Was nicht drinnen ist, darf außen nicht vorgetäuscht werden. Ein Jogurella, auf dessen Verpackung eine rote Erdbeere abgebildet ist, muss auch eine relevante Menge an roter Erdbeere enthalten. Ansonsten scheppert es juristisch für den Hersteller des Jogurellas. In der Apotheke gelten weniger strenge Regeln als im Kühlregal im Supermarkt. Das hat zumindest in erster Instanz ein Gericht im deutschen Darmstadt festgestellt. Verbraucherverbände hatten eine Apotheke wegen eines homöopathischen Juxartikels geklagt. Konkret geht es um das Produkt "HCG C30" - einen vermeintlichen Appetitzügler und Schlankmacher auf Hormonbasis. Der Hinweis auf einen Wirkstoff auf der Etikette sei "unlauterer Wettbewerb", sagte der Kläger -  und er blitzte vorerst ab.  

Keine Hormone helfen auch nicht beim Abnhemen

HCG (Humanes Choriongonadotropin) ist ein Schwangerschaftshormon. In der stringenten Schubumkehrlogik der Homöopathen hilft HCG beim Abnehmen, weil Schwangere bekanntlich einen dicken Bauch haben. Warum Homöopathen nicht einfach Nilpferde verdünnen, um Medikamente für die Erreichung der Bikinifigur zu produzieren, verrät uns wieder niemand, so nebenbei bemerkt. 

Der Teufel steckt im Detail, und zwar in dem Appendix "C 30" auf der Etikette: "C 30" bezeichnet das Ausmaß der Verdünnung - und die entspricht der Existenz eines einzigen Moleküls einer Substanz in einem mit Wasser gefüllten Schwimmbecken, das den stattlichen Durchmesser von rund 150 Millionen Kilometern misst und das ebenso tief ist. Wir ahnen: Wir müssten sehr, sehr oft Proben aus diesem Pool ziehen, ehe wir mit sehr viel Glück auf unser einsames Hormon-Molekül stoßen. Unromantisch formuliert: Hier pflanzt ein Pharmaunternehmen und folglich die Apotheke, die das vertreibt, die Menschheit und die vertrauensseligen Patienten ganz offen und gänzlich unverdünnt mit einer Etikette, die einen Inhaltsstoff vorgaukelt.  Und das nunmehr mit dem Sanktus eines Gerichts.

Gericht argumentiert mit "stillem Einverständnis"

Das Landesgericht in Darmstadt argumentiert so: Die beklagte Apotheke spreche mit dem Produkt in erster Linie Anhänger der Homöopathie an, und denen sei die absurd hohe Verdünnung ja bekannt und bewusst. Hier vermerkt der Blogger und der gelegentliche Apothekenbesucher: Der Richter besucht offenbar selten Apotheken. Dass dort nur überzeugten Homöopathie-Gläubigen die bizarren Homöopathika angeboten werden, ist eine Mär. Dass das Apothekenpersonal pflichtbewusst anmerkt, was Sache ist, wenn es Homöopathika über den Ladentisch schiebt, ist ein frommer Wunsch: "Ich geb' Ihnen da noch etwas mit, allerdings ganz ohne Inhaltsstoffe, vergessen sie das, was auf der Etikette steht. Mehr als einen Placebo-Effekt dürfen Sie nicht erwarten." Derlei Ehrlichkeit hat der Blogger noch nie vernommen. Apotheken, die sich dem homöopathischen Schwindel aus Überzeugung verweigern, sind eine Rarität. 

Warum kein Heil-Weihwasser für Christen aus der Apotheke

Was das Gericht in Darmstadt sagt: Erlaubt ist, was gefällt und Magie ist in der Apotheke willkommen, so lange sich Kunden dafür begeistern wollen. Was nahe liegt, wäre ich ein Apotheker: Ich würde Heil-Weihwasser feilbieten. Heil-Weihwasser gegen jedes mögliche Zipperlein, gegen Krebs und Koliken, gegen Fersensporn, Furunkel und Fieberblasen. Heil-Weihwasser aus Lourdes, Allerheiligen im Mühlviertel  und aus Bethlehem und Byzanz. Das Produktportfolio würde ich mit eher profanen Angeboten aufpeppen: Ziel-Heilwasser mit einem behaupteten Hauch von Ronaldo für den Mittelfeld-Rackerer aus der 2. Klasse Ybbstal, damit er die Spitzkicker aus dem Nachbardorf bei nächsten Derby in den Tabellenkeller donnert. In meinem Regal würden auch die Casanova-Tropfen für Strache, schwächelnde und liebeshungrige Männer nicht fehlen, die aus einer Quelle stammen, an der Frauenfreund Robbie Williams vielleicht einmal vorbei gegangen ist und auf die er seine aphrodisierende Attitüde übertragen hat. Unseriös, Einwände? Ich würde vor Gericht entgegnen: Das Heil-Weihwasser ist ohnehin für Christen gedacht, die sich der Inhaltslosigkeit des Heil-Weihwassers bewusst sind. 

Die Inhaltslosigkeit wird in zweiter Instanz thematisiert werden 

Zurück zum konkreten Fall: Auf die Entscheidung in zweiter Instanz darf man gespannt sein. Was fix ist: Die Chuzpe angeblich vorhandener Wirkstoffe in homöopathischen Hochpotenzen wird einmal mehr thematisiert werden. Der Wiener Wirtschaftsrecht-Anwalt Sascha Jung brachte in einem Beitrag zu dem Thema bereits auf den Punkt, was auf den Etiketten homöopathischer Hochpotenzen vermerkt sein müsste, um die Sache juristisch sauber darzustellen: "Dieses Produkt enthält Zucker und Wasser mit einer wissenschaftlich nicht nachweisbaren Menge eines bestimmten Ausgangsstoffes." 

Funfact zum angeblichen Schlankmacher "HCG C 30". Wer nach dem Produkt sucht, findet auch Globuli des Herstellers "Natur Total". Und was verspricht die Etikette des homöopathischen Hormonpräparats: "100 % hormonfrei". Ehrlicher war Homöopathie noch nie. (Christian Kreil, 18.6.2020)

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