"Unser Protest ist aus einem unabhängigen Zusammenschluss von Fans entstanden, die Mitglied der 'Gaviões' sind", erzählte Danilo Pássaro, Anführer der Bewegung "Somos pela Democracia" (Wir sind für die Demokratie).

Foto: AFP/NELSON ALMEIDA

Rio de Janeiro/Brasilia – Am Tag, als in Brasilien die Marke von 500.000 Corona-Infizierten überschritten wurde, hatten die Anhänger des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro erstmals Widersacher. Es sind jene, die an der Copacabana regelmäßig das Oberste Gericht, den Kongress und Maßnahmen gegen das Virus kritisieren.

Doch es sind nicht die Demonstranten der Arbeiterpartei, der Gewerkschaften oder der Landlosenbewegung, die sich gegen die Bolsonaristas stellen. Sondern organisierte Fußballfans wie vom Traditionsclub Flamengo Rio de Janeiro, auf deren Plakaten "Wir sind der Widerstand" steht – und die "Nie wieder Diktatur" rufen. Für die Demokratie gingen Fußballfans während der Corona-Pandemie am vergangenen Sonntag auch in anderen brasilianischen Städten auf die Straße, es kam zu Krawallen. Für diesen Sonntag haben die Fans wieder Proteste in Rio de Janeiro, Belo Horizonte und in Salvador, vor allem aber in São Paulo angekündigt.

Unabhängiger Zusammenschluss"

"Unser Protest ist aus einem unabhängigen Zusammenschluss von Fans entstanden, die Mitglied der 'Gaviões' sind", erzählte Danilo Pássaro, Anführer der Bewegung "Somos pela Democracia" (Wir sind für die Demokratie). Die "Gaviões da Fiel" sind die Ultras des SC Corinthians, eines der politisch aktivsten Clubs in Brasilien. "Wir sind alle sehr besorgt wegen der autoritären Eskalation im Land, die der Präsident der Republik legitimiert hat." Von "neuen Stimmen" schrieb die Zeitung "O Globo"; sie füllen das politische Vakuum, das traditionelle politische Organisationen hinterlassen haben.

Und weil es sich dabei um Fußballfans handelte, fiel es Bolsonaro und seinen Anhängern schwer, ihren üblichen Diskurs aufrechtzuerhalten. Der Soziologe Bernardo Buarque de Hollanda von der Fundação Getulio Vargas sagt der Deutschen Presse-Agentur: "Weil es nicht einfach die Roten waren, mussten sie das politische Argument hin zum moralischen verlassen: dass die organisierten Fans gewalttätig sind, Chaos verbreiten." Die Ultras – in Brasilien "Torcidas Organizadas", in Argentinien "Barras Bravas" genannt – sind heute bekannt für ihre Gewaltbereitschaft und bisweilen tödlichen Fehden. Sie entstanden Ende der 1960er Jahre, während der Zeit der Militärdiktatur in Brasilien, allerdings als politische Bewegungen.

Stimmen gegen Bolsonaro

In den vergangenen zehn Jahren haben sich zudem neue Fan-Kollektive mit jungen, gut ausgebildeten Mitgliedern aus der Mittelschicht gebildet, die sich den Kampf gegen die "Elitisierung" des Fußballs, aber auch gegen Homophobie und Rassismus auf ihre Fahnen geschrieben haben. Sie kämpfen nun gegen Bolsonaro und für die Demokratie wie in den 1980er Jahren die "Democracia Corinthiana" gegen die Militärdiktatur und für direkte Präsidentschaftswahlen. Sócrates, Walter Casagrande und andere Spieler trafen Entscheidungen innerhalb des Vereins demokratisch, verbreiteten politische Botschaften auf ihren Trikots und riefen die Fans dazu auf, sich zu engagieren. Sein Stil sei etwas diskreter, sagt Rai, Bruder des 2011 gestorbenen Sócrates.

Der Sportdirektor des FC Sao Paulo und Ex-Spieler von Paris Saint-Germain hat zuletzt jedoch auch die brasilianische Regierung öffentlich kritisiert. Den Präsidenten nannte er unverantwortlich, weil er die Bevölkerung dazu anrege, Maßnahmen zur sozialen Isolierung nicht zu respektieren. Als der Moderator im brasilianischen Fernsehen Rai ermahnte, nur über Sport zu sprechen, sprang Casagrande diesem bei.

Kampf geht weiter

Für den früheren Sócrates-Mitstreiter und heutigen Kommentator sollten Athleten und andere Persönlichkeiten aus dem Sport die Freiheit haben, sich politisch zu positionieren. Inzwischen haben Rai, Casagrande und andere ein Manifest der Sportler zur Verteidigung der Menschenrechte, der Pressefreiheit, der Vielfalt und der Demokratie veröffentlicht.

Den organisierten Fußballfans haben sich Politiker und Parteien angeschlossen. So kündigte der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Guilherme Boulos, seine Teilnahme an den Demonstrationen in São Paulo am Sonntag an. Die Arbeiterpartei von Ex-Partei Luiz Inácio "Lula" da Silva gab ihre Unterstützung bekannt.

"Wir waren schon dazu eingeladen worden, an Aktionen teilzunehmen, aber hielten es nicht für angebracht, die Leute dazu zu bewegen, das Haus zu verlassen", sagte der Journalist Lian Toja von der Fan-Gruppe "Botafogo Antifascista" und betonte: "Wir können extreme Rechte nicht die Straße dominieren lassen." (APA/dpa, 7.6.2020)