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Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, Namensgeberin des Bachmann-Preises.

Foto: Picturedesk.com / Imagno / Barbara Pflaum

Carolina Schutti

Die Tiroler Autorin will da schürfen, wo es wehtut
von Gerlinde Tamerl

An jenem Ort in Innsbruck, den Schriftstellerin Carolina Schutti ihr Zuhause nennt, wird nicht nur geschrieben, sondern auch musiziert. Es scheint, als habe sogar die Natur Notiz davon genommen, denn die Vögel zwitschern in den umliegenden Bäumen, als wollten sie mit der ausgebildeten Sängerin wetteifern.

Carolina Schutti
Foto: Fotowerk Aichner

Auf dem üppig bepflanzten Balkon der 1976 geborenen Autorin, deren Bücher bislang in 13 Sprachen übersetzt wurden, verbreiten Sortenraritäten wie etwa Andenbeeren mediterranes Flair, und das, obwohl der Anblick von Schneeresten auf den nahegelegenen Bergen Frösteln auslöst. Die Berge sind Carolina Schutti vertraut, denn die Schriftstellerin ist begeisterte Alpinistin. Um Abstand zu gewinnen, unternimmt sie Gratwanderungen, die absolute Konzen tration und das Vertrauen auf körpereigene Kräfte erfordern.

Geografisch und biografisch

Von dieser Art des inneren wie äußeren Perspektivenwechsels, von den Erfahrungen abseits der Zivilisation zeugt auch Schuttis Literatur, etwa ihr im Frühjahr dieses Jahres erschienener Roman Patagonien (Laurin). Er handelt vom Zurückgeworfensein in eine unbehagliche Gegend, geografisch, auch biografisch. Gleichzeitig entwickeln Schuttis Texte beim Lesen einen einzigartigen Klang, die Sängerin wendet ihr musikalisches Formenverständnis auch im literarischen Schreiben an, denn ihre Texte brauchen "ein gutes Mundgefühl".

Schutti wechselt beim Sprechen mühelos zwischen dem Hochdeutschen und dem Tiroler Dialekt. Ihre Muttersprache hingegen, das Polnische, ist verlorengegangen. Sie hat zwar ihre Melodie verinnerlicht, aber alle Vokabeln vergessen, zu sehr war man darum bemüht, dem Kind die deutsche Sprache näherzubringen. Mit Erfolg.

Polnisch und Germanistik

Schutti, die Germanistik und Konzertgitarre studierte und zuerst eine wissenschaftliche Karriere anstrebte, legte 2010 ihr Debüt vor und veröffentlichte bereits zwei Jahre später ihren Roman einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein (Otto Müller Verlag), der von jenem Verlust der Muttersprache erzählt, den sie als Kind erfahren hat.

Nach dem tieferen Sinn der Existenz zu forschen ist Schuttis literarisches Anliegen, sei es in ihrer Trilogie, die von traurigen Kindheiten handelt, oder in ihrem Lyrikband Nervenfieber (Laurin), der um vergessene Krankheiten kreist. Das Aufwühlende spielt sich stets im Inneren ihrer Figuren ab, und wer dieses Innere erblicken will, muss sich diesen Figuren schonungslos hingeben. Lesende werden aber nicht durch einen auserzählten Plot gezerrt, sondern mit einem Scherbenhaufen konfrontiert, bei dem Leerstellen entstehen, die freies Assoziieren zulassen. Schutti behält dabei die erzählerische Balance, sorgsam tastet sie Bruchlinien ab, "um da zu schürfen, wo es wehtut".

Immer weitergehen ist Carolina Schuttis Ziel. Nach dem Bachmann-Literaturwettbewerb wird sie den Großglockner besteigen. Mögliche Enttäuschung kann hoch oben am Gipfel auf ein erträgliches Maß schrumpfen. Und wenn sie doch ausgezeichnet wird? Dann ist es der richtige Ort, um die Freude ins Unendliche zu vergrößern. (Gerlinde Tamerl)

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Laura Freudenthaler

Die Österreicherin liest die Bücher der Bachmann seit 20 Jahren
von Andrea Heinz

Laura Freudenthaler ist keine laute Autorin, keine der hoch gehypten und schnell wieder vergessenen Nachwuchstalente, wie sie der Literaturbetrieb unaufhörlich produziert. Nicht zuletzt deshalb kann man davon ausgehen, dass die 1984 in Salzburg Geborene, die heuer auf Einladung von Jurorin Brigitte Schwens-Harrant bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur liest, eine Konstante in der zeitgenössischen Literatur bleiben wird.

Laura Freudenthaler
Foto: APA / Robert Jäger

Bereits mit ihrem zweiten, 2019 im Droschl Verlag erschienenen Roman Geistergeschichte wurde ihr im Deutschlandfunk Kultur von Ursula März attestiert, aus der Gegenwartsliteratur herauszuragen. Das tut sie, auf eine unprätentiöse und souveräne Art, in der Tat. Die plakativen, originellen Themen sind das Ihre nicht. Vielmehr wird beim Lesen ihrer Texte schnell klar: Sie hat etwas zu erzählen, ein Anliegen, das sie zielsicher, mit klarer, präziser Sprache verfolgt – und das man durchaus als eines der großen, ewigen Themen der Literatur bezeichnen kann.

Die Vorstellungswelt eines Menschen

"Mein Schreiben", sagt sie, "ist ein Arbeiten an der Uneindeutigkeit, an der unbewältigbaren Vielschichtigkeit von Welt und Wahrnehmung." Es sind keine großen Katastrophen, die sie erzählt, sie bedient sich nicht der Kolportage, nicht des Effekts in ihren Texten. Im Zentrum ihres 2017 erschienenen Debütromans Die Königin schweigt steht die Bäuerin Fanny, die in den 1930er-Jahren auf dem elterlichen Hof aufwuchs. Ihr Leben war hart und voller Schicksalsschläge, wenn auch für eine Frau ihrer Generation und Herkunft sicherlich nicht außergewöhnlich.

Freudenthaler scheint es aber in erster Linie sowieso um etwas anderes zu gehen: Die Erinnerung daran. Fannys Enkelin schenkt dieser ein Buch, möchte, dass sie das Erlebte aufschreibt. Diese analytische Aufarbeitung des Gewesenen verweigert die Großmutter – doch die Vergangenheit lässt sich nicht einfach wegschieben. Sie kehrt wieder, in Tagträumen und den wachen Stunden der Nacht. Auch in der Geistergeschichte ist es das Imaginäre, die Vorstellungswelt des Menschen, die Freudenthaler mehr interessiert als dessen Realität: Hier ist es eine 50-jährige Pianistin, die in ihrem Freijahr nach und nach den Halt verliert. Sie stellt sich vor, dass der Mann, mit dem sie seit 20 Jahren zusammenlebt, sie mit einer Jüngeren betrügt. Sie spürt die Präsenz des Mädchens, wie sie die vermeintliche Geliebte nennt. Aber gibt es überhaupt eine Geliebte? Oder verfällt Anne nur langsam dem Wahnsinn? Das lässt Freudenthaler offen.

Natürlich hat sie auch eine Beziehung zu Ingeborg Bachmann, und das nicht erst, seit sie zum gleichnamigen Wettbewerb eingeladen wurde: "Ich lese Ingeborg Bachmann seit ungefähr zwanzig Jahren, manche ihrer frühen Gedichte habe ich in mich aufgenommen, wie man das nur als Heranwachsende tut, und da sind sie noch, auch wenn mich das jugendlich schwelgerische Leiden, das ich heute darin finde, lächeln macht. Ich finde Malina beinahe nicht auszuhalten und lese das Buch im Abstand von Jahren immer wieder. Und das hat durchaus mit dem Text zu tun, den ich beim Bachmannpreis lese." (Andrea Heinz)

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Lydia Haider

Die "ärgste Frau von Wien" performt beim Bachmann-Wettlesen
von Margarete Affenzeller

Bei Lydia Haider herrscht vorzugsweise Armageddon-Stimmung. Den von ihr gesichteten Welten muss der Teufel ausgetrieben werden. Der literarische Gestus der in Oberösterreich geborenen Wiener Schriftstellerin ist exorzistisch. Meist folgt den Bestandsaufnahmen ein gottgleiches, unerbittliches finales Richten und Strafen durch herrisch-übergriffiges Deklamieren. Unendliches Kampfgebiet: Patriarchat.

Haider bemächtigt sich einer Sprache der Macht, etwa der Wucht biblischer Sprüche oder faschistoider Diktion, und lenkt sie um in eigene fatale Predigten, in denen aber immer das subversiv Komödiantische aufblitzt. Die Worte kommen dabei messerscharf dahergeflogen wie Ninja-Sterne, die alles absäbeln. Bibel-Bombast mischt sich mit Jugendslang und Dialekt. Die Referenzen reichen vom Alten Testament bis zu Stirb langsam.

Lydia Haider
Foto: Katrin Hackl

Ihren unerbittlichen Tonfall schlug Lydia Haider erstmals mit ihrem Debütroman kongregation 2015 an. Sieben jeweils sonntags "Verunglückte" eines Dorfes sind darin das Mahnmal einer an zwanghaften Gemeinschaftsbildungen ersterbenden Gesellschaft (Nationalsozialismus, katholische Kirche, aber auch die vermeintlich "Anderen"). Inzwischen sind weitere Bücher erschienen, darunter der Roman rotten oder im Vorjahr der Splatterbericht Am Ball, eine famose Verzombifizierungsfantasie über den sogenannten Akademikerball, der im STANDARD-ALBUM vorabgedruckt wurde.

Noch diesen Juni kommen bei der Kölner parasitenpresse unter dem Titel Wort des lebendigen Rottens Gedichte heraus. Haiders Schwerpunkt liegt auf Prosa, aber auch solche "satanischen Verse", die sie vorzugsweise "Gesänge" nennt, fügen sich passend in ihr Oeuvre ein. Wie sehr es da ans Eingemachte geht, das bezeugt schon der Titel ihrer 2018 publizierten Schimpfsuada Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin. Oder: Zehrung Reiser Rosi.

Verwünschung, Gewalt & Katharsis

Wahrlich... enthielt vieles von dem, was der appellativische Gestus dieser Literatur umfasst: Verwünschungen, Flüche, Abkanzelungen, Publikumsbeschimpfungen, Drohungen voller Gewalt. Das setzt beim Lesen eine gleichermaßen erschütternde wie kathartische Wirkung frei. Apropos Katharsis: Für das Volkstheater Wien schreibt Haider derzeit am ersten Theaterstück.

Haiders Texte können manchmal wie heftige Musik vor sich hinhämmern. Besonders spürbar wird das im Vortrag der Autorin selbst. Ihre performativen Fähigkeiten, die sie allein oder zum Beispiel an der Seite von Musiker Johannes Oberhuber bei Leseperformances einbringt, könnten auch beim Bachmannpreis von Vorteil sein. Schreiben geht bei ihr jedenfalls mit Musik Hand in Hand. Dass neben Musikhörexzessen auch rauschhafte Nächte zwischen Gürtel- und Wienzeile-Lokalen dem Schreibprozess vorangehen, fördert einerseits die Legendenbildung als literarischer Untergrundboss von Wien, ist aber auch ein glaubwürdiger Fakt. Haider ist Mitglied der feministischen Burschenschaft Hysteria, Texterin der liturgisch-literarischen Band Gebenedeit und Teil des Dichterinnen-Kollektivs Wiener Grippe. Der Falter adelte die 34-Jährige verständlicherweise zur "ärgsten Frau von Wien". (Margarete Affenzeller)

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Hanna Herbst

Journalistin! Feministin! Schriftstellerin?
von Mia Eidlhuber

"Wär ich doch nur Schriftstellerin!", singt sie in ihrem schön ironischen Vorstellungsvideo, das zurzeit auf der Bachmann-Homepage aufzurufen ist. "In jeder Ironie liegt ein Funken Wahrheit!", sagt Hanna Herbst. Was niemand wusste: Sie schreibt schon immer Literatur. Das erzählt die deutsch-österreichische Journalistin, die in ihrem Leben immer wieder für Überraschungsmomente gesorgt hat. Jetzt wieder, seit klar ist, dass sie beim Bachmannpreis lesen wird.

Hanna Herbst
Foto: Ingo Pertramer

Herbst hat in der Liga der unter 30-Jährigen immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt, und das nicht nur in den sozialen Medien, zuerst als Chefredakteurin beim österreichischen Vice Magazin, dann als Herausgeberin der Liga, einer Zeitschrift für Menschenrechte, und nicht zuletzt als Aktivistin und Schreiberin rund um die Themen Rechtsextremismus, Rassismus und Feminismus. Endgültig einen Namen gemacht hat sie sich mit ihrem Buch Feministin sagt man nicht, das 2018 bei Brandstätter erschienen ist. Kein klassisches Sachbuch, weil es viel aus ihrem Leben erzählt hat, aber Literatur war das nicht. Noch nicht.

Das dreißigste Jahr

Vor wenigen Tagen ist Herbst 30 geworden, und für das Bachmann-Wettlesen ist schon alles im Kasten, weil im Jahr 2020 auch bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur alles anders und digital ist, auch für die teilnehmenden Autorinnen und Autoren, die ansonsten im Klagenfurter ORF-Studio vor Ort, Jury und Publikum lesen müssten.

Dieses Jahr wurde alles aufgezeichnet, und Herbst hat ihren Text schon gelesen, da, wo sie jetzt am Telefon sitzt, nämlich in Köln, zu Hause im Homeoffice. Auch erst seit wenigen Tagen ist sie Teil der Redaktion der neuen Jan-Böhmermann-Sendung, die im Herbst im ZDF startet. Große Geheimhaltung! Das versteht sich von selbst.

Ein bisschen mehr erzählt Herbst über ihren Ausflug in die Literatur. 2019 hat sie wegen eines Jobangebots ihres Freundes auf Bali verbracht. Das war keine klassische Selbstfindungszeit, sagt sie. Trotzdem. Dort hatte sie Freiraum zum Schreiben und genug Zeit, um an einem Text zu feilen. Worauf dürfen wir also gefasst sein? Ein feministisches Manifest? Eine Politsatire? "Es wird für viele überraschend sein, wie unpolitisch ich sein kann!" So sagt sie das und dann gar nicht mehr viel.

Schon vor zwei Jahren hätte sie ein Verlag gefragt, ob sie auch Prosa schreibe. Jeder Verlag wäre verrückt, jemanden wie Herbst nicht ins Programm zu nehmen. Für den Literaturmarkt erfüllt sie jede Menge Kriterien. Von der Stadt Wien hat sie im Vorjahr das Literaturstipendium für 2020 bekommen. Herbst als neues Fräuleinwunder am Literaturhimmel? Als Feministin würde sie das so nicht stehen lassen. Inzwischen haben sich noch einmal zwei Verlage gemeldet. Aber gleich ein ganzes Buch? Gleich ein Vertrag? Mal schauen! Das sagt sie nicht, aber es kommt so rüber.

Mit der Bachmann-Teilnahme ging alles erstaunlich einfach, erzählt sie. Sie hat ihren Text an die Jurorin Insa Wilke geschickt, und die hat gemeint: Wunderbarer Text! Willst du mit mir nach Klagenfurt fahren? "Schön", sagt die Neo-Schriftstellerin, "wenn man sich exponiert und gleich so bestätigt wird!" Aus der Fahrt nach Klagenfurt ist jetzt nichts geworden. Aufregend ist es trotzdem. (Mia Eidlhuber, 14.6.2020)