Josef Geisler entschuldigte sich. Für die ÖVP ist es damit erledigt.

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Die Diskussionen über den Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) und seinen verbalen Ausraster gegenüber der WWF-Gewässerschutzsprecherin Marianne Götsch wollen nicht abreißen. Das ist gut, denn es geht dabei um einige grundsätzliche Fragen. Zum Beispiel, was hinter einer solchen Debatte steht, die nun viele "gerade in diesen Zeiten!" für verzichtbar halten – wie etwa der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Der betonte, dass er sich niemanden, auch nicht Geisler, "aus der Regierung herausschießen" lasse.

Wichtig ist auch, dass das Ganze nicht mit einer Feminismusdebatte verwechselt wird, und die Frage, ob tatsächlich vor allem die Tiroler ÖVP ein Problem mit strukturellem Sexismus hat.

Genervt von diesem Tamtam

Worum es geht es also im Grunde? Um einen Machtkampf, den Männer wie Geisler oder auch Platter in der Form nicht kennen. Erstens, weil ihr Gegenüber Frauen sind, was schon einmal ungewohnt ist, und zweitens, weil es um etwas geht, das die Herren erst seit fünf Minuten als Problem wahrnehmen: Sexismus. Sie hörten zwar davon, haben ihn aber nie erlebt und erkennen ihn kaum, wenn er passiert. Doch sie wissen, dass es so nicht mehr geht mit dem Sexismus. Ob sie Sexismus nur als politischen Stolperstein wahrnehmen oder als ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem, das sei dahingestellt. Jedenfalls zeigt sich Platter inzwischen genervt von dem Tamtam darum, so als könne er nicht glauben, dass man es nach einer Entschuldigung nicht gut sein lassen kann. Schließlich ist man es gewohnt zu bestimmen, wann es genug ist. So wie es Geisler nicht glauben konnte, dass er einer Frau nicht vorschreiben kann, wann sie fertig zu sein hat mit reden.

Andere können hingegen nicht glauben, dass man nach so einer Aussage in der Öffentlichkeit nicht sofort gehen muss. Doch die dominantere Stimmung ist noch immer Unverständnis darüber, warum einige Frauen keine Ruhe geben, anstatt darüber erstaunt zu sein, warum Geisler nicht zurücktritt. Es ist also keine Kleinigkeit, denn es geht darum, wer über Grenzen bestimmt. Es geht um Definitionsmacht. Dass das keine Nebensache ist, zeigen derzeit wieder einmal die wackeren Befürworter*innen des N*-Wortes und des Begriffes der "Menschenrassen". Sie lassen sich trotz der neuen erschütternden Enthüllungen über die Gewalt gegen schwarze Menschen einmal mehr nicht beeindrucken. Die Frage, wer bestimmt, was wir als Gesellschaft verändern und nicht mehr akzeptieren wollen, ist wichtig. Und deshalb sollten wir uns auch nicht mit angeblichen "Feminismusdebatten" ablenken lassen.

Wir haben keine Feminismusdebatte

Feminismus ist kein "geschützter" Begriff. Der Einsatz für Gleichberechtigung, Autonomie und Freiheit für alle Menschen, das trifft es schon ganz gut, doch es lässt freilich auch viele unterschiedliche Prioritätensetzungen und Interpretationen zu. Und es gibt auch haarsträubende Zuschreibungen an "den Feminismus", und leider packen hier auch Politikerinnen beherzt zu, die eigentlich ganz gut über das allgemeine Verständnis von Feminismus Bescheid wissen. Wie aktuell Ingrid Felipe, wenn sie sagt, "Auge um Auge" sei nicht ihr feministisches Verständnis. Wer hat je behauptet, dass "biblische Rachegelüste", wie es Kollegin Brigitte Theißl schön formulierte, ein feministisches Verständnis wären? Oder erinnern wir uns auch an die endlos zitierte Aussage der früheren Liste-Jetzt-Chefin Maria Stern, als sie ihren Rückzug aus dem Nationalrat zugunsten von Peter Pilz als "zutiefst feministischen Akt" verstanden wissen wollte.

Griffiges Beispiel

Beides ist Unfug, keine Frage, trotzdem sollten wir bei der Sache bleiben und nicht in Richtung "Feminismusdebatte" abbiegen. Genau davon war aber vergangene Woche in der "ZiB 2" die Rede, bestimmt nicht in der Absicht, ablenken zu wollen. Trotzdem begünstigen solche Formulierungen das Vorurteil, dass "diese Feministinnen selber schon gar nicht mehr wissen, was sie alles wollen", und von ihren endlosen Debatten in einer geschützten Blase. So eine Verzerrung wäre schade, haben wir doch gerade ein griffiges Beispiel dafür, wie männliche Politiker noch immer öffentlich agieren dürfen – während wir an den Frauen in der Politik ihre Feminismusdefinitionen kritisieren. Bleiben wir also beim eigentlichen Skandal: Ein hoher Politiker einer Regierungspartei nennt eine Debattengegnerin "widerwärtiges Luder" – und bleibt im Amt.

"Keine Freude" haben reicht nicht

Schließlich noch zu einer Sache, die Sigi Maurer kürzlich zur Causa Geisler gesagt hat: Der Vorfall und der Umgang damit zeigten, dass die Tiroler ÖVP dringend eine intensive Auseinandersetzung mit strukturellem Sexismus brauche. Das mag stimmen, aber darüber darf man keinesfalls vergessen, dass der türkise Regierungspartner auf Bundesebene seit Jahrzehnten nichts gegen diesen strukturellen Sexismus tut. Frauen als Ministerinnen allein zählen nicht. Keine von ihnen, nicht einmal Frauenministerin Susanne Raab, erhebt ernsthaften Ein- oder Widerspruch. Eine Aussage wie jene Geislers zu verurteilen, wie es ÖVP-Politikerinnen jetzt tun, reicht nicht. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) meinte in der ORF-"Pressestunde" gar, sie habe mit dem "Luder"-Sager keine Freude gehabt. Da drängt sich schon die Frage auf, wie wenig man sich von einer Bundesregierung, die des Öfteren ihren höchsten Frauenanteil bejubelt, eigentlich erwarten darf. Außerdem: Es ist auch Männern nicht verboten, dazu klar Stellung zu nehmen. Tut aber keiner.

Die einzige ÖVP-Frau, die Geisler einen Rücktritt nahelegt, ist die ehemalige Frauenministerin Maria Rauch-Kallat. Ein Politiker, der nicht imstande ist, respektvoll mit politischen Gegner*innen umzugehen, müsse sich fragen, ob er auf dem richtigen Platz sei, so Rauch-Kallat. Sie ist sich auch sicher, dass er sich einem Mann gegenüber nie so respektlos geäußert hätte. Die aktiven ÖVP-Politikerinnen beschränken sich aufs Verurteilen – personelle Konsequenzen brauche es aber keine. So hält man strukturellen Sexismus auch am Leben. (Beate Hausbichler, 16.6.2020)