Die Corona-Krise hat auf dem österreichischen Arbeitsmarkt eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Knapp 500.000 Menschen sind arbeitslos geworden, Hunderttausende sind in Kurzarbeit. Arbeitsmarktexperten hat von Beginn an die Frage beschäftigt, wo die Krise besonders hart zuschlägt. Angesichts der Ausmaße der Verwerfungen schienen aber alle Branchen und Berufsgruppen stark betroffen zu sein. Schließlich standen im April und März neben der Gastronomie auch der Handel, die Hotellerie, teilweise der Bau und die ganze Freizeitindustrie still.

Doch eine neue und bisher wenig beachtete Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) wirft nun ein anderes Licht auf die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate. Laut aktuellsten Zahlen des Wifo, die sich auf das Monat April beziehen, haben in der Krise fast ausschließlich Arbeiter ihre Beschäftigung verloren. Das Ungleichgewicht ist dramatisch: Neun von zehn verlorenen Jobs betrafen Arbeiter, nur einer Angestellte.

Der Ökonom Helmut Mahringer und seine Kollegen am Wifo haben für ihre Analysen die Entwicklung der aktuellen Beschäftigungszahlen mit jenen aus dem Vorjahr verglichen. Das ist eine andere Betrachtung, als die Arbeitslosenzahlen zu betrachten, so wie das AMS das macht. In den Arbeitslosenzahlen werden verschiedene Entwicklungen abgebildet. Auch junge Menschen, die eine Ausbildung abschließen und keinen Job finden, scheinen zum Beispiel in der Arbeitslosenstatistik auf.

Kurze Kündigungsfristen haben dafür gesorgt, dass im Verhältnis zu Angestellten nur wenige Arbeiter von der Kurzarbeit profitieren konnten.
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Durch einen reinen Vergleich der Beschäftigungszahlen können Experten mehr darüber erfahren, was sich in den Betrieben tatsächlich abgespielt hat.

Die Zahl der unselbstständig Beschäftigten ist durch die Corona-Krise um 188.900 gesunken. In der Analyse heißt es dazu: "Im April belief sich der Beschäftigungsrückgang unter Arbeiterinnen und Arbeitern auf minus zwölf Prozent, unter Angestellten und Beamten gab es dagegen mit minus 0,8 Prozent kaum Beschäftigungseinbußen."

Andere Welten

Wie ist das möglich? Allein daran, dass die Krise nicht alle Branchen exakt gleich getroffen hat, liegt es nicht. Denn es erfolgten auch in vielen Wirtschaftssektoren dramatische Einbrüche, in denen es kaum Arbeiter gibt. Das ist etwa in der Freizeit- und Kulturindustrie der Fall.

Ein großer Teil der Erklärung für die Differenz liegt im System Kurzarbeit und in den Unterschieden bei den Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte, sagt der Ökonom Mahringer.

Den gesetzlichen Rahmen für Arbeiter gibt bis heute die "Gewerbeordnung von 1859" vor. Dort ist festgelegt, dass Arbeiter binnen einer Kündigungsfrist von zwei Wochen gekündigt werden können. Kollektivverträge können davon abweichende Regeln treffen: Bauarbeiter, die noch nicht fünf Jahre im Job tätig sind, können zum Beispiel binnen fünf Tagen zum Ende der Arbeitswoche hin gekündigt werden. Bei Gebäude- und Fassadenreinigern beträgt die Kündigungsfrist eine Woche. In der Gastronomie sind es bei unbefristeten Verträgen zwei Wochen, sonst mit Saisonende.

Die Zeitspannen sind jedenfalls deutlich kürzer, als Gesetz und Kollektivverträge für Angestellte vorgeben: Hier darf oft nur zur Monatsmitte oder am Monatsende gekündigt werden, meist unter Einhaltung einer sechswöchigen Frist oder noch länger.

Wer in die Kurzarbeit kommt

Als die Krise Mitte März zugeschlagen hat, war es für viele Unternehmen interessanter, ihre Angestellten in Kurzarbeit zu schicken, als sie unter Umständen noch sechs Wochen zu bezahlen und dann zu kündigen. Das Kurzarbeitsgeld vom AMS stand auch rückwirkend ab März zu. Bei Arbeitern hingegen geht die Trennung deutlich schneller, was zu einem stärkeren Jobabbau geführt haben dürfte, so Mahringer.

Das zeigen auch Branchenvergleiche: Im Handel und bei sonstigen Dienstleistungen, zu denen auch Leiharbeit gehört, war der Rückgang der aktiv Beschäftigten ähnlich stark. Während aber im Handel mit traditionell vielen Angestellten die Kurzarbeit intensiv genutzt wurde, wurden Leiharbeiter deutlich öfter gekündigt (siehe Grafik).

Betroffen von der Kündigungswelle waren nicht nur ungelernte Arbeitskräfte, sondern auch viele Beschäftigte mit Lehrausbildung.

Andere Faktoren könnten zusätzlich eine Rolle gespielt haben, wie der Arbeitsrechtler Martin Risak sagt. So sei die Umstellung auf Homeoffice bei Angestellten tendenziell leichter und bei Arbeitern nicht immer machbar. Hinzu kommt, dass in manchen Branchen, etwa Gastgewerbe, Kündigungen üblich sind und daher weniger auf Kurzarbeit zurückgegriffen wurde.

Beachtlich ist, dass die Analyse bisher politisch nicht aufgegriffen wurde. Dabei werfen die Zahlen Fragen aus Sicht der Gewerkschaft auf, die das Kurzarbeitsmodell mitgestaltet hat. Die SPÖ ringt seit Jahren damit, wie sie Arbeiter politisch ansprechen kann, streifte aber am Thema ebenfalls bisher nicht an. Sie fordert zwar ein höheres Arbeitslosengeld, der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Hilfsprojekte lag aber auch im von der SPÖ regierten Wien anderswo, etwa beim Gastro-Gutschein für alle Haushalte.

Die Kündigungsfristen der Arbeiter werden ab 2021 an jene der Angestellten angeglichen werden, ausgenommen sind aber Branchen mit starker Saisonkomponente wie Bau und Gastronomie. Hier können die Kollektivvertragspartner weiter abweichende Regelungen treffen. (András Szigetvari, 14.6.2020)