Theo Sommer war von 1973 bis 1992 Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit".

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Theo Sommer, deutscher Spitzenpublizist, langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der "Zeit", begeht am Mittwoch seinen 90. Geburtstag. Sommer kam schon sehr jung anfangs der 1950er-Jahre zum Studium der Politologie und Geschichte an die University of Chicago.

Dort begegneten wir einander und studierten beide bei zwei bedeutenden, aus Nazi-Deutschland entkommenen Gelehrten: dem Politologen Hans Joachim Morgenthau und dem Historiker Hans Rothfels. Rothfels ging bald nach Deutschland zurück, nach Tübingen. Dort absolvierte Sommer sein Doktoratsstudium bei Rothfels und promovierte 1960 mit der Arbeit "Deutschland und Japan zwischen den Mächten 1935-1940".

Schon 1958 war eine bereits damals herausragende Persönlichkeit der deutschen Publizistik, Gräfin Marion Dönhoff, auf der Suche nach jungen Talenten für die Zeit auf Sommer gestoßen, auf Empfehlung des Tübinger Politologen Theodor Eschenburg. Dönhoff war seit 1954 und nach einem Konflikt wegen zu starker Rechtsorientierung neuerlich ab 1957 Politik-Chefin der Zeit.

Große Erfolgsstory

Sommer trat 1958 in die Redaktion ein, und eine ganz große Erfolgsstory begann. Unter den jüngeren Mitarbeitern war Sommer derjenige, den Dönhoff am meisten schätzte und dem sie am meisten vertraute. 1968 wurde Dönhoff Chefredakteurin und schlug 1972 Sommer als ihren Nachfolger vor, als sie zur Herausgeberin berufen wurde. Theo Sommer war Chefredakteur von 1973 bis 1992 – eine Zeit des Höhenflugs der Zeit mit rasant steigender Auflage. Sommer, der die ganze Welt bereiste – seine Kontakte reichten von der Freundschaft mit Henry Kissinger bis zur dreimaligen Teilnahme an mehrstündigen Gesprächen mit Deng Xiaoping – wurde zum großen "Welterklärer", darin Hugo Portisch ähnlich.

Die zweite große Persönlichkeit neben Marion Dönhoff im Leben Sommers war Helmut Schmidt. Sie lernten einander 1961 in einem Schlafwagen kennen, Sommer im oberen, Schmidt im unteren Bett. Auch Schmidt war von Sommer beeindruckt. Als Schmidt 1969 Verteidigungsminister wurde, beauftragte er Sommer mit der Errichtung und Leitung des Planungsstabes im Ministerium, die er bis 1970 ausübte. Helmut Schmidt ging nach Ende seiner Kanzlerschaft 1983 als Mitherausgeber neben Marion Dönhoff zur Zeit. Sommer wurde 1992 Mitherausgeber bis 2000, danach Editor-at-Large. Die Freundschaft zwischen Schmidt und Sommer hat ihren Niederschlag in Sommers Buch Unser Schmidt. Der Staatsmann und der Publizist (2010), einem seiner besten, gefunden.

Sein letztes Buch hat der Achtundachzigjährige 2018 über China geschrieben: China First. Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert. Sommer kam erstmals 1975 in Begleitung von Schmidt nach China, ein Jahr vor Maos Tod. Er nennt die gräßlichen Zahlen der Mao-Zeit: Der "Große Sprung" von 1957 kostete 45 Millionen Menschen das Leben; davon wurden etwa zweieinhalb Millionen ermordet, "der Rest verhungerte. Der Kulturrevolution fielen weitere anderthalb Millionen zum Opfer." Von 1975 bis 2015 war Sommer oft in China. Er nennt die Transformation Chinas in vier Jahrzehnten einen "in der ganzen Weltgeschichte beispiellosen Aufschwung".

Klare Sprache

Er mahnt aber auch: "Ein starkes Europa ist die einzig richtige Antwort auf ein starkes China". "Notfalls", so Sommer, "muss ein harter Kern der EU vorangehen und sich von der wiederstrebenden Peripherie lösen, damit es nicht bei einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners bleibt".

Der heute Neunzigjährige ist hellsichtig wie seit Jahrzehnten, und er schreibt die gleiche klare Sprache wie seit Jahrzehnten. Dass dies noch lange so weitergehen möge, ist Theo Sommer von Herzen zu wünschen! (Gerald Stourzh, 10.6.2020)