Die Anwesenheit von Menschen hat vielfältige Auswirkungen auf Wildtiere. Wie Jagd und die Zerstörung natürlicher Lebensräume Tiere in Bedrängnis bringen, wurde schon in vielen Studien zu unterschiedlichen Spezies untersucht. Wenig erforscht ist dagegen, wie der Kontakt zu Menschen das Sozialleben von Wildtieren beeinflusst. Dieser Frage sind Biologen nun am Beispiel von Giraffen in Tansania nachgegangen. Wie sie im "Journal of Animal Ecology" berichten, sind die Folgen enorm: Giraffen gehen in der Nähe von Menschen weniger starke Bindungen miteinander ein und interagieren insgesamt mit weniger Artgenossen.

Massai-Giraffen sind soziale Tiere. Leben sie in der Nähe von Menschen, verringern sie aber die Kontakt zu Artgenossen.
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Für ihre Studie beobachtete das internationale Forscherteam 540 Massai-Giraffenweibchen aus zahlreichen unterschiedlichen sozialen Gruppen über sechs Jahre hinweg. Die Tiere leben im Tarangire-Ökosystem in Tansania in unterschiedlicher Nähe zu menschlichen Siedlungen. "Es ist eine Herausforderung, zwischen natürlichen und vom Menschen verursachten Einflüssen auf die sozialen Beziehungen zwischen Wildtieren zu unterscheiden", sagte Monica Bond von der Universität Zürich, Erstautorin der Studie.

Giraffendamen unter sich

Die Auswertung der umfangreichen Datensammlung brachte neue Erkenntnisse über die sozialen Beziehungen der Tiere: Die Weibchen leben in einer komplexen mehrschichtigen Gesellschaft – wobei jedes Tier die Gesellschaft einiger Artgenossinnen vorzieht, während es andere meidet. Das Ergebnis sind klar voneinander abgegrenzte soziale Gruppen, die etwa 60 bis 90 Weibchen umfassen und sich kaum durchmischen, selbst wenn sie im selben Gebiet leben. "Die Studie zeigt, dass die soziale Strukturierung ein wichtiges Merkmal weiblicher Giraffenpopulationen ist", sagte Studien-Ko-Autorin Barbara König von der Universität Zürich.

Die Analyse ergab aber auch, dass die sozialen Netzwerke Anzeichen von Störungen aufweisen, wenn die Giraffengruppen in Kontakt mit Menschen kommen: In der Nähe von traditionellen Dörfern der einheimischen Massai bildeten die einzelnen Giraffen weniger starke Bindungen untereinander aus und interagierten mit insgesamt weniger Individuen. "Dieses Ergebnis deutet auf ein gestörtes soziales Umfeld hin, das die Muster früherer experimenteller Forschung widerspiegelt", sagte Studienleiter Damien Farine vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Sicherheit vor Raubtieren

Die Forscher vermuten, dass die Giraffen in der Nähe der Dörfer öfter auf Vieh und Menschen treffen, was zur vermehrten Aufsplitterung der Gruppen führen könnte, obwohl die Massai die Giraffen tolerieren. Diese Störung der Sozialstruktur könnte – neben der Wilderei und dem Verlust von Lebensraum und Nahrungsangebot – mit ein Grund dafür sein, dass die Population der Massai-Giraffen in den letzten Jahren um 50 Prozent zurückgegangen ist.

Weitere Untersuchungen zeigten, dass sich Weibchen mit Kälbern eher in der Nähe der traditionellen Dörfer aufhielten – möglicherweise, weil die Jungen dort besser vor Angriffen durch Löwen und Hyänen geschützt sind. "Es scheint, dass weibliche Giraffen mit einem Kompromiss zwischen der Aufrechterhaltung wichtiger sozialer Bindungen und der Verringerung des Risikos für ihre Kälber konfrontiert sind", so Bond. (red, 12.6.2020)