Sindbad wird von Unternehmen finanziert, die darauf Wert legen, dass Schulabgänger aus benachteiligtem Milieu von Mentoren für das Berufsleben vorbereitet werden.

Foto: sindbad - social business

Erhan ist ein vordergründig cooler Bursche mit türkischem Migrationshintergrund. Nach der Neuen Mittelschule wäre seine Zukunft eher in der Schwebe gewesen, da gab es an seiner Schule eine Präsentation von so Leuten von einem Verein namens "Sindbad", die sagten, sie wollen Jugendlichen mit Anpassungsschwierigkeiten helfen. Einfach so, indem sie sie begleiten, mit ihnen reden, zeigen, wie man Struktur in seinen Alltag bringt und sich besser darstellt.

Erhan lernte dabei, dass diese jungen Leute "Mentoren" sind und er selbst ein "Mentee". Mentor kommt aus der altgriechischen Mythologie und bedeutet so viel wie Entwicklungsberater, "Mentee" ist eine anglisierte Ableitung und bedeutet "zu Betreuender".

Den Schwächeren helfen

Die Betreiber und Mentoren von Sindbad, die da in den Schulen ihre Präsentationen machen, sind unter dreißig, eher aus gutem Haus, während die Mentees eher Jugendliche mit Startschwierigkeiten sind.

Was Sindbad da betreibt, ist ein Social Business. Das heißt, es hat eine gesellschaftliche Motivation, erfüllt im Idealfall eine nützliche gesellschaftliche Funktion, ist aber auch ein Business und muss sich selber erhalten.

Starke Defizite

Erhan hat die Sindbad-Leute zunächst nicht ernst genommen, er hat ihre Motivation vorerst nicht verstanden ("Warum wollen die mir helfen?"), aber er hat sich dann doch darauf eingelassen – und nach Training seines Mentors dann letztlich eine Lehrstelle bei den Wiener Stadtwerken gefunden. "Ohne Sindbad hätte ich keine Chance gehabt, meine sozialen Fähigkeiten reichten nicht aus, von zu Hause bin ich nicht gefördert worden." So sagt er es, er kann sich ausdrücken, zeigt im Gespräch auch eine Art Selbstironie, gibt aber zu, dass er bei der Selbstdisziplin Schwierigkeiten hatte. Sein Mentor hat sich drei-, viermal in der Woche mit ihm getroffen, mit ihm einen Plan besprochen, ihn zu Firmen begleitet, mit ihm ein Bewerbungsgespräch oder einen Wissenstest geübt.

Seit 2016 haben die Sindbad-Menschen über tausend junge Leute in diesem Programm gehabt. Schülerinnen und Schülern aus sozialen Brennpunktschulen werden 20- bis 35-jährige Mentoren zur Seite gestellt, sie begleiten sie zwölf Monate lang. "Die Idee war, benachteiligte Jugendliche von der Pflichtschule zu einer weiteren Ausbildung zu begleiten", sagt Mathias Lovrek, der Geschäftsführer von Sindbad. "Es haut viele durch, weil sie nicht wissen, was die Erfordernisse auf dem Arbeitsmarkt sind, sie werden immer öfter arbeitslos, haben Gesundheitsprobleme und so weiter."

Großer Bedarf an Unterstützung

Jeder, der sich auch nur ansatzweise mit der Problematik von Schülern aus migrantischem und/oder "bildungsfernem" Milieu beschäftigt hat, weiß, dass hier ein Bedarf besteht. Nach den Corona-Beschränkungen, wo viele Schüler aus solchen Haushalten mittels Tele-Unterrichts nicht zu erreichen waren, wird der Bedarf noch höher sein. Durch Lehr- und Lerndefizite in der Corona-Krise sei das noch aktueller geworden. Nach Schätzungen einer Umfrage der Organisation "Zukunft.Lehre.Österreich" zufolge fehlen heuer bis zu 10.000 Lehrstellen.

Wie Lovrek ausführt, handelt es sich bei der Mentorentätigkeit nicht um Nachhilfe-Lehrtätigkeit, nicht um formales Coaching, auch keine professionelle psychologische Beratung, sondern schlicht gesagt um Lebensbegleitung durch etwas ältere Bezugspersonen, die in Wahrheit ein wenig den Mangel an Unterstützung durch überforderte Eltern ausgleichen sollen. Der altgriechische Mentor war übrigens der Vaterersatz von Telemachos, dem Sohn des Odysseus, der sich ja bekanntlich 20 Jahre im Trojanischen Krieg und auf Irrfahrten im Mittelmeer herumtrieb, statt sich um seinen Sohn zu kümmern.

Vom Angebot überzeugen

Um orientierungslose Jugendliche kümmern sich ja auch gern Sekten oder dominante Religionen. Erhan sagt, dass der Islam für ihn wichtig sei, und er berichtet freiwillig, dass in seiner früheren Moschee schon die Polizei erschienen sei.

Die größte Schwierigkeit der Mentoren und Mentorinnen sei es, die benachteiligten Schüler und Schülerinnen vom Angebot zu überzeugen. "Die müssen sich mit 15 klar werden, was sie als Beruf anstreben, und sich dann oft eingestehen: Das schaffe ich allein nicht".

Irini, eine Mentorin, die selbst Migrationshintergrund hat und bereits im Finanzwesen arbeitet, hatte als Mentee eine serbische Roma, die "ambitioniert war, Deutsch wie die Muttersprache konnte, sehr selbstständig war, aber mit Computertechnik schlecht umgehen konnte – und einen Vater hatte, der sie nicht rausließ". Sie schwankte zwischen Einzelhandelskauffrau und dem Sprung in die Selbstständigkeit. Entscheidungshilfe war angesagt.

Irini selbst war schon vor Sindbad Lernpatin für Flüchtlingskinder, unterstützt durch ihren christlich humanitär motivierten Arbeitgeber: "Ich bekomme viel von den Kindern zurück".

Frage nach Professionalität

Womit sich die Frage nach der Professionalität der Sindbad-Mentoren stellt. Sie sind ehrenamtliche Freiwillige, sind überwiegend schon selbst berufstätig, das Mentoring wird nicht als Praktikum anerkannt. Sie suchen einen Sinn, sagt Lovrek, "und wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben". Sie haben keine Spezialausbildung. Werden also naive junge Leute ohne sozialpädagogische Ausbildung auf schwierige Jugendliche losgelassen? Laut Lovrek gibt es ein strenges, vierstufiges Rekrutierungsverfahren, dazu laufend Workshops und die Absolvierung von Modulen sowie Supervision. Es gibt einen wissenschaftlichen Beirat und "SchirmherrInnen" und bekannte bürgerlich-sozialliberale Netzwerker.

Wie wird Sindbad, das über Stützpunkte in Graz, Wiener Neustadt, jetzt auch in Linz und Innsbruck und über ein angestelltes Team verfügt, finanziert? Lovrek erläutert, dass viele Firmen, die Schulabgänger und Lehrlinge als Nachwuchs aufnehmen, daran interessiert sind, junge Mitarbeiter zu bekommen, die für ein organisiertes Berufsleben besser vorbereitet sind, als es normalerweise oft der Fall ist. Die zahlen für das Mentoring an Sindbad. Darüber hinaus gibt es eine Unterstützung durch Privatstiftungen, und schließlich bietet Sindbad auch Kurse in Personalentwicklung an.

Sindbad betreut nach einer Corona-bedingten Einschränkung derzeit 190 Mentees. "Wir sind bis Ende des Jahres finanziell gesichert", sagt Lovrek. "Die Arbeit geht weiter." (Hans Rauscher, 10.6.2020)