Gabriel Felbermayr, Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, fordert im Gastkommentar schnelle Adaptierungen der Stabilisierungsprogramme. Skeptisch sieht er die Senkung der Mehrwertsteuer als Antwort auf den ausbleibenden Konsum während der Corona-Krise.

Die Weltwirtschaft befindet sich im tiefsten Abschwung seit den 1920er-Jahren. Alle Länder und Wirtschaftszweige sind von der Corona-Krise betroffen, wobei die Eurozone im Zentrum der Kernschmelze steht. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Euroraums im Jahr 2020 um 8,4 Prozent kleiner sein wird als jenes des Jahres 2019. Österreich kommt wohl etwas besser davon, aber auch hierorts wird die Schrumpfung von voraussichtlich 5,8 Prozent historisch sein.

Die Prognosen gehen davon aus, dass es gelingt, die Wirtschaft im dritten Quartal zu stabilisieren. Die Signale sind gemischt. In Deutschland und Österreich liegt der Stromverbrauch immer noch um zehn Prozent unter dem normalen Niveau. Aktuelle Daten zum Schiffsverkehr zeigen, dass der internationale Handel noch keine Erholungstendenzen zeigt. Der private Konsum hingegen scheint wieder etwas anzuziehen. Dennoch wird das zweite Quartal 2020 jenes mit der höchsten Sparquote der letzten 30 Jahre sein.

Wie weckt man die Lust am Konsum wieder? Nicht unbedingt durch eine Mehrwertsteuersenkung.
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Vier Kriterien

Fast alle EU-Mitglieder haben schuldenfinanzierte Stabilisierungsmaßnahmen in großer Zahl und Variantenvielfalt ergriffen, die das Ziel haben, eine massive Insolvenzwelle zu vermeiden und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich übernimmt der Staat Teile der Fixkosten von Unternehmen, wenn der Umsatz über eine Schwelle hinweg eingebrochen ist. Der Staat befreit mit dem Kurzarbeitergeld die Unternehmen von Arbeitskosten. Und er bezuschusst Kredite, um Liquidität zu sichern. Diese Programme wurden in sehr kurzer Zeit entwickelt; nun wäre es an der Zeit, sie zu perfektionieren.

Vier Kriterien sind entscheidend: Erstens müssen die Unternehmen schnell und unbürokratisch zu den notwendigen Hilfen kommen. Zweitens geht es nicht nur um die Liquidität der Firmen, sondern zunehmend um deren Solvenz. Drittens dürfen die Programme nicht die Anreize der Unternehmen gefährden, selbst alles zu tun, um aus der Krise zu kommen. Und schließlich muss am Ende sichergestellt sein, dass die volkswirtschaftlichen Kosten der Bekämpfung von Covid-19 gerecht verteilt sind.

Schlechte Indikatoren

Um diese Kriterien zu erfüllen, sollten die Stabilisierungsprogramme so schnell wie möglich umgestellt werden. Sie sollten sich nicht am Umsatzentfall individueller Unternehmen orientieren, sondern am durchschnittlich weggebrochenen Betriebsüberschuss eng definierter Branchen. Umsätze sind schlechte Indikatoren für die volkswirtschaftlich relevante Wertschöpfung und für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Und knüpfen die Hilfen an individuellen Unternehmensgrößen an, kann es zu kontraproduktiven Anpassungen der Unternehmenspolitik kommen, um die Schwellenwerte zu erreichen und so in den Genuss der Hilfen zu kommen.

Ein ideales Stabilisierungsprogramm ersetzt den Unternehmen, unabhängig von ihrer individuellen Betroffenheit, einen Anteil am prozentuellen durchschnittlichen Einbruch der Betriebsüberschüsse einer Branche. Fällt etwa in der Hotellerie in einem Bundesland im Vergleich zu 2019 im laufenden Jahr branchenweit die Hälfte der Betriebsüberschüsse weg, so sollte der Staat jedem Unternehmen 50 Prozent seiner letztjährigen Betriebsüberschüsse abzüglich eines Selbstbehaltes überweisen.

Anreizkompatibel und gerecht

Somit stellen sich Unternehmen, die den Branchendurchschnitt schlagen, besser; solche, die im Vorjahr schon kaum Betriebsüberschüsse erwirtschaftet haben, erhalten entsprechend auch nur wenig Ersatz. Alle Branchen werden nach derselben Regel behandelt, aber stark betroffene Branchen erhalten höhere Zahlungen. Unternehmensgröße, Branchenzugehörigkeit, Rechtsform sind hierfür irrelevant. Die Finanzämter administrieren das System. Bereits geleistete Zahlungen werden verrechnet.

Ein solches System würde zwar die existierenden Programme weitgehend ersetzen, es wäre anreizkompatibel und gerecht; wäre es aber nicht schlicht zu teuer? Weil die Betriebsüberschüsse Teil des BIP sind, kann ihr teilweiser Ersatz nicht teurer sein als der Rückgang des BIP, der ohne das System entstünde. Die existierenden Prognosen zum BIP und zu den Kosten der bereits geplanten Maßnahmen können hierfür als Obergrenzend dienen.

Vergällte Lust am Konsum

Braucht es neben den Stabilisierungsmaßnahmen auch ein Konjunkturpaket, das die Massenkaufkraft stützt? Die deutsche Politik hat diese Frage vehement bejaht und eine Mehrwertsteuersenkung im Umfang von 20 Milliarden Euro für sechs Monate beschlossen, um den Konsum zu beleben. Die Therapie fußt vermutlich aber auf einer Fehldiagnose: Die durchschnittlichen verfügbaren Einkommen der Haushalte sind in der Krise relativ stabil geblieben, die Verbraucherpreise stagnieren. Die Kaufzurückhaltung hat also andere Gründe: Erstens vergällen die noch geltenden Auflagen vielen Menschen die Lust am Konsum; zweitens haben viele Angst vor Arbeitsplatzverlust und halten deswegen ihr Geld zusammen. Beides wird durch die Mehrwertsteuersenkung nicht gemildert. Für die wirklich betroffenen Haushalte wäre eine kurzfristige Aufstockung der Grundsicherung oder eine schnellere Anhebung der Lohnersatzrate im Kurzarbeitsgeld hilfreich und treffsicher gewesen. Was dem Massenkonsum aber wirklich hilft, sind eine weitere Lockerung der Auflagen, sobald dies seuchenpolitisch vertretbar ist, und glaubwürdige Stabilisierungsmaßnahmen – so wie oben beschrieben.

Und schließlich: Es geht gerade auch bei der Belebung des Konsums um Erwartungen über die Zukunft. Daher ist gerade in der Krise so wichtig, die Qualität des Wirtschaftsstandorts im Blick zu haben. Nur so werden Jobs langfristig gesichert. Es braucht Strukturreformen und Investitionen für zukünftiges Wachstum. Das deutsche Zukunftspaket könnte für Österreich eine Vorlage sein; umgekehrt wäre es zu begrüßen, wenn die in Österreich geplante Steuersenkung auch in Deutschland den Startschuss für eine Durchforstung des überkomplexen Steuersystems und für eine Verringerung der Steuerbelastung geben würde.
(Gabriel Felbermayr, 17.6.2020)