Die TV-Ansprache von Macron war für viele Zuseher enttäuschend.

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Wenn keiner mehr da ist, um die erbrachte Leistung zu würdigen, bleibt nur noch Eigenlob. "Wir haben es gut gemacht", fand Emmanuel Macron am Sonntagabend, als er auf mehreren TV-Kanälen die Wiederaufnahme des Schulunterrichts und einen Neustart für Tourismus und Kultur verkündete. Nachdem der Präsident im März an gleicher Stelle erklärt hatte, Frankreich befinde sich "im Krieg" gegen das Coronavirus, bezeichnete er sich nun als "glücklich über diesen ersten Sieg". Dieser gebühre der Regierung, die "ohne Unterlass gearbeitet" habe.

Die 24 Millionen Fernsehzuschauer scheinen nicht ganz dieser Meinung zu sein: Laut Umfragen denken 70 Prozent der Franzosen, dass ihnen die Regierung während der Krise "die Wahrheit vorenthalten" habe. In Erinnerung bleibt ein Auftritt Macrons vor drei Monaten im damals hart getroffenen Elsass: Der Präsident trug eine Mund-Nasen-Maske, obwohl seine Minister zuvor tagelang erklärt hatten, ein solcher Gesichtsschutz bringe nichts. Offensichtlich wollte die Regierung damit nur verbergen, dass sie nicht vorgesorgt hatte und es landesweit dramatisch an Masken und Covid-Tests mangelte. Über hundert Ärzte, Politiker und andere Bürger haben deshalb schon Klage wegen fahrlässiger Tötung gegen die Behörden erhoben.

Macron räumte am Sonntagabend ein, es habe gewiss Fehler gegeben. Der Einsatz der Staatsführung habe aber tausende Leben gerettet. "Meine lieben Mitbürger", befand Macron, "wir haben angesichts dieser Bilanz nicht zu erröten!"

Wirtschaft bricht um bis zu 14 Prozent ein

Statt Eigenlob hätten die Franzosen eher Angaben erwartet, wie der Präsident das Land wieder auf Kurs bringen will. Nach OECD-Schätzungen dürfte Frankreichs Wirtschaft in diesem Jahr um elf bis 14 Prozent einbrechen – mehr als anderswo in Europa. Allein im April sind 840.000 Franzosen arbeitslos geworden. Auch die Staatsschuld schnellt in die Höhe und dürfte bald 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.

Macron meinte aber nur vage, er wolle die Steuern nicht erhöhen, und die Franzosen müssten "mehr arbeiten". Für Frankreich gelte nun die Losung "Unabhängigkeit, Solidarität und Ökologie". Links- wie Rechtspolitiker taten Macrons Auftritt als surreal oder bestenfalls nichtssagend ab. Seine einst dominante Position in der politischen Mitte verkehrt sich in ihr Gegenteil: Macron gerät selbst zwischen die politischen Fronten, die er aufbrechen und vereinen wollte.

So auch in der Frage der "sichtbaren Minderheiten", wie man in Frankreich sagt. Macron versprach in seiner neuesten TV-Ansprache "starke Entscheidungen", damit die Hautfarbe der jungen Franzosen bei der Arbeits- und Wohnungssuche keine Rolle spiele. "Wir werden unerbittlich gegen den Rassismus" vorgehen, erklärte er an die Adresse jener 15.000 Demonstranten, die am Vortag in Paris gegen Polizeigewalt und Diskriminierung auf die Straße gegangen waren.

Gegen Entfernung von Statuen

Zugleich sprach sich Macron gegen jede Umdeutung historischer Ereignisse oder die Entfernung umstrittener Statuen aus. Dezidiert stellte sich der Präsident hinter die Polizei. Ihr sprach er seine Anerkennung aus, da nur sie die republikanische Ordnung gewährleiste.

Damit vergrätzt Macron letztlich beide Seiten. Einige Demo-Teilnehmer beschimpften die Sicherheitskräfte als "Macrons Huren". Zugleich gingen nach seiner Fernsehansprache auch Polizisten in der Nähe des Eiffelturms auf die Straße – gegen Macron. Wie schon in den Vortagen warfen sie ihre Handschellen zu Boden, um gegen das von der Regierung erlassene Würgeverbot zu protestieren.

Fazit: Macron hat es wieder einmal mit allen verdorben. Oder, weiter gefasst: Vom Glückspilz der letzten Präsidentschaftskampagne – als ein Macron-Rivale nach dem anderen wie durch Zauberhand das Handtuch warf – mutiert der 42-Jährige zum Pechvogel der Corona-Krise: Seine wichtigsten Errungenschaften wie etwa die Rentenreform sind seit März schlicht weggefegt worden. Mit seinem abgehobenen Auftreten ist Macron vor allem auf der Linken, die sich von dem "Präsidenten der Reichen" verraten fühlt, fast zu einer Hassfigur geworden. In den Meinungsumfragen ist der Staatschef hinter seinen eigenen Premierminister Edouard Philippe zurückgefallen.

Quittung bei Kommunalwahlen

Die Quittung dürfte er am 28. Juni erhalten, wenn die durch die Pandemie unterbrochenen Kommunalwahlen mit dem zweiten Wahlgang abgeschlossen werden. In den meisten Städten wie Paris, Lyon, Bordeaux oder Marseille stehen die anfangs hoffnungsvollen Macron-Kandidaten heute sehr schlecht da. Die Präsidentschaftswahl 2022, die auf ein Rematch zwischen Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen hinauslaufen könnten, kündigt sich als Zitterpartie an. (Stefan Brändle aus Paris, 15.6.2020)