Mit Liegestuhl auf der Ringstraße: Vereinzelt gibt es Versuche, die Autos hintanzustellen. Statt punktueller Aktionen soll es künftig aber vermehrt Verkehrsberuhigung geben. Das sehen zumindest Konzepte vor.

Foto: Matthias Cremer

Im August haben die Autofahrer das Nachsehen. Nämlich am Wiener Neubaugürtel, der für ein Sommerprojekt gesperrt wird. Ein Swimmingpool in Form eines alten Frachtcontainers wird auf der siebenspurigen Gürtelkreuzung aufgestellt. Autos müssen ausweichen. Rund um das Schwimmbecken gibt es Kunstrasen, Liegestühle, Wassersprenganlagen und Pflanzentröge. Der Ort soll nicht nur zur Abkühlung dienen, sondern auch ein Aufenthaltsraum für die Bewohnerinnen und Bewohner der näheren Umgebung sein und als Kulturtreffpunkt dienen.

Die Ankündigung der Bezirke Neubau und Rudolfsheim-Fünfhaus, die das Projekt hauptsächlich finanzieren, sorgte für Aufregung. Für die Opposition stellt die "Gürtelfrische West" eine regelrechte Provokation dar. Von Steuergeldverschwendung war sogleich die Rede sowie von einer "Schikane gegen Autofahrer".

Sind solche Interventionen notwendig, um längerfristig ein Umdenken in der Gestaltung des öffentlichen Raums in Wien zu erreichen? Erreicht man nur so, dass die Aufteilung der Plätze und Straßen künftig gleichberechtigter funktioniert und nicht nur autozentriert geplant wird?

Mara Verlič, Expertin für Kommunalpolitik und Wohnen bei der Arbeiterkammer Wien, findet es grundsätzlich begrüßenswert, wenn man Orte schafft, die zum Verweilen einladen: "Verkehr soll nicht das Einzige sein, was Platz im öffentlichen Raum hat."

Temporär und langfristig

Kleine Naherholungsmöglichkeiten seien gefragt, auch in temporärer Nutzung, wenngleich es wünschenswert sei, längerfristige Möglichkeiten zu schaffen. Ein Vorschlag betrifft die Mehrfachnutzung von Schulsportplätzen, die man außerhalb der Schulzeiten zugänglich machen könnte.

An sich habe Wien gute Voraussetzungen dafür, sich im Freien aufzuhalten. Die Soziologin führt Naherholungsgebiete wie die Donauinsel, den Prater oder die Lobau an. Es gebe bereits viel Grünraum und für die jeweilige Entstehungszeit auch mutige Projekte.

Aber der Grünraum sei oft ungleich verteilt. Nicht jede Wohnlage habe Zugang dazu. So seien Bezirke wie Favoriten oder Rudolfsheim-Fünfhaus stark bebaut. Verlič hält es für notwendig, dass Ausgleich geschaffen wird und Mittel dort eingesetzt werden, wo es nicht so viele Möglichkeiten für das Verweilen im Freien gibt.

Platz für Wien sammelt Unterschriften für die Verkehrswende
DER STANDARD

Coronavirus zeigt Bedarf an öffentlichen Raum

Die Corona-Zeit habe die Bedeutung des öffentlichen Raums noch einmal hervorgehoben. In der Krise, wo man stark an die eigenen vier Wände gebunden war, habe sich gezeigt, dass das Wohnumfeld funktionieren müsse: wie wichtig etwa Nahversorgung ist, wenn man in der eigenen Mobilität eingeschränkt ist. Durch die Corona-Krise sei aber auch deutlich geworden, wie ungleich der Wohnraum ausgestattet ist. 50 Prozent der Wohnungen haben einen Balkon, nur sechs Prozent in Wien einen eigenen Garten.

Auch Gentrifizierung spielt beim Thema öffentlicher Raum eine Rolle. Durch die Aufwertung mancher Wohngebiete kommt es zu einem Verdrängungseffekt im Hinblick auf die einkommensschwache Bevölkerung. In gewisser Hinsicht also ein zweischneidiges Schwert, wobei es natürlich grundsätzlich wünschenswert sei, dass es qualitätsvollen öffentlichen Raum gebe. Jedoch sollte sich das nicht in Mietpreissteigerungen niederschlagen, so Verlič. Ein wichtiges Vehikel, damit Mietpreise nicht ins Unermessliche steigen, wäre, dass die Möglichkeit befristeter Mietverträge eingeschränkt wird.

Dominanz der Autos

Platz für Wien – das fordern auch die Begründer einer gleichnamigen Initiative. Ulrich Leth, Verkehrsplaner an der Technischen Universität Wien, nennt als Ziel die Schaffung einer "flächengerechten, klimagerechten und kindgerechten Stadt".

Derzeit sei die Flächenverteilung "deutlich verzerrt zum Autoverkehr hin", das ließe sich auch in Zahlen ausdrücken. Die Corona-Krise habe dazu beigetragen, dass das den Menschen aufgefallen sei. "Man hat sich getraut, mit dem Rad zu fahren, und hat in der Lockdown-Phase gemerkt, dass es immer so sein sollte." Apropos Zahlen: Laut Modal Split werden immer noch rund ein Viertel aller Wege mit dem Auto zurückgelegt.

"Wenn man sich international umschaut, wäre noch mehr drinnen gewesen", resümiert Leth die Corona-Zeit, wenngleich er Initiativen wie die Pop-up-Radwege begrüßt. Nun sei das "window of opportunity" aber wieder zu.

Bei der Ankündigung, dass der erste Bezirk weitgehend autofrei werden soll, ist Leth noch vorsichtig. Details zur Umsetzung seien offen. Die Frage sei, auf was sich Bezirk und Stadt einigen und ob der Bezirk dann auch tatsächlich autofrei wirke.

Das Um und Auf

Ein verstärktes In-die-Pflicht-Nehmen der Bezirke sieht er jedenfalls als das Um und Auf. Auf Stadtebene gebe es schon viele Konzepte, aber auf Bezirksebene werde oft das Gegenteil gemacht.

Sammeln will die Initiative 57.255 Unterschriften, das entspricht dem Stimmenziel eines Volksbegehrens. Letzteres durchzuführen sei aber nicht das vorrangige Ziel. Zufrieden würde man sich auch schon damit geben, wenn alle Forderungen im nächsten Koalitionsabkommen stehen – egal welche Parteien es unterzeichnen. (Rosa Winkler-Hermaden, 16.6.2020)