Die Distanz zur Gesellschaft wurde für viele Insassen in den letzten Monaten noch größer.

Foto: Regine Hendrich

Wer in einem Gefängnis eine Haftstrafe absitzt, ist von der Gesellschaft in der Regel weitgehend abgeschottet. In den vergangenen Monaten wurde diese Distanz aber noch größer: Zur Vorbeugung der Verbreitung des Coronavirus wurden einige Maßnahmen erlassen, die den Kontakt der Insassen zur Außenwelt stark einschränkten.

Seit Mitte Mai sind Besuche von Familie und Freunden zwar wieder möglich, doch es gelten strenge Regeln: Die Besucher werden von ihren Angehörigen durch eine Glas- oder eine Plexiglasscheibe getrennt, zudem gilt Maskenpflicht. Ein Erwachsener und ein Kind als Begleitperson sind pro Besuch erlaubt.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) verkündete vor einigen Wochen, dass es gelungen sei, das Coronavirus "aus den Gefängnissen auszusperren". Das stimmt im Großen und Ganzen nach wie vor: Bisher gab es zwei Insassen, die positiv getestet in die Justizanstalt Innsbruck eingeliefert wurden. Beide wurden in isolierten Zugangsabteilungen untergebracht. Zudem wurden sieben Bedienstete positiv getestet, die laut Ministerium mittlerweile genesen sind. Es sei davon auszugehen, dass sich keiner der Bediensteten in der Justizanstalt angesteckt habe.

Nicht alle werden getestet

Ein Insasse einer österreichischen Justizanstalt stört sich an der Darstellung. Ohne Tests könne man ja gar nicht wissen, wie "Corona-frei" die Justizanstalten wirklich seien, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Die Justizanstalt Josefstadt hat seit Anfang April 359 Insassen getestet. Eine systematische Testung der Insassen in allen Anstalten gab es aber nicht.

Sollte sich ein Insasse auf eigene Kosten selbst testen lassen wollen – so wie das etwa auch nichtinhaftierten Interessierten am Flughafen Wien um 190 Euro angeboten wird –, ist das nicht so einfach möglich. Das Ministerium bestätigt, dass derartige freiwillige Tests ohne Einstufung als Verdachtsfall und ärztlicher Zuweisung nicht durchgeführt werden. Insassen sind also auf die Zustimmung eines Arztes angewiesen. Prinzipiell sei in puncto Tests die lokale Gesundheitsbehörde zuständig – man sei jedoch bemüht, "Poollösungen" (Sammeltests) oder Schnelltests für den Strafvollzugsbereich zur Verfügung zu stellen, heißt es vom Ministerium.

Angespannte Stimmung

Von einer angespannten Stimmung berichten zudem Verteidiger, da die maximale Personenanzahl in jenem Bereich, in dem Anwälte ihre Mandanten besuchen, in der Justizanstalt Josefstadt auf 22 begrenzt wurde.

Auch unter den Insassen ist die Stimmung mitunter angespannt. Seit Anfang Juni sind Freigänge, um draußen zu arbeiten, prinzipiell wieder möglich – sofern bestimmte Hygienemaßnahmen eingehalten werden. So müssen Freigänger getrennt von anderen Insassen untergebracht werden. Sollte das nicht möglich sein, müssen sie zwei Wochen lang eine Maske tragen, sobald sie sich außerhalb ihres Haftraums aufhalten.

Wohnungs- und Jobsuche

Auch Ausgänge, etwa zur Regelung privater Angelegenheiten, sind wieder möglich – allerdings nur im Ausnahmefall. Darunter fallen laut Verordnung auch Vorbereitungen auf die Zeit nach der Entlassung, etwa Wohnungs- oder Jobsuche. Allein zwischen Anfang März und Ende Mai wurden 2.275 Personen entlassen. Der Verein Neustart betreut Häftlinge ab sechs Monate vor ihrer absehbaren Entlassung. Mittlerweile sei diese Betreuung "weitestgehend" wieder möglich, sagt Sprecher Andreas Zembaty.

Zembaty verweist zudem auf den sozialen Aspekt des Ausgangs: Nicht nur Job- und Wohnungssuche, sondern auch der (Wieder-)Aufbau eines sozialen Netzes und der Kontakt zur Familie seien relevant – das sei "enorm erschwert" worden. In einigen Fällen sei dadurch Angst oder gar Hoffnungslosigkeit entstanden – eine "suboptimale Situation". Ein Insasse spricht gegenüber dem STANDARD von einer "enormen psychischen Belastung." Seit knapp drei Monaten werde man immer wieder vertröstet, die Situation sei "unerträglich."

Freigang und Ausgang

Dass in der aktuellen Situation zwischen Frei- und Ausgang unterschieden wird, begründet das Justizministerium mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, die die Einschleppung von Covid-19 verhindern sollen. Nach dieser Maßgabe würden auch Lockerungen vollzogen werden. (Vanessa Gaigg, 15.6.2020)