An Ideen für einen breiteren Einsatz städtischer Vegetation mangelt es nicht.

Foto: Gruenstattgrau / Fricke

Die Corona-Pandemie hat die Klimakatastrophe aus den Schlagzeilen verdrängt, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis Letztere sich zurückmeldet – spätestens im nächsten Hitzesommer. Dabei sind die Pandemie und die Überhitzung keineswegs unverwandt.

Das Virus bestimmt, wie wir die Stadt nutzen, und das Gezerre um die Öffnung der Bundesgärten zeigte, dass es für manche schwieriger ist, sich Erholung an der frischen Luft zu verschaffen, als für andere. Wer einen Balkon oder einen Zweitwohnsitz auf dem Land hatte, war privilegiert, wer nicht, guckte durchs Fenster auf Wände. Die Vorstellung, dass sich diese Situation bei 40 Grad Hitze abspielt, ist keine schöne.

Soziale Aspekte

Doch genau an solche Szenarien denkt das interdisziplinäre Innovations- und Forschungslabor Grünstattgrau, das – unterstützt vom Klimaschutzministerium – seit 2018 Kompetenzen und Initiativen zur Begrünung von Häusern und Straßen bündelt. Beteiligt am Scientific Board sind die Universität für Bodenkultur Wien (Boku), die TU Wien, die Med-Uni Wien sowie Joanneum Research und das Institut für Bauen und Ökologie (IBO).

"Der soziale Aspekt des Stadtklimas war immer gegeben, aber durch die Corona-Krise hat er sich noch verschärft", sagt Rosemarie Stangl vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Boku. "Die Begrünung von Bauwerken ist inzwischen für viele Investoren und Bauträger interessant, weil sie ihre Immobilien aufwertet. Davon profitiert aber nur eine bestimmte Klientel."

Auch das öffentliche Grün kommt nicht jedem zugute. Zwar rühmte sich Wien jüngst damit, als grünste Stadt der Welt ausgezeichnet worden zu sein, doch ist dieses Grün äußerst ungleich verteilt. So verfügt die Josefstadt nur über eine Parkanlagenfläche von 0,79 Quadratmeter pro Person. In Mariahilf, Neubau und Margareten sieht es nicht viel besser aus, ebenso in großen Teilen von Rudolfsheim-Fünfhaus und Favoriten, Bezirken mit einkommensschwächerer Bevölkerung.

Parks verlieren gegen Fahrbahnen

Nicht nur die wohnungsnahe Erholung ist dadurch kaum möglich, auch das Abstandhalten im öffentlichen Raum. Denn der wird zum Großteil von Autos belegt, wie die Boku berechnet hat: Den 1,15 Quadratmeter Parkfläche pro Person im Bezirk Neubau stehen 6,51 Quadratmeter an Fahrbahnfläche gegenüber, auch auf ganz Wien bezogen verliert das Grün gegen das Grau: 9,26 Quadratmeter pro Person an Parks gegenüber 12,44 an Fahrbahnflächen.

Das heißt: Für Fußgänger wird es eng. Schmale Gehwege, auf denen man ohne Körperkontakt kaum aneinander vorbeikommt, während sich daneben parkende Autos breitmachen, sind nicht erst seit Corona ein Problem.

Initiativen wie "Platz für Wien" fordern daher eine Neuverteilung des öffentlichen Raums, und die Stadt Wien reagiert mit Pop-up-Radwegen. Aber auch hier kommt zusätzlich die Klimakrise ins Spiel: Wenn im Hitzesommer der Asphalt mit 70 Grad glüht, verstärkt sich die Ungleichheit von Grün und Grau.

Gefahr durch Hitzetod

"Das Thema Kühlung ist ganz klar eine soziale Frage", betont Vera Enzi, Geschäftsführerin von Grünstattgrau und auf Gebäudebegrünung spezialisierte Landschaftsarchitektin. "Selbst neue Wohnbauten sind im Sommer oft kaum bewohnbar. Wer es sich leisten kann, kauft dann eine Klimaanlage, für die anderen werden die gesundheitlichen Auswirkungen gefährlich, was man an der dramatisch wachsenden Zahl der Hitzetoten sieht."

Untersuchungen der bei Grünstattgrau beteiligten Med-Uni bestätigen, dass Risikogruppen wie ältere Menschen, die weniger mobil sind oder aufgrund der Ansteckungsgefahr zu Hause bleiben, besonders gefährdet sind, wenn ihre Wohnung unzumutbar heiß wird.

Das Hochhaus Bosco Verticale in Mailand, ein Projekt für Betuchte.
Foto: AFP / Miguel Medina

An Lösungsansätzen fehlt es nicht, und auch das Interesse an Methoden der Begrünung wächst enorm, sagt Enzi. "Aber auch das Bewusstsein für die sozial faire Verteilung des Grüns steigt. Ein Beispiel: Das mit Bäumen begrünte Hochhaus Bosco Verticale von Architekt Stefano Boeri in Mailand erregte 2014 rund um die Welt Aufsehen, war aber ein Projekt für die oberen Zehntausend, mit hohem Aufwand.

Inzwischen planen Investoren und Architekten aber auch Mietwohnungen und ganze grüne Quartiere. Eine üppige, integrierte Freiraumgestaltung ist zum neuen Standard geworden, weil man realisiert hat, dass der Effekt des gesundheitlichen Wohlbefindens auf das Umfeld und die Stadt ausstrahlt."

Sofort umsetzbare Lösungen

In der Tat gibt es heute kaum ein Investorenhochhaus, das ohne Grün-Deko im Verkaufsprospekt auskommt, die in der Realität meist nicht lange überlebt. Hier neue Lösungen zu finden ist auch Ziel der heurigen 15. Concrete Student Trophy, einem von der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) ausgelobten Wettbewerb für Studierende. Prämiert werden die besten Ideen für ein begrüntes Hochhaus aus Beton in der Seestadt Aspern. Mit an Bord bei der Vergabe ist neben der Stadt Wien, der TU Wien, der TU Graz und anderen Proponenten daher diesmal auch Grünstattgrau.

An sofort umsetzbaren Lösungen für die Begrünung von Fassaden und Dächern mangelt es nicht, sagt Rosemarie Stangl. "Viele Flächen haben das Potenzial, auch zur Erholung genutzt zu werden, zum Beispiel die Dächer von Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen."

Der Einsatz von Solartechnik auf Dächern, steht nicht in Konkurrenz zu deren Begrünung, sondern lässt sich gut kombinieren.
Foto: Gruenstattgrau / Bauder

Einfacher als das Retrofitting, also die Nachrüstung von Bestandsbauten, sei natürlich der Neubau, hier müsse aber die Begrünung von vornherein mitgeplant werden."Das ist für viele Architekten und Bauherren leider noch ein Randthema. Wenn man erst an die Wasserversorgung der Fassadenbegrünung denkt, nachdem das Haus fertig ist, ist es zu spät."

Reale und gefühlte Abkühlung

Welche Pflanzenarten sich für Fassade und Dach eignen, ist bekannt, und an der Boku forscht man seit langem an der Optimierung der Vegetation für solche besonderen Einsatzgebiete.

Der Einsatz von Solartechnik auf Dächern, so Stangl, stehe auch nicht in Konkurrenz zu deren Begrünung, sondern ließe sich gut kombinieren. Allein in Wien gebe es derzeit 120 Millionen Quadratmeter begrünbare Fassaden- und 18 Millionen Quadratmeter begrünbare Dachflächen, rechnet Stangl vor.

Um wie viel Grad die Begrünung das Umfeld tatsächlich kühlt, hängt von der konkreten Lage ab. Auf die gefühlte Temperatur, sagt Stangl, habe Grün eine nachweislich starke Wirkung. "Wenn es unter einer Baumkrone objektiv fünf Grad kühler ist als in der Sonne, empfinden wir es subjektiv als bis zu zehn Grad kühler." Für Planer und Hausbesitzer, die es gern objektiv quantifizieren möchten, gibt es bereits Planungstools, sagt Vera Enzi. "Man kann Faktoren wie den Regenwasserrückhalt, die Kühlwirkung oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis genau berechnen."

Ideen für die Wurzeln

Ergänzend dazu würden Architekten und Bauträger auch findiger, was neue Ideen anbelangt. "Einen Baum kann natürlich nichts ersetzen. Aber es gibt in der Stadt viele Stellen, wo man keine überlebensfähigen Bäume pflanzen kann. Hier kann man mit Fassadenbegrünung kompensieren", sagt Enzi.

Auch diese braucht Wurzeln, und wenn diese nur auf dem Gehweg, sprich dem öffentlichen Grund, möglich sind, bedeutet das einen hohen bürokratischen Aufwand. "Bei einem Gründerzeithaus wurde die Lösung gefunden, dass man den Wurzelraum in den Keller verlegt und die Pflanze über die alte Kohlenrutsche ins Freie wächst", gibt Enzi ein Beispiel.

Ideen und technische Lösungen gäbe es also genug. "Hier sind noch viele Möglichkeiten ungenutzt", sagt Rosemarie Stangl. Damit diese auch sozial Benachteiligten zugutekommt, brauche es politischen Willen, finanzielle Anreize und Förderungen. Denn der nächste Hitzesommer steht schon vor der Tür. (Maik Novotny, 10.6.2020)