"Für mich war es einfach schrecklich, als ich das Quartier das erste Mal gesehen habe", erzählt Frau A., eine 53-jährige Arbeiterin, "ich wollte im Auto schlafen, aber da war es zu kalt." Die Rumänin sitzt erschöpft im hellen Sitzungszimmer des ÖGB-Hauses Catamaran in Wien und beschreibt die Unterbringung bei einem Spargelbetrieb in Mannsdorf an der Donau.

Die Rumänin A. (hier nach einem Beratungstermin im ÖGB-Haus Catamaran in Wien), will sich gegen ungerechte und demütigende Arbeitsbedingungen wehren.
Foto: Colette M. Schmidt

Desolate kleine Zimmer, in denen mehrere Stockbetten auf engstem Raum stehen und tiefschwarzer Schimmel auf den Wänden wächst.

Fotos, die Aktivistinnen von Sezonieri am Wochenende

Die Bilder von Unterkünften von Erntehelfern gingen am Wochenende durch die sozialen Medien und erweckten dabei auch die Aufmerksamkeit von Sozialminister Rudi Anschober (Grüne).

Die von der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge unterstützte Kampagne Sezonieri macht seit 2014 auch in Österreich auf die Arbeitsbedingungen von mehrheitlich migrantischen Erntearbeitern aufmerksam. Sezonieri-Aktivistinnen hatten die Fotos verbreitet. Für das Zimmer, das A. mit ihrem als Fahrer engagierten Partner teilte, soll sie vier Euro pro Tag als Miete abgegeben haben. Doch diese Wohnsituation, die sie von Ende April bis 5. Juni ertragen hat, ist nur ein Teil der schweren Vorwürfe, welche die dreifache Mutter und Großmutter gegen den Betrieb erhebt.

Vier Euro und viel Schimmel

Sie habe um vier Euro die Stunde 14 bis 15 Stunden am Tag gearbeitet, so Frau A., auch am Wochenende.

Die Gewerkschaft unterstützt nun Frau A., die ihren Lohn noch nicht bekommen hat. "Eine Angestellte der Firma ist am Dienstag zu mir gekommen und wollte mir 837 Euro geben, ich habe gesagt, das ist zu wenig", sagt Frau A. Sie habe 408 Stunden gearbeitet. 50 Euro seien ihr als Miete abgezogen worden, 500 für die Verpflegung. "Wir bekamen pro Woche 100 Euro und fuhren damit gemeinsam einkaufen", so Frau A.

Schmutzige Matratzen

Gekocht und gegessen wurde in dem kleinen Haus, in dem zeitweise elf Arbeiter wohnten. Auch Ratten und Mäuse soll es gegeben haben, auf der schmutzigen Matratze krabbelten Käfer, die sie filmte.

Laut Kollektivvertrag muss man Erntehelfern in Niederösterreich 8,66 Euro pro Stunde brutto zahlen, das sind 7,07 netto. Der monatliche Mindestlohn ist 1224,21 Euro netto und muss monatlich ausbezahlt werden. Für die Unterbringung darf der Arbeitgeber maximal 1,31 pro Tag abziehen. Frau A. sagt, der Vertrag, den man ihr vorab nach Rumänien schickte, war okay. Er wurde aber ihrer Meinung nach nicht eingehalten.

Als Aktivisten der Kampagne Sezonieri Flyer auf den Spargelfeldern verteilten, um Arbeiter auf ihre Rechte aufmerksam zu machen, sollen einige Arbeiter A.s Schilderungen bestätigt haben.

"Kein Einzelfall"

"Solche Arbeitsbedingungen sind nicht der Einzelfall, als der sie gerne dargestellt werden", so Cordula Fötsch von der Sezonieri-Kampagne, ihre Kollegin Elisa Kahlhammer ergänzt, dass "bei vielen Arbeitgebern ein Unrechtsbewusstsein fehlt, sie sehen nicht, dass die Nichteinhaltung eines Kollektivvertrags ein Gesetzesbruch ist".

Peter Schleinbach, Bundessekretär für Branchen- und Kollektivvertragspolitik in der PRO-GE weiß aus Erfahrung auch, dass es immer wieder in österreichischen Landwirtschaftsbetrieben zu Lohndumping komme: "Die ohnehin schon niedrigen Löhne für ErntehelferInnen werden noch weiter unterboten, die legalen Arbeitszeiten massiv überzogen und ArbeitnehmerInnen über ihre Arbeitsrechte im Unwissen gelassen", wie es in einer Aussendung der Pro-Ge am Dienstag betont.

Anzeigen bei Finanzpolizei und Arbeitsinspektorat

Die Gewerkschaft zeigte den Betrieb bei der Finanzpolizei und dem Arbeitsinspektorat der Land- und Forstwirtschaft an, nachdem sich auch die rumänische Botschaft eingeschaltet hatte. Das Arbeitsinspektorat führte am Dienstag eine Kontrolle im Betrieb durch. Das Ergebnis dieser ist allerdings noch unbekannt.

Das Haus, in dem Arbeiter auf kaputten Matratzen neben schimmligen Wänden schlafen. Die Unternehmerin, bestätigte zwar, dass es ihr gehöre, will aber nicht wissen, wie es im Inneren aussieht.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Sie beklagte auch, dass in der Halle, in der sie den nassen Spargel sortierte, ohne Schutzmasken und Handschuhe gearbeitet wurde. "Bei einer Kontrolle im Mai hat uns die Chefin schnell Masken gegeben, aber die waren gebraucht", so A., die sich selbst Handschuhe gekauft habe, weil die Chefin sie "nur ausgelacht" habe.

Unternehmerin Birinci Sulzmann (links) in ihrem Betrieb, wo sie am Montag alle Vorwürfe vehement bestritt.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Die Chefin, Birinci Sulzmann, betreibt den Betrieb nach dem Tod ihres Mannes mit einem Sohn und ihrem Schwager. Die Familie suchte in den vergangenen Monaten wiederholt die Öffentlichkeit, um auf die Schwierigkeit, in Corona-Zeiten Erntehelfer aus dem Ausland zu kriegen, hinzuweisen.

Chefin: "Sie wollte nicht arbeiten"

Als DER STANDARD aber am Montag versucht, eine Stellungnahme zu den Vorwürfen vom Sohn des Betriebs zu bekommen, verweist dieser auf den Anwalt, der schriftlich konstatiert, dass die "Vorwürfe in ihrer Gesamtheit unrichtig und im Ergebnis ehrenrührig sind". Doch Birinci Sulzmann stellt bei einem Besuch von STANDARD und ORF in Mannsdorf ihre Sicht der Dinge ausführlich dar. Frau A. lüge: "Sie wollte nicht arbeiten und wollte acht Euro die Stunde." Den Vorwurf, dass sie die Arbeiterinnen bei einer Kontrolle der AMA (Agrarmarkt Austria) im Mai nur für diesen Zeitpunkt mit Masken ausstattete, bestreitet die Chefin. Es habe stets selbstgenähte Masken für alle gegeben.

Vom STANDARD mit den viral gegangenen Fotos von schimmligen Zimmern und Bad konfrontiert, meint Frau Sulzmann, das Haus gehöre ihr zwar, sie wisse aber nicht, wer dort schlafe, verlange nichts dafür und könne nicht bestätigen, wie es aussehe.

Das Haus befindet sich in derselben Straße wie der Betrieb. Rund fünf Gehminuten entfernt. Bei einem Lokalaugenschein auf Einladung eines der verbliebenen Bewohners des Hauses können sich DER STANDARD und ORF die Unterkunft ansehen. Diese ist noch desolater und enger, als es die Fotos erkennen lassen.

Frau A.s Lohn soll laut der Arbeitgeberin nun beim Bezirksgericht Gänserndorf hinterlegt sein. Dort war das Geld bis Dienstagvormittag aber noch nicht eingelangt.

Angst vor "schlechtem Image"

Während die Chefin alle Vorwürfe als Lügen abtut, nimmt sie der Obmann des Vereins Genussregion Marchfeldspargel, Werner Magoschitz, ernst.

Werner Magoschitz, Obmann der Spargelbauern im Marchfeldüberlegt, soziale Standards in die Statuten des Vereins Genussregion Marchfeldspargel aufzunehmen.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Er habe am Montag eine außerordentliche Vorstandssitzung des Vereins einberufen. "Denn der Marchfelder Spargel ist eine geschützte Marke, wir wollen kein schlechtes Image", so Magoschitz, "wir überlegen jetzt, soziale und hygienische Standards für die Arbeiter in unsere Statuten aufzunehmen."

Frau A. will so schnell wie möglich zurück nach Rumänien. Ob sie sich vorstellen kann, wieder in Österreich zu arbeiten? "Ja, wenn ich gerecht behandelt werde."

(Colette M. Schmidt, 16.6.2020)