Inhalte des ballesterer (ballesterer.at) #152 (Juni/Juli 2020) – Seit 13. Juni im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (kiosk.at/ballesterer)

Schwerpunkt: LASK

SIEBEN FETTE JAHRE

Wie der LASK von der Regionalliga Mitte fast bis zur Meisterschaft stürmte

DIE SAISON IHRES LEBENS

Die "Landstrassler" über die Gugl, Gruber und Graffiti

Außerdem im neuen ballesterer:

MITTAG MIT MENOTTI

Argentiniens Weltmeistertrainer im Interview

ÖL FÜR NEWCASTLE

Der Prinz und die Premier League

RECHENSPIELE IN FAVORITEN

Die Austria und ihre Stars

LETZTE LEGENDE

Josef Bertalan stürmte für die beste Rapid

FRAUEN AM RE-START

In Deutschland spielt die Bundesliga der Frauen wieder

BRIGITTENAUER AM BILDSCHIRM

Wie die Dynamo Kids durch die Coronakrise kommen

NEUSTART IN 1210

Der FV Wien Floridsdorf will andere Wege gehen

TOSKANAFRAKTION

Zu Besuch beim Fanverein CS Lebowski

DIE GROUNDS VON TANSANIA

Unterwegs mit den Simba Queens

DIE FALSCHE REGEL

Ein Anstoß zu Rassismus im Fußball

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Italien, Kroatien und Ruanda

Es ist 16.54 Uhr, als Laszlo Nemeth Linz träumen lässt. Mit einem Kopfball bringt er den LASK nach 24 Spielminuten gegen die Austria in Führung, 15.000 Zuschauer auf der Gugl jubeln. Sie sind gekommen, um das vorentscheidende Spiel um die Meisterschaft zu sehen. Fünf Runden vor Schluss treffen die zweitplatzierten Hausherren am 19. Mai 1962 auf den Tabellenführer. "Eine etwas gereizte Stimmung vor Beginn des Spiels: Akustische Kraftproben zwischen starken Schlachtenbummlergruppen aus Wien und Anhängern aus Linz", schreibt die Arbeiter-Zeitung später. Bei einem Sieg würde der LASK die Austria überholen. Doch der Traum währt nur zwei Minuten. Dann gleichen die Wiener aus, weitere zwei Minuten später gehen sie in Führung. Der LASK drückt eine Stunde auf den Ausgleich, bleibt aber unbelohnt. "Wir haben dank der größeren Reife gewonnen", sagt Austria-Trainer Karl Schlechta nach der Partie. Dem LASK bleibt nur, es wieder zu probieren. Eines Tages müssen die Wiener Klubs, die bisher jede Meisterschaft gewonnen haben, doch schlagbar sein.

Allein in Linz

Bevor er im bundesweiten Wettkampf mitmischen kann, ist der LASK schon lange in Oberösterreich erfolgreich. In der Ersten Republik dominiert er die Landesliga und gewinnt zwischen 1919 und 1934 acht Meistertitel. An der absoluten Dominanz hindert ihn zunächst nur die Vorwärts aus Steyr, die die Anfangsjahre der Liga bestimmt. Doch nach der Spaltung von ÖFB und VAFÖ 1926 trennen sich die Wege der Vereine, die Vorwärts spielt nun im Arbeiterverband, der LASK bleibt dem bürgerlichen ÖFB erhalten. Der Weg zum Arbeiterfußball ist für die Linzer nicht vorstellbar: Seit Bestehen des Klubs waren seine Funktionäre vor allem Geschäftsleute und kleine Industrielle, die Spieler Studenten und Gymnasiasten. "Der LASK war immer ein bürgerlicher Verein", sagt der Linzer Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Michael John. "Arbeiter haben sich dort nicht so richtig wohl gefühlt."

Dabei werden sie immer mehr. Als "Patenstadt des Führers" verändern die Nationalsozialisten Linz grundlegend. Zahlreiche Bauprojekte sollen aus der Provinzstadt eine Metropole machen, sie siedeln außerdem die Großindustrie an – die "Hermann-Göring-Werke", die nach dem Krieg zum Zentrum der staatlichen Stahlindustrie, der VÖEST, werden. Die Einwohnerzahl der Stadt steigt zwischen 1940 und 1950 um 50.000 auf knapp 175.000. "Linz war durchaus schon in der Ersten Republik eine Stadt, in der viele Arbeiter lebten", sagt John "Aber bis die Nazis gekommen sind, hat es die Industrie nicht in diesem Ausmaß gegeben."

Linz boomt. Auch wenn der LASK kein Arbeiterverein ist, profitiert er von der Industrie. Das Linzer Stadion eröffnet 1952, der Neubau bietet offiziell 31.000 Zuschauern Platz. Zu Beginn kann der LASK das städtische Stadion nicht vollständig füllen, gegen die großen Vereine kommen aber immerhin oft über 10.000 Fans. 1959 hat der LASK hinter Rapid und dem Wiener Sport-Club mit etwas über 5.000 Zuschauern sogar den dritthöchsten Schnitt der Liga. Während sich in Wien eine Vielzahl von Klubs gegenseitig die Zuschauer streitig macht, ist der LASK bis 1960 der einzige oberösterreichische Vertreter in der Staatsliga. In einer Zeit, in der sich die Vereine zu einem großen Teil über die Spieltagseinnahmen finanzieren, ist das ein enormer finanzieller Vorteil.

Wiener helfen Linzern

Und noch etwas passiert in diesen Jahren: Die Linzer Landstraße, die dem Verein seinen Spitznamen verleiht, wird wieder zu der eindrucksvollen Einkaufsstraße, die sie vor dem Krieg war. "Am Rande der Innenstadt habe ich auf Wiesen und in Bombenkratern Räuber und Gendarm gespielt", sagt John, der 1954 in Linz zur Welt gekommen ist. "Auf der Landstraße war davon nichts mehr zu sehen. Dort hat es sozusagen geglitzert." In den Jahren nach dem Krieg eröffnen hier viele Geschäfte, auch die von Otto Jungbauer und Hans Spiesmayer. Jungbauer verkauft Uhren und später auch Schmuck, Spiesmayer steigt zum lokalen Schuhkönig auf. Ihre Geschäfte haben sie am Schillerplatz, am südlichen Ende der Landstraße. Die beiden Geschäftsleute werden reich – und engagieren sich beim LASK. In Spiesmayers Schuhgeschäft läuft der Vorverkauf für Karten, er wird 1947 Vizepräsident. Auch Jungbauer wird in den 1950er Jahren Funktionär, beide unterstützen den Verein auch finanziell.

Der LASK gewinnt die ersten oberösterreichischen Landesmeisterschaften nach dem Krieg, pendelt in den Folgejahren aber zwischen Staats- und Landesliga. Als 1958 rechtzeitig zum 50-jährigen Bestehen der Wiederaufstieg gelingt, schreibt der damalige Vereinskassier Ernst Commenda in der Festschrift: "Wir sind ein Provinzverein mit einer Mannschaft, deren Können eben noch nicht an das der sogenannten Großen Vier (Rapid, Austria, Wacker, Vienna) heranreicht." Der Mangel an Talenten in Oberösterreich, so Commenda weiter, würde es schlicht verunmöglichen, die Wiener Vereine ernsthaft herauszufordern. Also schaut sich der LASK in Wien um. Im Sommer 1959 holt er mit Ernst und Paul Kozlicek von der Meidlinger Wacker und Rudolf Sabetzer von der Austria gleich drei Wiener. Trainer Josef Epp gibt vor der Saison das Ziel aus, besser als im Vorjahr abzuschneiden. Das gelingt ihm, der siebte Platz reicht den Verantwortlichen dennoch nicht. Epp wird entlassen.

Titelträume

Oben: Helmut Kitzmüller, Paul Kozlicek, Ferdinand Zechmeister, Hans Kondert, Gerhard Sturmberger, Manfred Pichler, Rudolf Sabetzer, Dolfi Blutsch und Masseur Meinschad – Unten: Franz Viehböck, Heribert Trubrig, Helmut Köglberger, Co-Trainer Laszlo Simko, Trainer František Bufka, Gyula Szabó, Carlos "Chico" Lima, Luka Lipošinović
Foto: APA/OOEN

Sein Nachfolger Nandor Cserna macht es besser. Zwar wird er in seiner Debütsaison als Trainer ebenfalls nur Siebter, doch in der zweiten spielt der LASK erstmals um den Titel mit. 33.000 sind im März 1962 auf der Gugl dabei, als die Linzer am 18. Spieltag als Tabellenführer den Sport-Club empfangen, nie wieder werden so viele zu einem Fußballspiel ins Linzer Stadion kommen. "Anderthalb Stunden vor Spielbeginn waren sämtliche Parkplätze in der Umgebung besetzt, wer später kam, musste einen zwei bis drei Kilometer langen Anmarschweg in Kauf nehmen", schreibt die Arbeiter-Zeitung am Tag darauf. Die Autofahrer und Fußgänger sehen eine ausgeglichene erste Hälfte und zu Beginn der zweiten zwei Tore von Paul Kozlicek. Der LASK führt nach 55 Minuten 3:1. Doch dann geht den Hausherren die Kraft aus, das Spiel endet 3:3. Es ist sinnbildlich für das Frühjahr des LASK. Als die Linzer sechs Wochen später an jenem 19. Mai auf die Austria treffen, haben sie in der Zwischenzeit kein Spiel gewonnen. Dennoch beenden sie die Saison erstmals als Vizemeister.

Der nächste Schritt soll mit noch einem Wiener gelingen: Karl Schlechta. Er hat in den beiden Vorsaisonen mit der Austria den Titel geholt, verlässt den Klub aber nach Streitigkeiten über die Vertragsverlängerung. Wie viel sich die Linzer Schlechta kosten lassen, wird nicht veröffentlicht, die Botschaft ist dennoch klar: Der LASK will Meister werden. Die operative Führung liegt bei Otto Jungbauer, der die Geschäfte leitet und zum neuen Vizepräsidenten gewählt wird. Doch der LASK kann zunächst nicht an die Erfolge anknüpfen. Zwar zieht er ins Cupfinale ein, unterliegt dort aber der Austria. In der Meisterschaft läuft es ohnehin nicht so gut, der Klub wird Fünfter.

Gipfelstürmer

Nach einem dritten Platz in der folgenden Saison kommt die Mannschaft auch 1964 schlecht in die Gänge. Beim letzten Spiel vor der Winterpause, einem 3:1 gegen Wiener Neustadt, kommen gerade einmal 2.500 Zuschauer. Es ist das letzte Spiel unter Karl Schlechta. Jungbauer holt als Nachfolger Frantisek Bufka, der bisher in der Tschechoslowakei Barnik Ostrava trainiert hat. "Bufka war furchtbar", sagt Adolf Blutsch dem ballesterer. Der Wiener Mittelfeldspieler ist 1964 nach Linz gekommen. "Er hat uns nur laufen lassen." Im Februar 1965 fährt der LASK auf das erste Trainingslager der Vereinsgeschichte. Der ORF filmt die Kicker, wie sie in Obertraun am Hallstätter See durch meterhohen Schnee laufen. Dick eingepackt müssen sie wieder und wieder auf den 2.100 Meter hohen Krippenstein. An den Meistertitel denkt damals keiner. Sechs Punkte und sechs Plätze liegt der LASK hinter Vorjahresmeister Rapid.

Die Meistermannschaft in Aktion gegen den Wiener Sportklub am 20. August 1965. Köglberger "zieht unwiderstehlich davon."
LASK Videowelt

Doch die Schinderei macht sich bezahlt: Als die Mannschaft drei Runden vor Schluss den Sport-Club 2:1 besiegt, ist sie Dritter. "Nach der Partie ist ein Journalist, der Heinz Prüller, am Feld auf mich zugelaufen und hat mir total begeistert gesagt, dass wir jetzt sogar noch Zweiter werden können", sagt Blutsch. Schon am nächsten Spieltag verspielt Tabellenführer Rapid seinen Polster, auch die zweitplatzierte Austria verliert. Nach einem 4:0 gegen den GAK liegt der LASK nur noch einen Punkt hinter den Hütteldorfern auf dem zweiten Platz.

Bevor es für die letzte Runde abermals nach Wien geht, spielt der LASK noch ein anderes Finale – jenes um den Cup. Das Hinspiel in Wiener Neustadt haben die Linzer 1:0 gewonnen, im Rückspiel sind sie der große Favorit, als erster Verein außerhalb von Wien einen nationalen Titel zu holen. "Das war schon wichtig", sagt Blutsch. "Aber uns ist es um die Meisterschaft gegangen." Das Cupfinale steigt nicht im Linzer Stadion, sondern auf dem vereinseigenen Platz in der Nähe des Donauhafens. Dennoch schickt Bufka seine beste Mannschaft aufs Feld, das 1:1 vor 8.000 Zuschauern reicht ihr. Der Jubel über den Titel fällt "wegen der mäßigen Leistung" verhalten aus, schreibt die "Arbeiter-Zeitung".

Von Döbling auf den Schillerplatz

Doch noch etwas dämpft die Euphorie der Mannschaft: Vizepräsident Jungbauer will den Spielern keine Prämien zahlen. Beim letzten Training vor dem Spiel bei der Vienna streiken sie, Jungbauer droht, im Meisterschaftsfinish die Reserve einzusetzen. "Wir haben den Eindruck gehabt, dass er gar nicht Meister werden will", sagt Blutsch. "Schließlich hat er es eingesehen. Viel hat er uns aber nicht gezahlt." Knapp 60.000 Schilling werden der gesamten Mannschaft versprochen, heißt es. Heute würde das rund 25.000 Euro entsprechen.

Die bescheidene Prämie vor Augen steigen die Spieler am 3. Juli 1965 in den Bus Richtung Wien. Die Autobahn ist noch nicht fertig ausgebaut, die Fahrt dauert vier Stunden. Doch der Mannschaft, die seit dem Winter unbesiegt ist, sind die Strapazen auf dem Platz nicht anzumerken. Schon nach elf Minuten trifft Blutsch mit einem Fernschuss. Die Vienna, für die es um nichts mehr geht, zeigt keine großen Ambitionen. Der LASK gewinnt 2:0 – und muss warten. Denn Rapid spielt zur selben Zeit gegen den abstiegsgefährdeten GAK. Erst fünf Minuten nach dem Abpfiff auf der Hohen Warte ist auch das Spiel in Graz zu Ende. Die Spieler, dicht gedrängt um ein Radio, beginnen zuerst zu jubeln, dann die 2.000 mitgereisten Fans. Rapid verliert in Graz 0:1 – der LASK ist Meister. "Wir haben uns gefreut, haben aber nicht gewusst, wohin wir jetzt gehen sollen", sagt Blutsch. "Jungbauer hat keine Meisterfeier geplant."

Also besucht die Mannschaft einen Döblinger Heurigen, erst gegen halb zwei in der Früh trifft sie in Linz ein. Dort haben LASK-Fans das Heft selbst in die Hand genommen. Auf dem Blumauerplatz, in den die Landstraße mündet, bringen sie den Mannschaftsbus zum Stehen und die Spieler zum Aussteigen. Knapp 5.000 Leute sollen es sein, die in dieser Nacht feiern. Der Schillerplatz, an dem Jungbauer und Spiesmayer ihre Geschäfte haben, wird zum Zentrum der Party. Der Traum ist Wirklichkeit geworden. Die "Oberösterreichischen Nachrichten" erklären Linz am Tag darauf zur Fußballhauptstadt Österreichs.

Der Stolz Oberösterreichs

Wenige Monate später steht die Vereinsauflösung im Raum. Im Dezember tritt der Vorstand um Jungbauer und Spiesmayer zurück, der Verein hat zu diesem Zeitpunkt rund vier Millionen Schilling Schulden. Ein Jahr nach dem Meistertitel ordnet die Stadt Linz die ersatzlose Räumung des LASK-Platzes beim Hafen an, die Steuerschulden sind zu hoch. "Jungbauer und Spiesmayer waren schillernde Persönlichkeiten", sagt Historiker John. "Und sie waren wohl auch nicht unbedingt unumstritten."

Der LASK kann sich dennoch retten: Im Frühjahr 1966 tritt der alte Vorstand erneut an, um den Verein zu sanieren. In den Jahren nach dem Titel werden Blutsch, Kozlicek und Jungstar Helmut Köglberger verkauft. Parallel dazu bittet der Klub in einer Aussendung Freunde und Sympathisanten um Hilfe. Er hat mächtige Verbündete. Die oberösterreichische ÖVP, die das Bundesland seit Kriegsende regiert, will den LASK nicht in Konkurs gehen lassen. 1968 treten Jungbauer und Spiesmayer endgültig zurück, mit Rudolf Trauner wird der Obmann der lokalen Wirtschaftskammer Präsident. Seine Partner im Präsidium sind keine Linzer Geschäftsleute, sondern oberösterreichische Industrielle. Schartner-Bombe-Eigentümer Hubert Fein steigt ebenso ein wie der Türenfabrikant Ludwig Lindpointner. Es ist die Urform der Freunde des LASK, wie das Fanportal seit1908.at die damalige Konstruktion nennt.

Trotz der vermögenden Freunde muss der Verein in den 1970er-Jahren einem anderen Linzer Klub den Vortritt lassen. 1969 steigt der SK VÖEST, die Betriebsmannschaft des Stahlwerks, in die Nationalliga auf, 1974 wird er Meister. Dem LASK bleibt seit 1965 nur, vom nächsten nationalen Titel zu träumen. (Moritz Ablinger, 15.6.2020)