Im Schilfgürtel am Neusiedler See koexistieren Dürre und Wasser. Es war auch schon anders: Von 1865 bis 1871 war der See gänzlich verschwunden.

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Der Neusiedler See macht den Menschen nicht nur Freude, sondern auch Kopfzerbrechen. Er ist nämlich ein launischer Gast, nicht nur ein seltsamer, wie ihn Franz Werfel einmal genannt hat. Einmal geht er über, dann verschwindet er. Oder zumindest tut er so als ob. So wie eben jetzt. Ein paar niederschlagsarme Jahre haben den See wieder ans Limit gebracht.

Seit man 1965 die Seerandschleuse zum Einserkanal – der einzige Seeabfluss – in Betrieb genommen hat, liegt der Wasserspiegel im Frühjahr im Schnitt bei 115,55 Metern über Adria. Heuer startet man schon bei rekordtiefen 115,30 Metern. In der Hitze kann der See dann schon einen halben Zentimeter pro Tag verdunsten. Ein heißer, regenarmer Sommer – der Traum der Touristiker – kann dann leicht zum touristischen Albtraum werden.

Man gründet einen Arbeitskreis

Das geschieht dem See freilich nicht zum ersten Mal. Das Auf und Ab des Wasserspiegels, ja das Kommen und Gehen des Wassers sind die Charakteristika des westlichsten der eurasischen Steppenseen. Die Menschen stehen hilflos daneben, können sich höchstens die Haare raufen, lamentieren und nach der Politik rufen, die aber ihrerseits auch nicht weiterweiß. Also gründet sie einmal einen Arbeitskreis.

Vergangene Woche hat Heinrich Dorner, der zuständige Baulandesrat des Burgenlands (SPÖ), in der Tat tatenfroh die Einsetzung einer Taskforce – das neudeutsche Wort für Arbeitskreis – verkündet. Mit der könne man nun "Mechanismen in Gang setzen, wo wir zu Umsetzungen und zur Entwicklung von Strategien kommen". Alle "relevanten Interessensgruppen" werden dabei sein, grenzüberschreitend klarerweise.

See muss erhalten bleiben

Die Vorgabe ist klar: Der See muss erhalten bleiben. Daraus folgt aber: Es muss, zusätzlich zu Wulka und Niederschlag, eine ordentliche Wasserzufuhr geben. Zuletzt wurde das im Trockenjahr 2003 erwogen und wieder verworfen. Weder Donauwasser aus der Hainburger Gegend noch solches aus der Raab seien geeignet. Nun suche die Taskforce einen neuen Weg. Überlegt wird zum Beispiel auch eine Zuleitung aus der Mosoni Duna, einem nach der Kanalisierung der Donau für das Kraftwerk Gabèíkovo eher spärlich dotierten Donauarm.

Ein Zentimeter See sind drei Millionen Kubikmeter – drei Milliarden Liter – Wasser. Bei Hainburg fließen knapp 1500 Kubikmeter pro Sekunde. Klar ist, so Dorner, nur so viel: "Eine Wasserzufuhr wird nicht billig sein." Gespräche mit dem Bund sind also ins Auge gefasst. Denn: "Der Neusiedler See ist in seiner Form so einzigartig, dass es ein überregionales Interesse gibt, eine nachhaltige Lösung zu finden."

Der Neusiedler See ist zuletzt in den Jahren 1865 bis 1871 gänzlich verschwunden gewesen. Im Norden war er schon im Sommer 1864 weg, wie ein zeitgenössischer Bericht überlieferte. "Man sah vom Uferrande von Neusiedl selten mehr und nur in großer Entfernung das Wasser. Ungefähr Mitte Juli erschien bei starkem Südwinde gegen Abend das Wasser zum letzten Male im nördlichen Teile des Beckens, am nächsten Tag war es verschwunden, ohne wiederzukehren."

Unangenehme Folgen

Der ausgetrocknete See hatte unangenehme bis verheerende Folgen. Der Seeboden war salzig, durch den Wind wurde ätzender Staub weithin vertragen. Man experimentierte mit Reisanbau. Aber landwirtschaftlich war der Seeboden kaum nutzbar. Nur am Rand gab es spärlichen Bewuchs, der aber nicht einmal als Viehfutter zu gebrauchen war, sondern höchstens als Einstreu.

Dennoch wurde auch darum heftig gestritten. Die Fischereireviere waren ja keine mehr, auf dem trockenen Boden die Gemeindegrenzen noch nicht festgelegt. Und so kam es am 6. November des Jahres 1866 zur legendenumwobenen "Seeschlacht" zwischen Rust und Oggau. Am Gemeindefeiertag, zu St. Leonhardi, kamen, während die Oggauer in der Kirche weilten, die Ruster mit Ochsenwagen, um die schon gemähte und zu Haufen gerechte Streu abzuholen, die sie als die ihre betrachteten.

Um die Mittagszeit eilten die Oggauer herbei, wie das Ödenburger Lokalblatt berichtete. "Ein längeres Plaidiren gab es da nicht, Replik und Duplik mag in Worten mehr derb und kraftvoll als fein juridisch gewesen sein." Gar von Schusswaffen wurde Gebrauch gemacht. Zwei Oggauer wurden verwundet. Josef Berger und Lorenz Hafner waren, erzählte der Österreichische Volksfreund, verdiente Veteranen, "die mehrere gefährliche Schlachten mitmachten, insbesondere kämpften sie heldenmütig bei Custozza". Und das nur, damit die Ruster ihnen hier jene Wunden schlugen, die sie dort im Sommer glücklich vermieden hatten.

See vor der Trockenlegung

Trotz all der Fisimatenten hatten sich die Menschen aber offenbar mit dem trockenen Neusiedler See arrangiert. Anders lässt es sich nicht erklären, dass, kaum war wieder Wasser im See, schon eine Kommission – die Taskforce des 19. Jahrhunderts – gegründet wurde mit dem Auftrag, die endgültige Trockenlegung des launigen Sees voranzutreiben. 1895 wurde mit dem Bau des Einserkanals begonnen, seit 1911 ist er der einzige Abfluss, den die Ungarn Fertő tó nennen, Sumpfsee. Immerhin wurde so der Hanság halbwegs trockengelegt, der Sumpf, in den sich der See bei Hochwasser ergoss.

Der See blieb dennoch launisch. Noch am 15. Juni 1918 rief der Esterházy-Fürst zu einer "Konferenz der Seeinteressenten" nach Győr/Raab. Dort wurde immerhin noch eine "Seeregulierungsgesellschaft" ins Leben gerufen. Dann kamen das Kriegsende und Trianon, und das Burgenland wurde Teil Österreichs. Und schließlich wurde aus dem ungarischen See jenes internationale Gewässer, das es heute ist.

Bei der Seeregulierungsgesellschaft wurden ökologische Bedenken gegen das Trockenlegen angemeldet. Schwere Bedenken gegen die Zuleitung gab es 2003 und gibt es auch jetzt. "Die Vermischung mit Wasser einer anderen mineralischen und chemischen Zusammensetzung ist für das hochsensible und besondere Ökosystem höchst problematisch", warnt etwa der grüne Landtagsabgeordnete Wolfgang Spitzmüller. Und er ist davon überzeugt: "Der Neusiedler See ist in erster Linie ein Naturjuwel von europäischer Bedeutung und erst danach ein Wirtschaftsfaktor."

Andere sehen die Reihenfolge anders. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil etwa. Der meinte unlängst vorm Eisenstädter Landtag, der Naturschutz werde "sicher nicht darüber entscheiden, ob der See austrocknet oder nicht". Die Taskforce – so weit ist die Geschichte durchaus beweiskräftig – mit hoher Wahrscheinlichkeit aber auch nicht. (Wolfgang Weisgram, 12.6.2020)