Im Corona-Lockdown hat sich deutlich gezeigt, wer mehrheitlich systemrelevante Arbeit macht. Es sind "die da unten", von der Handelsangestellten über die Pflegerin, das Sicherheitspersonal bis zum Lkw-Fahrer. Dafür gab’s, sprichwörtlich "von oben", von Balkonen aus, Applaus. Heldengeschichten über jene, die täglich an der Corona-Front ihren Kopf hinhielten, wurden gepostet. Während im Backrohr drinnen in der Balkonwohnung das selbstkreierte Brot bräunte.

Und jetzt? Lockerungen, Urlaubspläne – wir sind allzu vergesslich. Dort, wo schon wieder etwas anderes auf die Bühne unserer Aufmerksamkeit drängt, verdrängen wir. Kein Applaus mehr, keine Heldengeschichten. Zurück in die Blase, alles bitte weiter wie davor. "Die da unten" tragen weiter die größten Lasten. Jetzt in Arbeitslosigkeit, in Kurzarbeit oder ohne Chance auf eine Lehrstelle.

Tiefe Risse der Gesellschaft

Die Geschichten von den Heldinnen und Helden stellen sich bestenfalls als Gerede heraus, eigentlich als eine Art moralischer Anfall der Bessergestellten. Das wirft ein bedenkliches Licht auf tiefe Risse in der Gesellschaft, auf eine drohende harte Spaltung. Weiter wie vor Corona, das heißt auch: Vom Balkon aus wird "denen da unten" weiter gesagt, dass sie alles falsch machen. Sie bilden sich zu wenig, sie wollen Billigfleisch und sind zu dick. Sie bewegen sich zu wenig, sind zu wenig umweltbewusst, und obendrein wählen sie auch noch falsch.

Falsch läuft aber ganz etwas anderes. Die Ungleichheit verschärft sich. Die Chancenverteilung ist noch unfairer, nicht nur, aber sehr stark gegenüber Frauen und ihren Kindern, die es sich nicht richten können. Das Wort führen diejenigen, denen die Bühnen der Aufmerksamkeit gehören. Das sind nicht diejenigen, die in Teilzeit für einen Mindestlohn arbeiten.

Bezahlung als Währung der Bedeutung

Tatsächlich hat die Debatte um systemrelevante Arbeit klar wie nie gezeigt, dass diese Menschen überwiegend zu den Niedrigverdienern zählen. Genau das muss jetzt geändert werden, sollte der Applaus vom Balkon nicht zynisch gemeint gewesen sein. Denn: Anerkennung wird in marktwirtschaftlich orientierten Systemen über Geld ausgedrückt. Die Bezahlung ist die Währung der Bedeutung. Im Klartext heißt das: Wir brauchen jetzt viel höhere MinimalStandards. Kein systemrelevanter Teilzeitjob darf mit weniger als 1.000 Euro netto entlohnt werden. Das Arbeitslosengeld muss angehoben werden. Ein Mindestlohn, frei nach dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, muss zumindest 1.700 Euro netto betragen. Junge Menschen bis 21 brauchen eine lückenlose Ausbildungsgarantie. Wann, wenn nicht jetzt, da alle gesehen haben, was an staatlichen Anordnungen möglich ist, sind klare gesetzliche Regelungen inklusive Sanktionen bei ungleicher Bezahlung von Frauen und Männern zu etablieren?

Wenn auf all das jetzt wieder vergessen wird, rächt sich das. Hunderttausende erinnern sich dann nämlich an den Beifall in der Krise, der ihnen nichts gebracht hat. (Karin Bauer, 12.6.2020)