Im Büro von Vizekanzler Werner Kogler im Regierungsgebäude in der Wiener Radetzkystraße tut sich ein kleiner Fahnenwald auf: Zwischen der Österreich-Flagge und jener der EU sticht sofort die Regenbogenflagge ins Auge. "Wir stellen keine Anträge, wir stellen Fahnen auf", sagt dazu der Grünen-Chef – eine Anspielung darauf, dass seine Partei unlängst einem Begehren der Neos, das für alle Ministerien eine Beflaggung mit dem Toleranzsymbol vorsah, aus Koalitionsräson mit der ÖVP nicht zugestimmt hat.

STANDARD: Wegen der Corona-Krise haben Sie mit Sebastian Kurz (ÖVP) vom Kanzleramt aus gemeinsam regiert – hat es sich nach den WG-Tagen ausgekuschelt?

Kogler: Den Begriff WG weise ich zurück, dazu wäre es nur gekommen, wenn wir bei einem Infektionsfall im Krisenstab dort alle in Quarantäne hätten gehen müssen, und: Was sich nicht eingekuschelt hat, kann sich auch nicht auskuscheln. Ich weiß zum Beispiel bis heute nicht, was die dort im Keller überhaupt an Lebensmitteln für den Ernstfall eingekühlt haben.

STANDARD: Womöglich gar nicht bio?

Kogler: Ich weiß es eben nicht – bis heute (lacht).

"Mit einem sadomasochistischen Verhältnis in der Koalition kann ich nicht dienen", sagt Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).
Foto: Andy Urban

STANDARD: Nächste Woche begibt sich Türkis-Grün am Ballhausplatz in Klausur, um weitere Corona-Hilfspakete zu schnüren. Wollen die Grünen da endlich Kante zeigen?

Kogler: Meine Prognose ist: Das Sozialpaket wird eine starke grüne Handschrift tragen, nachdem viele Menschen wegen Corona ihren Job verloren haben. Sie sollen erst einmal mit einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes für das nächste Quartal mit einer Einmalzahlung von 450 Euro unterstützt werden, das sind 150 Euro pro Monat.

STANDARD: Sollen das nur Menschen bekommen, die wegen Corona keinen Job mehr haben, oder auch Langzeitarbeitslose? Die ÖVP drängte in der Vergangenheit ja stets darauf, dass der Bezug von Arbeitslosengeld mit fortschreitender Dauer immer geringer werden soll.

Kogler: Bei dieser Erhöhung wollen wir keine Differenzierung vornehmen – ob jemand durch Corona arbeitslos wurde oder es schon davor war, weil es nun für alle schwieriger ist, einen Job zu bekommen.

STANDARD: Soll das Arbeitslosengeld dann angehoben werden, wie es die SPÖ fordert?

Kogler: Wegen der Wirtschaftskrise braucht es im Herbst ein neues Arbeitsmarktpaket – langfristig werden wir uns dann mit den Sozialpartnern auch über eine neue Kurzarbeitsform Gedanken machen müssen. Zunächst werden wir aber auch den Teil der Steuerreform für kleine Einkommensbezieher vorziehen: Der Eingangssteuersatz soll von 25 auf 20 Prozent gesenkt werden – das soll sogar rückwirkend ab 1. Jänner 2020 gelten.

STANDARD: Also für das ganze Corona-Jahr?

Kogler: Ja. Und für jene, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohn- und Einkommenssteuer zahlen, wird es eine Entlastung durch eine negative Einkommenssteuer geben, das soll hundert Euro jährlich entsprechen. Das käme etwa der vielzitierten Supermarktkassiererin zugute, die in einem Niedriglohnsegment öfter auch in Teilzeit arbeitet. Für die Familien kommt ein Kinderbonus, der am besten schon im September ausbezahlt wird.

STANDARD: Soll es für jedes Kind gleich viel geben oder ab dem zweiten Kind weniger?

Kogler: Der Bonus soll 360 Euro betragen und, anders als unter Türkis-Blau, für jedes Kind gleich hoch sein.

"Wir wollen da keine halben Sachen": Vizekanzler Werner Kogler zum Transparenzpaket, das Spendenexzesse für Parteien bald hintanhalten soll.
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STANDARD: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hielt unlängst ohne Grüne einen runden Tisch mit Experten zum anstehenden Transparenzpaket ab – dem Kernanliegen Ihrer Partei. Wird es unter Türkis-Grün zu gläsernen Parteikassen und saftigen Strafen bei Überschreiten der Wahlkampfkostenobergrenze kommen?

Kogler: Erstens hat Kollegin Edtstadler bisher nur das künftige Informationsfreiheitsgesetz vorangetrieben, das das Amtsgeheimnis ablösen soll. Uns Grünen geht es vor allem auch um die gläsernen Parteikassen – hier werden wir als Regierung mit den Parlamentsparteien zusammenarbeiten und sie bei der Legistik unterstützen. Einig sind wir uns auch mit Türkis darin, dass der Rechnungshof mehr Prüfkompetenzen erhalten soll – vieles braucht da eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat. Wir wollen da also keine halben Sachen. Ziel ist, dass noch heuer ein großes Transparenz- und Antikorruptionspaket geschnürt wird.

STANDARD: Im Wahlkampf haben Sie gefordert, dass es bei argen Verstößen auch strafrechtliche Konsequenzen setzen soll. Das werden Sie bei der ÖVP nicht durchbringen?

Kogler: Strafrechtliche Bestimmungen sind ein offener Punkt – da geb’ ich Ihnen recht. Im Regierungsprogramm haben wir klare Einsichtsrechte für den Rechnungshof drin – wogegen sich früher nicht nur die ÖVP, sondern vor allem auch die SPÖ gesträubt hat. Für Konsequenzen bei Verstößen haben wir einen Kompromiss gefunden: Da sehen wir hohe Strafen für die Parteien beim Sprengen der Wahlkampfkostenobergrenze vor. Da soll es Strafen in mehrfacher Höhe des überzogenen Betrags geben. Da ist man dann ja auch schon fast wegen fahrlässiger Krida dran.

STANDARD: Soll es beim Fall des Amtsgeheimnisses auch einen eigenen Informationsbeauftragten, also einen Vermittler zwischen anfragenden Bürgern und Behörden, geben?

Kogler: Auch hier müssen wir uns noch mit den anderen Parteien verständigen.

STANDARD: Glauben Sie eigentlich an schonungslose Aufklärung im U-Ausschuss zur Ibiza-Affäre und zu Casinos-Gate – nachdem die ÖVP mithilfe der Grünen den Untersuchungsgegenstand rund um möglichen Postenschacher eigentlich abdrehen wollte?

Kogler: Untersuchungsgegenstand und Aufklärung sind Aufgabe der Abgeordneten, das werden die zusammenbringen – natürlich hängt das auch von ihrem Geschick und der Geduld der Medien ab. In der Causa Hypo hat diese Geduld bei der Auswertung und Zusammenschau wichtiger Akten damals gefehlt ...

STANDARD: Mit Verlaub, aber dass dieser U-Ausschuss noch immer um die Übermittlung des Ibiza-Videos ringt und sich in Akten bisher kein SMS-Verkehr zwischen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Kanzler Kurz findet, ist doch sehr seltsam?

Kogler: Welche Unterlagen die Abgeordneten nun konkret brauchen oder bekommen haben, kann ich von außen nur schwer beurteilen. Ich erinnere mich daran, dass uns früher von den Ministerien nach Beschwerden oft Tonnen an Papier übermittelt wurden, um die Aufklärung erst recht zu erschweren. Und was das Video betrifft: In der neuen Verfahrensordnung ist klar geregelt, dass einander Behörden und U-Ausschüsse nicht ermittlungsschädigend in die Quere kommen sollen. Insofern kann man in der Phase noch nichts Abschließendes über fehlende Kooperation der zuständigen Behörden mit dem U-Ausschuss sagen. Im Gegensatz zu früher müssen auch die Akten umfangreicher gesichtet und verantwortungsvoller klassifiziert werden.

STANDARD: Schmerzt Sie die Regierungsbeteiligung nicht manchmal selbst?

Kogler: Derzeit schmerzt mich mein Knie, ein Fußballerschaden. Mit einem sadomasochistischen Verhältnis in der Koalition kann ich nicht dienen. Ich leb’ gelassen und fröhlich dahin nach dem, was wir Grüne in den letzten Jahren schon erlebt haben. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 13.6.2020)