Höhere Anforderungen in Sachen Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl, Wetterkapriolen oder der Kampf um jeden Cent für ihre Produkte: Die Sorgenliste der Landwirte und ihrer Vertreter ist lang. Die neuen Pläne der EU, die Landwirtschaft grüner zu gestalten, könnten die Betriebe noch stärker unter Druck setzen, fürchten viele. Die EU-Kommission will bekanntlich einen tiefgreifenden Wandel zu mehr Nachhaltigkeit herbeiführen. Am Montag will der kroatische EU-Ratsvorsitz den Landwirtschaftsministern die "Vom Hof auf den Tisch" genannte Agrarstrategie Brüssels im Rahmen des Green Deals schmackhaft machen. Ziel ist es unter anderem, die Lebensmittelproduktion auf neue Beine zu stellen. Die Wunschliste ist lang: Halbierung des Pestizideinsatzes, Einführung eines Nährwertlogos auf Lebensmitteln, deutliche Reduktion des Einsatzes von Antibiotika für Nutztiere, mehr Biofläche in Europa – all das bis 2030.

Ausgaben verfehlen Ziel

Umsteuern hält auch der EU-Rechnungshof für geboten. Bislang konnte die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) den Rückgang der Artenvielfalt nicht aufhalten, monieren die Prüfer in einem Bericht. Trotz spezifischer GAP-Maßnahmen gehe die Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen zurück. Ein Großteil der GAP-Finanzierungen hätte wenig positive Auswirkungen auf die Biodiversität, lautet die Kritik. Viele Baustellen also.

Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, soll die Landwirtschaft ergrünen. Bauern müssten einiges ändern.
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In den Hintergrund gerückt ist mit dem Handelsabkommen der EU mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten eine andere Baustelle. Auch sie betrifft die Landwirtschaft. Nicht nur Österreich bremst hier vor allem in Sachen Liberalisierung von Agrarhandel. Frühestens Ende 2020, eher 2021 dürfte der Pakt den Regierungen zur Abstimmung vorgelegt werden.

Für den Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger ist die Zurückhaltung durchaus begründet. Binswanger beschäftigt sich mit der Frage, was die Globalisierung für die Landwirtschaft bedeutet. "Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel" lautet der Schluss, den der Ökonom in seinem gleichnamigen Buch zieht.

Freihandel sei nicht grundsätzlich schlecht. "Aber es gibt ein paar Bereiche, wo es nicht das Wichtigste ist, dass man dort produziert, wo es am billigsten ist", sagt Binswanger im STANDARD-Gespräch. Bei der Landwirtschaft gebe es weitere Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen – multifunktionale Leistungen wie Versorgungssicherheit, Ökologie oder der Erhalt der Kulturlandschaft. Gute Gründe, wie Binswanger findet. Das gelte für Länder wie Österreich und die Schweiz gleichermaßen: "Nahrungsmittel kann man anderswo billiger produzieren."

Ohne Direktzahlungen (Subventionen) hätten viele Bauern nach Deckung aller Kosten gar kein Geld mehr übrig, sagt der Ökonom Binswanger. Ohne Subventionen könne der Bauer vom Verkauf seiner Produkte nicht leben, so produktiv könne er in Ländern wie Österreich oder der Schweiz gar nicht sein.
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Binswanger zerpflückt ein historisches Beispiel, das gemeinhin als Beleg dafür gilt, dass Freihandel den Wohlstand vergrößert. Der Ökonom David Ricardo veröffentlichte 1817 seine Theorie der komparativen Vorteile, die besagt, dass Menschen weltweit in mehr Wohlstand leben könnten, gäbe es keine Handelsschranken und könnten Güter und Dienstleistungen ungehindert von einem Land ins andere gelangen.

Das von Ricardo zitierte Beispiel eines Vertrages zwischen England und Portugal zeige aber, wie Freihandel Schaden anrichten könne. Grundlage ist der Methuenvertrag aus dem Jahr 1703. Damit mussten sich die Portugiesen verpflichten, das zum Schutz ihrer Industrie erlassene Importverbot von englischem Tuch aufzuheben.

Die Engländer senkten dafür die Zölle für portugiesischen Portwein. Ricardo nahm an, dass Portugal Wein und Tuch effizienter produzieren könne. Konzentriere sich Portugal auf Wein und England auf Tuch, würde insgesamt von beidem mehr produziert, wovon dank des Handels beide Länder profitieren. So war es aber nicht, rechnete der Ökonom nach. Ein Großteil der Textilarbeiter wurde nicht Winzer, sondern arbeitslos. Der Vertrag kam den Engländern zugute, denen es gelang, die portugiesische Tuchindustrie zu vernichten und Tuch nach Portugal zu exportieren.

Es geht nicht darum, möglichst viele Kalorien selbst zu produzieren, sagt der Ökonom, sondern möglichst viele gesunde und ökologische Kalorien. Möglichst viele Kalorien würden eine intensive Landwirtschaft bedingen, wo man alle Kühe auf Hochleistung trimmt. Das widerspreche aber etwa dem Tierwohl.
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Welchen Schluss zieht Binswanger daraus? Die Landwirtschaft sei eben nicht zu behandeln wie andere Güter, fordert Binswanger. Im Rahmen von Mercosur etwa könne man durchaus über Höhe und Art des Schutzes verhandeln. "Aber es muss der Grundsatz gelten, dass die Landwirtschaft weiter geschützt wird."

Einen grundsätzlichen Widerspruch sieht Binswanger schon. Auf der einen Seite erhalte man die Landwirtschaft aufgrund der Erbringung von multifunktionalen Leistungen und versuche, die Direktzahlungen immer ausgeklügelter anzupassen, "man bekommt zum Beispiel Zahlungen für hochständige Bäume, Hecken oder Ställe mit Freilauf. Auf der anderen Seite sagt man aber, die Bauern müssen produktiver werden und sich dem Markt anpassen." Das würde allerdings heißen, sich auf wenige Massenproduktionsbetriebe zu konzentrieren, die das Tierwohl hintanstellen und das Landschaftsbild vernachlässigen, so der Ökonom: "Man kann nicht eine hochproduktive Landwirtschaft wollen, die gleichzeitig idyllisch, nachhaltig und tiergerecht ist." (Regina Bruckner, 7.6.2020)