M185 aus Wien: The Velvet Underground, funky Elektroniksounds, Wall of Sound.

Foto: Julia Huerner

Was man in all dem Wust österreichischer Veröffentlichungen der letzten Jahre gern vergisst: Was für eine tolle Band M185 doch Mitte der Zehnerjahre war. Das hatte zum einen damit zu tun, dass die Gruppe eine etwas verschlurfte Karriere im Graubereich zwischen Hobby und Beruf vorzuweisen hat. Andererseits klang der stoische und monotone Gitarrenrock der Band immer schon etwas zu sehr aus der Zeit gefallen, um als wirklich hip durchzugehen.

Nach sechs Jahren Pause hat sich die vom Quintett zum Quartett verschlankte Band um Sänger Wolfram Leitner und Gitarrist Heinz Wolf nach Let The Light In von 2011 und Everything Is Up von 2014 mit dem nun erscheinenden neuen Album Product neu aufgestellt.

Hochheilige Bananenplatte

Die zart psychedelische Phase mit Einflüssen aus dem repetitiven Heroin-Gospel von alten Helden wie Spacemen 3 aus den späten 1980er-Jahren oder der kaltschnäuzige, eher speedgetränkte und mit sonorer Stimme zum Vortrag gebrachte Dunkelmann-Rock eines Lou Reed aus den 1970er-Jahren, speziell auch die hochheilige Bananenplatte von The Velvet Underground aus den Sixties als Hausmonstranz, sie scheinen 2020 teilweise überwunden.

M185 bewegen sich auf Product zwar immer noch in den strengen Bahnen, die der zur Rock-’n’-Roll-DNA gehörende Viervierteltakt vorzeichnet. Und auch die hell klirrenden Gitarren schrammeln gern weiterhin fernab jeglicher Selbstverwirklichung vom Start zum Ziel stur auf einfachen Riffs dahin. Das geschieht sehr gern zart neben dem Takt schlingernd und mitunter übereifrig gehackt jenseits des vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbereichs.

Letzte Widerstandsnester

Allerdings finden sich in diesen scheinbaren Fehlern die letzten renitenten Widerstandsnester in einem bestens durchdeklinierten Genre. Dieses beschert uns noch immer neue Variationen des Malens nach Zahlen, die im Rhythmus der Jahreszeiten als Sensationen verkauft werden.

Neu bei M185 ist jetzt eine Charakteristik, die in der Vergangenheit schon viele reifere Herrschaften im Rock dazu veranlasste, die zunehmend auf die Bandscheiben gehenden schweren E-Gitarren ab und zur Seite zu legen und sich für Keyboards, Synthesizer und Klappcomputer zu interessieren. Nicht umsonst ist Logitech M185 als Notebook-Funkmaus im Handel erhältlich. Auf Product geht es dann etwa in Not In Love schon einmal in die New-Wave-Disco. Das Lied gerät zum ruppigen Funk, testosteronsenkender Falsettgesang inklusive.

Speed of Light

Wer nicht weggeht, kommt nicht an: Auch der Song Slumberless zieht den Hörer mit seinem hypnotischen Basslauf und somnambul irrlichterndem Steckdosengezirpe in seinen Bann. In Chew wird eine Wall of Sound aufgezogen, die dann doch wieder auf die alten Vorbilder Spacemen 3 verweist. Das mag damit zusammenhängen, dass auch diese oft darauf vertrauten, dass man eine einzelne Keyboardtaste mit Gaffa-Tape fixierte und lediglich die Lautstärke hochfuhr.

In Ambulance wird schließlich mittels ähnlicher Technik mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Wo bitte geht es hier zum Medikamentendepot?! Meine Gitarre kriegt gleich einen epileptischen Anfall. Und jetzt der Chor der Engel an der Himmelstür! Am Ende steht Move On mit einem Riff aus den Überresten von Led Zeppelins Rockklassiker Kashmir. Sonic Youth haben es wackelig nachgebaut. Tolles Album. (Christian Schachinger, 17. 6. 2020)