Der Tod von George Floyd und Black Lives Matter, hier wird in New York demonstriert, haben die Arbeit amerikanischer liberaler Medien in ein Minenfeld verwandelt.

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Der Chef der Meinungsseite der "New York Times" musste zurücktreten, nachdem auf seiner Seite der Kommentar eines erzkonservativen Senators erschienen war, der darin forderte, dass US-Soldaten gegen die Ausschreitungen rund um die Anti-Rassismus-Proteste eingesetzt werden. "Send in the Troops" von Tom Cotton löste online einen typischen Shitstorm aus, der James Bennet, einen der Topjournalisten des einflussreichsten Mediums der USA, den Job kostete.

Tatsächlich strotzte der Kommentar vor bösartigen Unterstellungen und Unwahrheiten. Aber er spiegelte eins zu eins die Meinung von US-Präsident Donald Trump wider – und auch die eines bedeutenden Teils der amerikanischen Gesellschaft. Deshalb entschieden die Meinungsredakteure der "New York Times" sich auch für die Veröffentlichung, deshalb verteidigte Herausgeber A.G. Sulzberger die Entscheidung zunächst. Doch der öffentliche Druck von einem bestimmten Leserpublikum war zu stark.

Menschenleben und Gebäude

Am Tag davor hatte der Chefredakteur des "Philadelphia Inquirer" seinen Schreibtisch räumen müssen, weil er die Überschrift "Buildings Matter, Too" ("Gebäude sind auch wichtig") zugelassen hatte, was als Verharmlosung der rassistischen Polizeigewalt gesehen wurde. Dort waren es die internen Proteste von dutzenden, meist afroamerikanischen Journalistinnen und Journalisten, die den Ausschlag gaben.

Der Tod von George Floyd und Black Lives Matter haben die Arbeit amerikanischer liberaler Medien in ein Minenfeld verwandelt. Journalistische Entscheidungen, die in anderen Zeiten als Ausdruck der Meinungsvielfalt oder stilistischer Kreativität betrachtet worden wären, lösen nun eine Empörung aus, die vielversprechende Karrieren beenden kann. Damit geht auch ein wichtiges Stück Liberalität und Meinungsfreiheit im öffentlichen Diskurs verloren. Die Political Correctness hat Vorrang.

Trumps Dauerhetze

Daran tragen auch Trump und seine Dauerhetze auf Twitter viel bei. Liberal gesinnte Leser wollen in ihren Medien nichts sehen, was sie an die grausame Rhetorik des verhassten Präsidenten erinnert. Aber gerade der Cotton-Kommentar brachte auch Argumente, die auch in der Protestbewegung angehört werden sollten.

Auch die Kolumne der Architekturkritikerin im "Philadelphia Inquirer" war sauber argumentiert und in keiner Weise verharmlosend – und die Überschrift etwas zu pointiert, aber sicher kein Skandal. Die Verwüstung von schwarzen Stadtvierteln fällt letztlich wieder auf die Menschen zurück, denen die Demonstranten helfen wollen. Dass ein solches Wortspiel unzulässig wird, ist ein Alarmzeichen für eine offene Gesellschaft.

Journalistische Werte spielten bei den Personalentscheidungen der Zeitungschefs kaum eine Rolle. Vielmehr wollten sie Ärger vermeiden – und gaben dafür einem virtuellen Mob nach. Das rechtfertigt in keiner Weise die Attacken von Trump und Co gegen die "Fake News Lamestream Media", wie die freie Presse tagtäglich beschimpft wird. Aber es verstärkt das Bild einer Parteilichkeit in den Redaktionen und einer fehlenden Bereitschaft zum Diskurs. So tragen auch die Kritiker des Präsidenten zur Trumpisierung der USA bei. (Eric Frey, 8.6.2020)