Zweimal Düsternis, aber auf sehr unterschiedliche Weise: Neues von Farce und Regis gehört zu unseren aktuellen Musikempfehlungen.

Foto: Gabriela Kielhorn / privat

Curtis Stigers – Gentleman

Curtis Stigers' Album Gentleman (Universal) stellt uns einen relaxten Dandy vor, der mit rauer Stimme zurückgelehnt zwischen Rhythm & Blues und Jazz changiert. Seine vokale Erzählkunst zelebriert Entschleunigung, Emotion wird unaufgeregt vermittelt – und wirkt darum besonders eindringlich. Hier schwingt der melancholische Blick auf ein schon mit Erfahrung gesättigtes Leben, das allerdings nicht in Bitternis ertränkt wirkt. Dazu unparfümierte edle Songs und jazzige Soli, die Stigers als profunden Tenorsaxofonisten zeigen. Angenehm nachdenkliche Kunst, bisweilen nahe bei Meister Dr. John, dann wieder bei Poet Randy Newman. (tos)

Changierend zwischen Rhythm & Blues und Jazz: der Dandy Curtis Stigers.
CurtisStigersVEVO

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Wolfgang Haffner – King of Tango

Der jazzige Schlagwerker Wolfgang Haffner widmet sich dem "traurigen Gedanken, den man tanzt", also dem Tango. Mit delikater Jazzband versucht er nicht, die emotionspralle Stilistik an Emphase zu übertrumpfen. Er begibt sich quasi in eine imaginäre Bar, in der die Zeit so langsam verstreicht, dass sanfte Töne gemütlich durchatmen können. Da hier jedoch versierte Solisten am Werk sind, wird schon mal gezeigt, was extrovertierte Intensität sein kann. Exemplarisch bei Piazzollas Klassiker Libertango. Edle, friedvolle Kammermusik, die jederzeit vom apollinischen in den dionysischen Gestus wechseln kann, um es einmal emphatisch mit den Worten Friedrich Nietzsches zu sagen. So viel Zeit muss sein. (tos)

Edle, friedvolle Kammermusik von Wolfgang Haffner.
Wolfgang Haffner - Topic

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Farce – Trauma Bounce

Wenn die Depression pumpt wie eine dicke Bassdrum, dann ist es Zeit für die Musik von Veronika König alias Farce. Müsste man dem Genre einen Namen geben, würde man es wohl Industrial Dancepop nennen müssen: Die quirlige Traurigkeit einer frühen Robyn und die verzerrte Wut von Nine Inch Nails lassen sich offensichtlich kombinieren, Chapeau! 2018 veröffentlichte die Wahlwienerin ihr ausgezeichnetes Debütalbum Heavy Listening, Ende Juni wird eine EP namens Trauma Bounce, die vier Tracks umfasst, folgen. Einer davon ein wunderbares Cover des Sixpence-None-The-Richer-Klassikers Kiss Me. Sommerhit-Potenzial hat gleich die erste Nummer: (If You See Me Around) Don't Come – wenn es halt nieselt. (abs)

Die erste Single-Auskoppelung der EP: "Subway Surfer".

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Dead Sheeran – Things Were Better in the Eighties

Unter dem geschmackvoll gewählten Namen Dead Sheeran veröffentlicht nämlicher Brite demnächst sein Debütalbum. Soziale Distanz ist darauf ein Thema, aber nicht wegen Corona, sondern wegen einer generellen Mieselsucht, für die das Hier und Jetzt jede Menge Anlässe bietet. Dementsprechend heißt einer der Appetizer auf den im Juli erscheinenden Longplayer Things Were Better in the Eighties. Mit Mikro und Laptop wird schlappe Bassmusik gebaut und Beschwerde geführt. Die Resultate klingen nach den Sleaford Mods ohne Pfeffer in der Sitzspalte und mit mindestens einer Gehirnwindung zu wenig. Lustig? Natürlich. Ich bin ein Verlierer, Baby, warum chillst du mich nicht? (flu)

Mieselsüchtig.
Dead Sheeran

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Detlef Diederichsen – Volkskunst aus dem Knabengebirge

Noch bevor Detlef Diederichsen im Windschatten seines Bruders Diedrich beim deutschen Popkulturmagazin Spex ein integrer Missionar für Country, Western und ähnlich Unpopuläres wurde, nahm er 1982 ein verwegenes Werk unter eigenem Namen auf. Verführerisch Volkskunst aus dem Knabengebirge genannt, orientiert sich der darauf befindliche deutschsprachige New Wave an kantigen Vorbildern aus Übersee, an der No Wave der zweiten und dritten Reihe. Der heute als "Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater im Haus der Kulturen der Welt in Berlin" sein Geld verdienende 60-Jährige (v)ergeht sich darauf im Sprechgesang an Themen wie Wahrhaftige kleine Musik, Pissnelke 2000 oder Helmut hört heiße Hits – Anfang Juli wird dieses wenig bekannte Werk wieder aufgelegt. Warum? Ja warum denn nicht? (flu)

Verwegen!
doubtbeat

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Regis – Hidden In This Is The Light That You Miss

Der britische Produzent Karl O'Connor steht seit drei Jahrzehnten für eine harte, düstere Form von Techno. Sie hat vor allem mit Körperspannung und perkussiven Einflüssen aus dem Industrial zu tun. Mit seinem Label Downwards Records und unter Signets wie British Murder Boys oder Sandwell District produzierte er gemeinsam mit Kollegen wie Surgeon hypnotische Musik, die den Einflüssen aus House ebenso nahestand wie dem Schrottplatzsound von 23 Skidoo, Test Department oder den Einstürzenden Neubauten. Dazu gesellten sich zwingende Sequencersounds von DAF und Cabaret Voltaire aus den frühen 1980er-Jahren. Hidden In This Is The Light That You Miss, seine erste Soloarbeit als Regis seit Penetration von 2001, wurde dementsprechend im Berliner Studio der Neubauten mit deren Tonmeister Boris Wilsdorf aufgenommen. Zwischen all den muskulösen Bass- und harschen Stahlplattensounds macht sich zwischendurch aufkeimende Altersmilde im Sinne von Pausen zum Durchatmen breit. (schach, 16.6.2020)

Muskulöser Bass mit Atempausen.
Acidalia