Am Computer simuliert, aber nun wird tatsächlich gewerkt.
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Fast drei Monate lang mussten die Pariser Kirchenbauer Däumchen drehen. Im März wollten sie mit Räumungsarbeiten beginnen, um die bei einem Brand am 15. April 2019 schwer beschädigte Kathedrale Notre Dame von Grund auf zu restaurieren. Doch dann ordnete Präsident Macron den Corona-Lockdown an. Immerhin: In den letzten Wochen hatten die Renovierer wenigstens Zeit, die gefährliche Operation am Computer bis ins Detail durchzuspielen. Denn an den Mauern der Kathedrale hängt immer noch das Metallgerüst jener Renovierungsarbeiten, im Zuge derer womöglich ein Kurzschluss das uralte Holzgebälk entzündet hatte.

Probleme mit dem Gerüst

Die Hälfte dieses Gerüsts schwebt 40 Meter hoch über dem Kirchenschiff. Die 40.000 teilweise geschmolzenen Metallteile wiegen wohl mehr als 200 Tonnen. Sie wurden nach dem Brand ihrerseits durch Stahlpfeiler gestützt. Die Architekten sind aber trotz aller Computersimulationen nicht völlig sicher, ob dieses Mikado aus ineinander verkeilten Eisenstangen nicht selbst dazu beiträgt, die havarierten Steinmauern und Gewölbe der Basilika zu stützen. Es abzutragen könnte deshalb zum Einbruch der Kirche oder von Teilen davon führen, räumte Chefkoordinator Jean-Louis Georgelin ein.

Ab heute, Dienstag, werden Kletterteams in Gondeln zum Brandherd abgeseilt. Sie sollen die Eisenstangen eine nach der anderen mit Kreissägen loslösen. Ein 80 Meter hoher Kran soll die Gerüstteile entfernen. Die Experten sind mit Kameras ausgerüstet, damit die Koordinatoren die Operation live auf dem Bildschirm verfolgen können. Auch wenn das Vorgehen riskant ist, sind die Einsatzteams froh, endlich zur Tat schreiten zu können.

Zahlreiche Zaungäste versammelten sich schon am Montag auf dem Kathedralenvorplatz. Einzelne falteten die Hände zum Gebet – wohl um für glückliche Arbeiten in dem 850 Jahre alten Gotteshaus zu beten.

Das Leben beginnt wieder

Für Frankreich fällt die Wiederaufnahme der Notre-Dame-Renovierung auch mit einer Lockerung der Corona-Maßnahmen zusammen. Langsam beginnt in Paris wieder das Alltagsleben. Dass sich über der Ruine wieder Krane drehen und Metallsägen kreischen, wird als Zeichen eines Neubeginns empfunden. Die vielen Souvenirläden um die Kathedrale ziehen wieder ihre Rollläden hoch. Mangels ausländischer Kunden bleiben sie aber meist leer. Der Besitzer der Crêperie du Cloître befürchtet, er werde die meisten Angestellten entlassen müssen.

Die Kathedrale selbst soll laut Macron rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris wieder zugänglich sein. Bauexperten melden allerdings Zweifel an, ob dies möglich sein wird. Allein die Räumung wird mehr als anderthalb Jahre in Anspruch nehmen.

Offen ist die international diskutierte Frage, welche Form die neue Dachturmspitze aufweisen soll. Die letzte Entscheidung fällt de facto dem Staatspräsidenten zu. Macron soll zu einem eher klassischen Nachfolger für die "flèche" (den Pfeil) tendieren. (Stefan Brändle, 8.6.2020)