Eine Illustration der weltweit ersten gezündeten Atombombe in Los Alamos, USA.

Foto: STANDARD

Stockholm – Trotz einer weltweit leicht gesunkenen Zahl an Atomwaffen hat das Internationale Friedensforschungsinstitut (Sipri) vor einem neuen nuklearen Wettrüsten gewarnt. Anfang dieses Jahres hätten die neun Atommächte über geschätzt rund 13.400 Atomsprengköpfe verfügt, 465 weniger als Anfang 2019, heißt es im Jahrbuch 2020 von Sipri, das am Montag in Stockholm veröffentlicht wird.

Auf und Ab

Dennoch hätten vor allem Russland und die USA die Modernisierung ihres Nukleararsenals vor dem Hintergrund auslaufender Abrüstungsverträge vorangetrieben, wird weiter in dem Dokument betont, das der Nachrichtenagentur AFP vorab vorlag.

Die leichte Verringerung bei der Zahl der Atomwaffen im vergangenen Jahr ist laut Sipri vor allem auf die Beseitigung bereits aussortierter Waffen durch Russland und die USA zurückzuführen. Diese beiden Staaten besitzen demnach aber weiterhin mehr als 90 Prozent des weltweiten Nukleararsenals.

Foto: DER STANDARD

Vertragssorgen

Deshalb zeigte sich Sipri besonders besorgt über das Auslaufen des sogenannten Neuen Start-Vertrags zwischen Moskau und Washington im Februar 2021. Dieses Abkommen begrenzt die Zahl der Atomraketen, die die USA und Russland stationieren dürfen. Die Verhandlungen über eine Verlängerung stocken jedoch, weil die US-Regierung einen Beitritt Chinas zu einem möglichen künftigen Atom-Abrüstungsvertrag verlangt, Peking dies aber ablehnt.

Das Stocken der Verhandlungen über den Neuen Start-Vertrag und das Ende des INF-Abrüstungsvertrags durch den Austritt der USA verdeutlichten, dass die Epoche der bilateralen Abrüstungsverträge zwischen Moskau und Washington zu Ende gehen könnte, erklärte der bei Sipri für Atomwaffenkontrolle zuständige Shannon Kile. Der Verlust zentraler Gesprächskanäle der beiden Länder könne zu einem "neuen nuklearen Wettrüsten" führen.

Trendumkehr

Hinzu kommt laut Sipri, dass Russland und die USA "umfassende und teure Programme" in Angriff genommen hätten, um ihre Atomsprengköpfe und die entsprechenden Raketen- und Luftwaffen-Kapazitäten zu ersetzen und zu modernisieren. Zudem seien Atomwaffen in den militärischen Planungen der beiden Länder zuletzt wieder deutlich wichtiger geworden. Damit habe sich der Trend aus der Epoche nach dem Ende des Kalten Kriegs umgekehrt, in dem das Nuklearpotenzial vorübergehend ein Stück weit an Bedeutung verloren habe.

Foto: DER STANDARD

In diese Entwicklung reihten sich laut Sipri auch andere Atommächte ein. China etwa befinde sich inmitten einer bedeutenden Modernisierung seiner nuklearen Fähigkeiten. Auch Indien und Pakistan vergrößerten langsam Umfang und Vielseitigkeit ihrer Atomstreitkräfte. Nordkorea betrachte die Atombombe weiterhin als Schlüsselelement seiner Sicherheitsstrategie.

Gesunkene Transparenz

Sipri kritisierte zudem die gesunkene Transparenz der Atommächte. So habe die US-Regierung im vergangenen Jahr entschieden, künftig keine öffentlichen Angaben mehr über den Umfang ihrer Atomstreitkräfte zu machen. Während Frankreich und Großbritannien einige Informationen zu ihren Beständen veröffentlichten, habe Russland keine detaillierten Angaben gemacht. Israel verweigert seit jeher eine Aussage zu seinen Beständen. Nordkorea verkündete lediglich Tests zu Atomwaffen. (APA/AFP, 15.6.2020)