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Außerhalb ihrer regen literarischen Tätigkeit spielt Joanne K. Rowling in britischen Medien regelmäßig in dreifacher Hinsicht eine Rolle. Erstens gehört die Schöpferin und Chefin des "Harry Potter"-Universums zu den reichsten Personen des Landes, die "Sunday Times" bezifferte ihr Vermögen kürzlich auf 795 Millionen Pfund (887 Millionen Euro). Zweitens setzt sie seit Jahren ihr Vermögen für diverse politische und wohltätige Zwecke ein: Sie spendete großzügig für die Labour Party und stärkte im schottischen Unabhängigkeitsreferendum der Unionistenseite den Rücken. Sie gründete eine Stiftung für weibliche Strafgefangene und Überlebende häuslicher und sexueller Gewalt, sie investiert Millionen in die Erforschung von Multipler Sklerose, einer Erkrankung des Zentralnervensystems, an der einst ihre Mutter starb.

In jüngster Zeit steht die 54-Jährige, drittens, an vorderster Front der Transgender-Debatte, die auf der Insel wie anderswo mit erbitterter Härte ausgefochten wird. An dem heiklen Thema haben sich schon andere linksliberale Literaten die Finger verbrannt. Romancier Ian McEwan sprach ironisch von Einkäufern in einem "Supermarkt der persönlichen Identitäten" und nannte als Beispiel "Männer im Besitz eines Penis", die sich nun als Frauen fühlen und Einlass in Frauen-Colleges oder Umkleidekabinen für Frauen begehren.

Überlebende von Sexualverbrechen

Rowling nimmt für sich in Anspruch, das Thema gründlicher erforscht zu haben. In einem am Mittwoch auf ihrer Website veröffentlichten langen Essay beschreibt sie nicht nur ihre jahrelange Beschäftigung mit Transsexuellen, deren Diskriminierung und dem herrschenden Diskurs. Die Autorin enthüllt auch eigene Betroffenheit: Sie sei als junge Frau Überlebende eines Sexualverbrechens geworden, habe in ihrer ersten Ehe häusliche und sexuelle Gewalt erlitten.

Vor allem aber spricht Rowling davon, sie selbst habe in ihrer Jugend Zweifel an ihrem Geschlecht entwickelt: "Ich glaube, man hätte mich dazu überreden können, mich zu dem Sohn zu machen, den mein Vater stets ganz offen als seine Präferenz bezeichnete."

Machen solche Ideen Rowling zu einer "Terf", einer transphoben radikalen Feministin (trans-exclusionary radical feminist), als die sie sich seit Monaten in einer hasserfüllten Kampagne beschimpfen lassen muss, die durch ihre Unterstützung für eine Gleichgesinnte ausgelöst wurde? Zum Vorschein kommt jedenfalls das Unwohlsein einer Generation emanzipierter und erfolgreicher Erwachsener über die zunehmende Anzahl junger Frauen, die "der Verlockung einer Flucht aus dem Frausein" erliegen, wie die Autorin schreibt.

Tatsächlich hat Großbritannien binnen zehn Jahren eine Umkehr der Begehren nach einer Geschlechtsumwandlung erlebt: Waren dies früher mehrheitlich Männer, so sind es inzwischen vor allem junge Frauen – deren Anzahl hat um 4.400 Prozent zugenommen, "und autistische Mädchen sind weit überrepräsentiert", so Rowling.

"Bücher sollen verbrannt werden"

Die Reaktion der Transgender-Community auf den Essay hat Rowling schon vorweggenommen, indem sie einen Ausschnitt der Beleidigungen und Drohungen in den sozialen Netzwerken veröffentlichte: Die "Harry Potter"-Autorin sei transphob, ihre Bücher sollten kompostiert oder sogar verbrannt werden. Die Schriftstellerin wird es aushalten. An britische Organisationen und Institutionen richtet sie einen provokanten Wunsch: Diese sollten sich "wirklich ein Paar wachsen" lassen – eine Anspielung auf jene Cojones, die einst Premierministerin Margaret Thatcher von einem Bewunderer zugesprochen wurden. (Sebastian Borger aus London, 11.6.2020)