pard / Leopard
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Der Elefant und der Drache
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Der sanfte Panther, Freund aller Tiere
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Ein Igel kommt selten allein
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Fleißige Bienen
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Ein verzweifelter Satyr
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Im Kampf gegen wildes Getier
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Die informativen Texte zu den Abbildungen, die ebenfalls über die Website der Universität von Aberdeen abgerufen werden können, weisen darauf hin, dass das Buch durchaus nicht nur für die königliche Elite bestimmt war. Die recht detaillierten Beschreibungen lassen vermuten, dass das Bestiarium auch Verwendung als Nachschlagewerk zur Informationsvermittlung gedient haben dürfte.

In jedem Fall ein mittelalterliches Kleinod, das dank Digitalisierung und exzellenter Aufbereitung durch die Universität Aberdeen online frei verfügbar gemacht wurde. (Kurt Tutschek, 20.6.2020)

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