In der Theorie soll ein Grundeinkommen Menschen finanziell absichern, wenn sie wie in der Corona-Krise gezwungen sind, nicht zu arbeiten.

Foto: Fatih Aydogdu

Wien – Es gibt ein Meme bezüglich des Grundeinkommens, und das sieht so aus: Ein Mädchen hält sich verzweifelt die Ohren zu, weil ein Junge hinter ihr allzu fest in seine Trompete bläst. Der Junge und seine überlaute Musik, so weist der ins Bild geschriebene Text aus, steht für die Vorteile des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Das Mädchen, das den Lärm um keinen Preis hören will, steht für die Regierung. Machthaber, so suggeriert das Bild, wollen einfach nicht hören, welche Vorteile das BGE bringt.

Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Initiativen für ein BGE, auch in Österreich. Gescheitert sind diese aber nicht nur am Willen der gewählten Politiker, sondern an mangelnder Unterstützung vonseiten der Bevölkerung. Ein Crowdfunding des Vereins Generation Grundeinkommen für eine Volksabstimmung scheiterte 2018. Und ein Volksbegehren, das ein BGE von 1.200 Euro forderte, erreichte im November keine 70.000 Unterschriften. Trotzdem, nur ein halbes Jahr später, ist die bedingungslose Geldleistung schon wieder ein heißes Thema. Nicht nur hierzulande, sondern weltweit.

Absicherung

Auf der Tagesordnung ist das BGE diesmal wegen der Corona-Pandemie. Ein Grundeinkommen – sofern ausreichend hoch – soll nicht nur dafür sorgen, dass Menschen nicht gezwungen sind zu arbeiten. Es soll auch finanziell absichern, wenn Menschen gezwungen sind, nicht zu arbeiten.

Dass Letzteres der Fall sein kann, haben die weltweiten Maßnahmen gegen das Virus gezeigt und manche zum Umdenken gebracht. Hunderttausende Menschen wurden in Österreich arbeitslos, mehr als eine Million Menschen gingen in Kurzarbeit.

Skepsis im Nationalrat

Die Kurzarbeit sieht für viele schon verdächtig wie eine Art Grundsicherung aus. Durch diese müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten "nur" die geleisteten Stunden zahlen, das AMS hilft mit einer Förderung für die Ausfallzeit und die Arbeitgeber-Beiträge aus. Aber speziell die 1.000 Euro monatlich, die 15.000 freischaffende Künstler für maximal ein halbes Jahr beantragen können, gehen in Richtung BGE.

Ob es nun Grundeinkommen heißt oder Bürgergeld – die Initiativen sind ähnlich, aber umstritten.
Foto: Imago / Christian Ohde

Im Nationalrat gibt es für das Grundeinkommen aber weiterhin keine Mehrheit. SPÖ-Budgetsprecher Kai Jan Krainer sagte im Nationalrat bisher am lautesten, dass über ein vorübergehendes BGE geredet werden solle. Die Grünen wollen ihre Erfahrung aus der Corona-Krise nutzen, um etwa die Mindestsicherung schneller und leichter zugänglich zu machen. Die Neos schlagen ein "Bürger_innengeld" vor, das viele Sozialleistungen in sich vereinen und nach sozialen Bedürfnissen ausbezahlt werden soll. ÖVP und FPÖ lehnten ein Grundeinkommen bereits in der Vergangenheit ab.

Die FH-Wien hat eine Multimedia-Reportage zum Grundeinkommen erstellt.

Ohne Bedingung

Für Wirtschaftsphilosoph Felix Pinkert, der an der Uni Wien den Studiengang Philosophie und Ökonomie leitet, hat die Kurzarbeit wenig mit einem Grundeinkommen zu tun. Schließlich sei die Maßnahme an die Bedingung geknüpft, dass es ein bestehendes Angestelltenverhältnis gibt. Wer keinen Arbeitsplatz hat, kann nicht in Kurzarbeit geschickt werden. Ein Grundeinkommen würde hingegen denjenigen helfen, die es schwerer haben, eine feste Stelle zu bekommen. Oder die besonders unangenehme Jobs für sehr wenig Geld erledigen – sie könnten kündigen, ohne um ihre Existenz fürchten zu müssen.

Die wirtschaftsliberale Agenda Austria ist anderer Meinung. Arbeitslosengeld, Mindestsicherung und Notstandshilfe sowie Kurzarbeit würden in Zeiten der Pandemie wie ein BGE wirken. Die einzige Bedingung, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, sei wegen der fehlenden Jobs und gesperrten Betriebe eine höchst theoretische.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen geht an alle – unabhängig von Erwerbsstatus und Einkommen und ohne Gegenleistung.
Foto: Imago / Christian Ohde

Eine Definition des BGE lautet, dass die Zahlung an alle geht, vom Erwerbsstatus und Einkommen unabhängig ist, keine Gegenleistung verlangt wird und hoch genug ist, um Existenz und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern.

Aus diesem Grund widerspricht Philosoph Pinkert der Agenda Austria, dass die derzeitigen Hilfsleistungen einem Grundeinkommen gleichkämen: Man tue so, als ob Menschen in wirtschaftlich normalen Zeiten selbstverschuldet ohne Arbeit seien. Die Bedingung, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, mache das BGE von der Existenz eines funktionierenden Arbeitsmarktes abhängig.

Steuereinnahmen müssen her

Zudem tue man, so Pinkert, als sei Kurzarbeit etwas völlig anderes als Arbeitslosigkeit. Aber: "Egal ob Arbeitslose oder Kurzarbeiter – in beiden Fällen gibt es keinen Bedarf für die Arbeitskraft", erklärt Pinkert. Dass man Letzteres Kurzarbeit nennt, zeige, welch hoher Stellenwert der Erwerbsarbeit zugeschrieben wird. Man könne aber auch ein Grundeinkommen einführen und dafür den Arbeitsmarkt flexibilisieren, so der Philosoph. Zum Beispiel, indem man Kündigungen einfacher macht. Der Vorteil wäre, dass Arbeitslosigkeit nicht so sehr mit Existenzängsten verknüpft wäre. Und auch nicht mit Druck, die erstbeste Stelle annehmen zu müssen.

Bleibt die Frage der Finanzierung. Die Agenda Austria hat durchgerechnet, was ein BGE kosten könnte: Würde Österreich alle derzeitigen Geldleistungen inklusive der Pensionen vollständig durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzen, könnte man jedem Erwachsenen etwas mehr als 700 Euro auszahlen, Kinder würden ungefähr die Hälfte bekommen. Damit wäre nicht einmal das Niveau der Mindestsicherung erreicht. Um die Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen, brauchte es rund 43 Milliarden Euro mehr als heute, rechnet die Agenda Austria vor.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde Milliarden an Steuereinnahmen verschlingen, sagen Kritiker.
Foto: Imago / Joko

Neue Steuereinnahmen müssten her, will man ein ausreichend hohes BGE zahlen. Allerdings sei jedoch nicht zielführend, die wenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht von der Krise betroffen sind, zusätzlich finanziell zu unterstützen, so die Experten der Denkfabrik mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Ausnahmesituation: "Das Geld wird an anderen Stellen momentan dringender benötigt, es zählt jeder Cent."

Mögliche Modelle werden nicht nur in Österreich durchgerechnet. Indien etwa evaluiert ein BGE als mögliches Mittel gegen die Armut im Land. In Großbritannien fordert die Royal Academy of Arts die Einführung eines Grundeinkommens, um den Menschen im Land durch die Krise zu helfen. Man solle das BGE langfristig mit anderen Sozialleistungen zusammenführen, fordert der Thinktank.

Zu niedrig in Finnland

Mancherorts wurde auch schon mit einem Grundeinkommen experimentiert. Allgemeine Schlüsse darüber, wie ein BGE wirkt, lassen sich daraus aber nicht ziehen. So hat das Grundeinkommen in Finnland unter den Empfängern zwar zu mehr Zufriedenheit und zu mehr Ehrenamt geführt. Die auf zwei Jahre befristete Leistung ging aber nur an Erwerbslose und lag mit 560 Euro weit unter dem Mindesteinkommen in Finnland. Die Organisatorin des Experiments sagte der Zeit, dass ein höheres BGE womöglich Arbeitsanreize zunichtegemacht hätte.

Mit Bedingungen in Spanien

Spanien hat mit 1. Juni ein minimales Grundeinkommen eingeführt. Aber auch hier gilt: Es ist kein bedingungsloser Geldtransfer, sondern eine Mindestabsicherung für die Ärmsten. Zwischen 460 und 1.015 Euro sollen rund 850.000 hilfsbedürftige Haushalte bekommen, Schätzungen zufolge sollen mehr als zwei Millionen Spanier Anspruch auf die Hilfe haben. Die spanische Regierung setzte die Maßnahme allerdings nicht erst wegen der Pandemie um – das Grundeinkommen stand bereits im Regierungsprogramm.

Auch in der ärmsten Welt gibt es Experimente mit bedingungslosen Geldleistungen. Derzeit läuft eines von der NGO Give Directly in Kenia, in dessen Rahmen seit 2016 Millionen an mehr als 20.000 Menschen in unterschiedlichen Dörfern ausgeschüttet wurden. Erste Ergebnisse, wie sich das BGE auswirkt, werden heuer erwartet.

Freiheit für Existenzsicherung

Vergangene Experimente in armen Weltregionen lassen vermuten, dass das Grundeinkommen die Wirtschaft ankurbelt. Wer tagtäglich schauen muss, genug auf den Teller zu bekommen, gewinnt durch ein BGE ein bisschen Freiheit, kreativ zu sein – und Zeit, sich eine robustere wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Ob ein Grundeinkommen in reichen Gesellschaften ähnliche Effekte hätte, ist unter Experten umstritten. (Aloysius Widmann, Jan Michael Marchart, 15.6.2020)