Dank seiner Verdienste für die Nation sitzt Colbert vor der Nationalversammlung. Dass er Sklaventreiber war, blieb bisher ausgeblendet.

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Sein Name findet sich in Frankreich auf Straßenschildern und Schulfassaden, vor der Nationalversammlung in Paris prangt überlebensgroß seine Statue. Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) war der mächtigste, prägendste Minister von Ludwig XIV. Um die Prunksucht des Sonnenkönigs zu finanzieren, schuf der asketische Staatsdiener ein legendäres Wirtschaftssystem, den Merkantilismus, oft auch schlicht Colbertismus genannt. Noch heute gilt er als Schlüsselfigur der französischen Geschichte.

Doch jetzt stürzt Colbert vom Sockel, zumindest bildlich gesprochen. Vor der Nationalversammlung verlangten am Donnerstag Hunderte von Demonstrierenden die Entfernung der polizeilich geschützten Colbert-Statue. Der Königsberater sei kein Ruhmesblatt der französischen Geschichte, sondern ihr Schandfleck, erklärte Louis-Georges Tin, Ehrenpräsident des Dachverbands schwarzer Organisationen in Frankreich: "Colbert war der Feind der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit." Denn der Minister habe für Frankreich nicht nur ein Kolonial- und Handelssystem aufgezogen, sondern auch den ersten "Code Noir" geschaffen.

Ohren ab- und Beinmuskel durchgeschnitten

Dieses erste "schwarze Gesetzbuch" legitimierte die Sklaverei vor allem auf der damals französischen Karibikinsel Haiti. Die Sklaven waren darin Möbelstücken gleichgestellt. Anspruch hatten sie bloß auf zwei Baumwollkleider pro Jahr. Flucht wurde mit Ohrabschneiden gesühnt, im Wiederholungsfall mit dem Durchschneiden der Beinmuskeln, im dritten Fall durch Aufhängen.

Historikern ist das schon lange bekannt, nicht aber einer breiten Öffentlichkeit. Dass Colbert Ludwigs Kriege mit dem Blut haitianischer Zuckerrohr-Sklaven finanzierte, wird in Frankreich bis heute verdrängt. Deshalb hält sich das Verständnis für die Anti-Colbert-Demo in Grenzen. Marc-Daniel Seiffert, der Colbert in einer neueren Biografie eine "Inspirationsquelle für Politiker von heute" nennt, verteidigt die Ehrung Colberts mit dem Argument, dass man zahllose historische Büsten kippen müsste, wenn man alle Sklavereibefürworter des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem Straßenbild entfernen wollte.

Der Chefredakteur des Wochenmagazins L'Express, Christophe Barbier, doppelte nach, in dem Fall müsse man auch den Linkspolitiker Jules Ferry verdammen, der in Frankreich als Begründer der Staatsschulen gefeiert wird, im 19. Jahrhundert aber für den Kolonialismus eingetreten war.

Lieber pleite als Schulen zurückzahlen

Die sehr kontrovers, unversöhnlich geführte Debatte verhindert letztlich jede sachliche Aufarbeitung. Beidseits wird übersehen, dass Colbert nicht nur den "Code Noir" verbrochen hatte, sondern sich auch sonst durch einen fast schon institutionalisierten Zynismus auszeichnete.

Die Kunst des Steuereintreibens bestehe darin, die Gans möglichst ohne Schreie zu rupfen, hielt der Steuervogt des Sonnenkönigs einmal fest. Staatsanleihen ließ er vorsätzlich pleitegehen, um sie den Bürgern nicht zurückzahlen zu müssen. Menschen zählten für ihn nichts gegenüber der Staatsräson, und auch die Sklaverei war für ihn nur ein Mittel, Frankreichs Erzfeinden England und Holland im Welthandel Paroli zu bieten.

"Ein Verbrechen gegen die Menschheit war das ,schwarze Gesetzbuch‘ allemal", meint Egountchi Béhanzin von der Liga zur schwarzafrikanischen Verteidigung: "Ihr Autor darf das französische Parlament nicht länger schmücken." (Stefan Brändle aus Paris, 11.6.2020)