In einem Leserbrief meldet sich Barbara Kaudel-Jensen, Botschafterin und für EU-Fragen zuständige Sektionsleiterin im Bundeskanzleramt, mit einer Replik auf Stefan Brocza zu Wort. Der Europarechtsexperte widmete sich im Gastkommentar der Äußerung von Sebastian Kurz, die Schweiz sei nicht an EU-Regeln gebunden.

Wenn man nun von den Polemiken gegen den Bundeskanzler absieht, ihn als eine Art Mini-Donald-Trump zu bezeichnen, der Fake-News verbreite, oder als Studienabbrecher, sowie den nachvollziehbaren Emotionen des Herrn Brocza in Bezug auf die notwendigen engen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, ist dennoch festzuhalten, dass die Fakten eine klare Sprache sprechen.

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Das EU-Regelwerk für staatliche Beihilfen gilt so nicht für die Schweiz.
Foto: Reuters / Arnd Wiegmann

Herr Brocza zählt zwar eine Reihe bilateraler Verträge zwischen der EU und der Schweiz auf, zweifelsohne um beim Leser zu suggerieren, der Sachverhalt wäre sonnenklar. Herr Brocza irrt aber, und der Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt, dass die Schweiz bei der Bekämpfung der Corona-Krise und Wiederbelebung der Wirtschaft nicht im selben Maße an EU-Regeln gebunden ist, wie wir es beispielsweise in Österreich als EU-Mitgliedstaat sind. Denn das EU-Regelwerk betreffend staatliche Beihilfen gilt so nicht für die Schweiz. Bekanntlich ist die mögliche Anwendbarkeit und spätere Kontrolle dieser Regeln auch einer der Gründe, weshalb das ausverhandelte institutionelle Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz in manchen Teilen der Schweiz auf so große Skepsis beziehungsweise Ablehnung stößt.

Intensive Anbindung

Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass die intensive Anbindung der Schweiz an die Europäische Union dem österreichischen Bundeskanzler nicht nur bewusst, sondern ein besonderes Anliegen ist, für das er sich auf EU-Ebene regelmäßig einsetzt beziehungsweise eingesetzt hat. Die Bundesregierung der Schweiz, deren Bundespräsident Bundeskanzler Kurz zuletzt im November 2018 unter österreichischem EU-Vorsitz besucht hat beziehungsweise deren Bundespräsidentin er im Jänner 2020 in Wien empfangen hat, ist Österreich dafür auch stets sehr dankbar. Ich stehe gerne zur Verfügung, um diese Fragen im Detail mit Herrn Brocza zu erörtern und zu besprechen, wie wir Fortschritte in den Beziehungen zwischen der EU und unserem Nachbarland Schweiz erzielen können – auch im Hinblick auf einen Abschluss des institutionellen Rahmenabkommens.

Abschließend festgehalten entbehrt es jedenfalls nicht einer gewissen Ironie, wenn Herr Brocza dem Kurier zwar vorwirft, falsche Fakten ungeprüft in Form eines Interviews zu verbreiten, nun aber die im STANDARD von ihm selbst aufgestellten Behauptungen nicht den Fakten entsprechen. Dass Herr Brocza dies tun konnte, ist gut, denn es ist die Aufgabe liberaler Medien, ein möglichst breites Meinungsspektrum auf den Meinungsseiten abzubilden. Zugleich sind Meinungen von Fakten zu unterscheiden, in diesem Fall umso mehr, als die Meinung den Fakten so eindeutig widerspricht.

Barbara Kaudel-Jensen, Botschafterin und für EU-Fragen zuständige Sektionsleiterin im Bundeskanzleramt (16.6.2020)