Schon lange bevor der österreichische Staat aufgrund der Corona-Krise in großem Ausmaß in das Wirtschaftsgeschehen eingegriffen hat, zeigte sich in der Befragung von Jugendlichen in ganz Österreich, dass diese eine ausgeprägte Vorstellung vom "starken Staat" haben. Nicht nur in persönlichen Interviews, sondern auch in Fragebogenerhebungen werden dem Staat Aufgaben und Kompetenzen zugeordnet, die er in unserer Wirtschaftsordnung gar nicht hat. So ist die Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler zum Beispiel davon überzeugt, dass der Staat bestimmt, was importiert und was exportiert wird. Dass der Staat festlegt, wie viel man verdient und wie hoch die Preise im Geschäft sind, auch davon sind einige fest überzeugt. Klingt, als hätten die Jugendlichen eher planwirtschaftliche Vorstellungen von der österreichischen Wirtschaft.

Wie wird Marktwirtschaft vermittelt?

Ist die Marktwirtschaft für unsere Jugendlichen also ein Ufo, ein "unidentified foreign object"? Was lernen sie über die soziale Marktwirtschaft in Österreich im Schulunterricht; was können sie überhaupt darüber wissen? Keine unwesentlichen Fragen, denn "wer den Charakter der Wirtschaftsordnung, in der er lebt, arbeitet, konsumiert, wählt oder unternehmerisch tätig ist, nicht versteht, wird nur unzureichend wirtschaftliche, arbeitsweltliche und politische Sachverhalte beurteilen können", so die Ökonomen Hans Kaminski und Katrin Eggert. Und Urteilsfähigkeit sowie Mündigkeit sind wesentliche Bildungsziele.

Es gibt verschiedene Wege, sich diesen Fragen zu nähern. Man könnte Unterricht beobachten und Lehrerkräfte sowie Schülerinnen und Schüler befragen. Oder man wirft einen Blick auf die Materialien, die den Unterricht maßgeblich beeinflussen: die Schulbücher. Sie stellen in vielen Fällen heimliche Lehrpläne dar, weil Lehrerinnen und Lehrer mit den Schulbuchinhalten oftmals besser vertraut sind als mit den gesetzlich vorgegebenen Lehrplaninhalten.

So analysierten meine Mitarbeiterin Julia Szoncsitz und ich Schulbücher für Geografie und Wirtschaftskunde (GWK) in der Sekundarstufe I, das heißt für die Zehn- bis Vierzehnjährigen in der 5. bis zur 8. Schulstufe, da der Lehrplan laut Bildungsministerium für diese Schulstufen bereits eine Behandlung von Markt und Marktwirtschaft vorsieht. Da es zu der Auflagenstärke unterschiedlicher Schulbuchreihen in den österreichischen Schulen der Sekundarstufe I keine offiziellen Informationen gibt, fragten wir verschiedene GWK-Lehrende, welche Schulbücher häufig eingesetzt werden, und wählten davon ausgehend Bücher unterschiedlicher Verlage und damit Texte unterschiedlicher Autorenteams, in Summe vier Schulbuchreihen zu jeweils vier Büchern mit insgesamt etwa 2.000 Seiten. Wir analysierten alle Textstellen, die den Begriff Markt oder Abwandlungen davon enthielten, sowie den Kontext, in dem sie auftauchten.

Das Konzept "Markt" im ökonomischen Sinn kann nicht verstanden werden, wenn man nur das Bild eines Supermarkts vor Augen hat.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Keine Beschreibung des Wirtschaftssystems

Insgesamt zeigt die Analyse der vier Schulbuchreihen, dass die Konzepte Markt und Marktwirtschaft kaum behandelt werden, obwohl sie zentral für das Verstehen des Wirtschaftssystems sind, in dem die Schülerinnen und Schüler leben und dessen Teil sie als Wirtschaftsteilnehmer sind.

Die Marktwirtschaft wird zwar an einigen wenigen Stellen in den vier Schulbuchreihen thematisiert, aber ohne tatsächliche Erklärung, was eine Marktwirtschaft kennzeichnet. Dass diese ein Modell darstellt, das in der Realität in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vorkommt – mit mehr oder weniger staatlichem Einfluss, mit stärker oder schwächer ausgeprägter sozialer oder ökosozialer Orientierung –, kann man in keinem einzigen der analysierten Bücher nachlesen. An keiner einzigen Stelle wird die soziale Marktwirtschaft als das in Österreich realisierte Wirtschaftssystem beschrieben.

Da man so wenig findet, ist das Wenige rasch zusammengefasst. In drei der vier Schulbuchreihen wird die Marktwirtschaft im Kontext der USA, des ehemals geteilten Deutschlands oder in Zusammenhang mit der Transformation in Russland thematisiert. Da die kommunistischen Systeme in der DDR und in der UdSSR nicht aufrechterhalten werden konnten, kam es zur Entwicklung von marktwirtschaftlichen Systemen. Punkt, aus, Ende. Mehr erfährt man hier nicht.

In einer Schulbuchreihe findet sich für die dritte Klasse allerdings eine Doppelseite zur Marktwirtschaft. Die Überschrift lautet: "Marktwirtschaft durchschauen". An dieser Stelle kann man noch hoffen, dass mit der Wortwahl "durchschauen" vor allem "verstehen" und "begreifen" gemeint ist. Diese Hoffnung wird auf den beiden Seiten aber enttäuscht. Diese behandeln nämlich im Wesentlichen vier Themen: die Wirkung der Werbung auf die Konsumenten, Tricks im Verkauf, die Inflation und die Frage, ob der Euro ein "Teuro" sei.

Bei dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung ist es wenig erstaunlich, dass man auf dieser Doppelseite über Marktwirtschaft ganz ohne das Wort "Marktwirtschaft" im Fließtext auskommt. Ja, auch der Markt selbst wird nicht erwähnt; kein einziges Mal findet sich dieser Begriff auf der Doppelseite. Dort wird vielmehr das Bild gezeichnet, man sei als Konsument der Beeinflussung durch Werbung und Verpackungstricks der Unternehmen ausgesetzt. Das wäre wohl selbst dann ein sehr einseitiges Bild, wenn die Überschrift "Konsumentenschutz" lauten würde. Leider findet man auch keine Antwort auf die "Euro-Teuro-Frage", obwohl ein Blick auf die Inflationsraten der Zeit vor der und nach der Euro-Einführung diese Frage leicht beantworten könnte. Und was Inflation überhaupt mit der Marktwirtschaft zu tun hat (als ob Inflation ein Wesensmerkmal von marktwirtschaftlichen Systemen wäre!), bleibt offen.

Was lässt sich aus den analysierten Schulbüchern also nicht lernen?

Zunächst wird keine Vorstellung davon vermittelt, was man überhaupt unter einem Markt versteht – und zwar nicht alltagssprachlich, sondern im ökonomischen Kontext. Das hängt damit zusammen, dass sich die knappen Erklärungen von Markt häufig auf kleine Märkte als lokal anzutreffende Plätze wie einen Supermarkt oder einen Flohmarkt beziehen. An anderer Stelle wird dann plötzlich vom Weltmarkt gesprochen, allerdings ohne weitere Erklärung, was das eigentlich ist.

Die Idee des Markts als Zusammentreffen des gesamten Angebots und der gesamten Nachfrage nach einem Produkt oder einer Dienstleistung – unabhängig von einem physischen Ort – kann so nicht nachvollziehbar vermittelt werden. Vielmehr bekommt man den Eindruck, der Markt für Jeans und T-Shirts sei der Laden, in dem man sich ebendiese Sachen kauft. Dass der Laden zwar ein Element davon ist, dass ich selbst als Nachfrager auch ein Element davon bin, dass es aber beim Markt um viel mehr geht als das, dass es dementsprechend verschiedene Märkte gibt, die verschiedene Funktionen erfüllen: Fehlanzeige. Wenn die Jugendlichen nur diese Information aus den Büchern haben, was verstehen sie dann, wenn sich jemand kritisch über den Markt oder das Marktgeschehen äußert? Können sie an der Diskussion darüber konstruktiv teilnehmen?

Noch weniger als über den Markt lernt man in den analysierten Schulbüchern über marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnungen. Keine Rede von eigenverantwortlicher Wahl von Ausbildung, Beruf und Arbeitsplatz, je nach Fähigkeiten und Interessen, keine Rede von Privateigentum und den eigenverantwortlichen Entscheidungen, welche Güter angeboten beziehungsweise welche Güter von wem nachgefragt werden. Keine Rede von verschiedenen Ausprägungen der Marktwirtschaft, in denen soziale und ökologische Überlegungen berücksichtigt werden. Und vor allem: Keine Rede davon, welche Wirtschaftsordnung in Österreich herrscht und warum – und was das für die Wirtschaftsteilnehmenden und damit für uns alle bedeutet.

Wie können Jugendliche urteilsfähige und mündige Bürgerinnen und Bürger werden, wenn diese Informationen in den für den Schulunterricht zugelassenen Schulbüchern keinen Platz haben? Wie kann man erwarten, dass sich Jugendliche eine eigene Meinung bilden, die durchaus kritisch sein kann und soll, wenn sie nicht kennen und verstehen, worüber sie sich eine Meinung bilden könnten? Es ist Zeit, dass das Ufo landet, damit die nächste Generation lernen und verstehen kann, worum es hier eigentlich geht. (Bettina Fuhrmann, 9.6.2020)

Foto: privat

Bettina Fuhrmann ist Professorin für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien und Vorständin des Instituts für Wirtschaftspädagogik. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Wirtschaftsbildung mit dem Schwerpunkt Finanzbildung, Wirtschaftsdidaktik, Kompetenzentwicklung, Unterrichtsqualität und -evaluation.