ÖVP-Fraktionsführer Gerstl ist von der WKStA nicht besonders angetan.

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Die Atmosphäre in und um Österreichs Justiz ist unterkühlt. Seit geraumer Zeit liegen sich wichtige Player im Justizministerium, in der Staatsanwaltschaft und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in den Haaren, der Öffentlichkeit wurde dies voriges Jahr so richtig bewusst. Am 1. April 2019 fand eine Dienstbesprechung zum Thema Eurofighter statt – die ziemlich aus dem Ruder lief. Die mit der Causa neu befassten Staatsanwälte der WKStA trafen mit Strafsektionschef Christian Pilnacek zusammen, der seinem Unmut über Fortgang oder Nichtfortgang der Ermittlungen freien Lauf ließ. Seine Vorschläge wie "daschlagts es" oder Zuschreibungen wie "Scheiß-Akt" sind mittlerweile landauf, landab bekannt – dank eines Tonbands, das die Staatsanwälte mitlaufen ließen und dessen Verschriftlichung, wie man das in der Justiz nennt, prompt publik wurde.

Feuer angefacht

Es folgte ein auf offener Bühne aufgeführter Streit innerhalb der Justiz, mit Anzeigen der WKStA gegen den Sektionschef (Vorwurf des Amtsmissbrauchs) und Anzeigen der Oberstaatsanwaltschaft Wien gegen WKStA-Chefin Ilse-Maria Vrabl-Sanda und WKStA-Staatsanwälte unter anderem wegen des Tonbandmitschnitts. Alle Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft Linz im Sommer 2019 eingestellt: kein Anfangsverdacht.

Nun aber facht der ÖVP-Abgeordnete Wolfgang Gerstl – seines Zeichens ÖVP-Fraktionsvorsitzender im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss – das Feuer wieder an. Am 12. Juni hat er mit Kollegen eine parlamentarische Anfrage bei Justizministerin Alma Zadić eingebracht. Flotte 47 Fragen stellt er der grünen Ministerin "betreffend hinterfragenswerte Vorgänge" in der WKStA. "Aus aktuellem Anlass" müsse an die Vorfälle im Jahr 2019 erinnert werden, nämlich an die Tonbandaufzeichnung (...). Zu hinterfragen sei, "warum dieser unüblichen und rechtswidrigen Vorgangsweise der WKStA nicht nachhaltig nachgegangen wurde. So wurde offenbar das Vorliegen eines möglichen Straftatbestands nicht weiterverfolgt, es kam allem Anschein nach aber auch zu keinen disziplinarrechtlichen Schritten" wegen der unerlaubten Herstellung einer Tonbandaufnahme.

Zudem thematisieren die Abgeordneten Medienberichte, wonach sich WKStA-Chefin Vrabl-Sanda im Oktober 2016 mit dem Anwalt von Peter Hochegger, dem in der Causa Buwog/Grasser angeklagten Ex-Lobbyisten, getroffen habe und das "nicht veraktet" worden sei. Es würden "Vermutungen darüber angestellt", dass Hochegger bei dem Treffen einen Deal angeboten habe, wonach er gestehen, den Hauptangeklagten belasten würde, um selbst mit einer geringeren Strafe auszusteigen. Mitangeklagter Walter Maischberger (korrekt: Meischberger) habe Vrabl-Sanda auch angezeigt, heißt es in der Anfrage. Diese Vorkommnisse seien "bemerkenswert, wenn nicht sogar verwunderlich".

In den folgenden 47 Punkten wird dann etwa gefragt, ob bezüglich des Tonbandprotokolls ermittelt worden sei, wer die Verantwortung dafür trage oder ob disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet worden seien. Ähnliche Fragen betreffen das kolportierte Treffen der WKStA-Leiterin mit Hocheggers Anwalt bzw. "die (...) kolportierte Sachverhaltsdarstellung Walter Maischbergers". Abschließend will die ÖVP wissen, wie die Justizministerin sicherstellen kann, "dass hinkünftig alle staatsanwaltschaftlichen Behörden (...) objektiv vorgehen".

Die Fragen rund ums Tonband aus der Eurofighter-Dienstbesprechung und das Vorgehen Pilnaceks jedenfalls hat die StA Linz beantwortet: Die Einstellung der Verfahren (gemäß § 35c Staatsanwaltschaftsgesetz wurden sie genau genommen gar nicht eingeleitet) wurde auch in den Justizedikten veröffentlicht. Und Disziplinarverfahren wurden nicht eingeleitet, die Einleitung wäre "nicht verhältnismäßig gewesen", erklärt das Ministerium dazu.

Warum ÖVP-Abgeordneter Gerstl trotzdem das Interpellationsrecht der Abgeordneten nützt und die Justizministerin mit diesen Themen erneut befasst? Ein Sprecher des Abgeordneten beruft sich darauf, dass die Fragen des Abgeordneten dessen Wissensstand entsprächen, es gebe da "dringenden Aufklärungsbedarf".

Tiefe Gräben

Freilich gibt es auch andere Denkschulen. Da würden die mit einer Mediation zwischen Pilnacek, Oberstaatsanwaltschaft Wien und WKStA, die gerade in sehr heiklen, politiknahen Causen ermittelt, quasi nur überdeckten tiefen Gräben recht bewusst wieder aufgerissen, laute eine derer. In der Anfrage spiegle sich die von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geäußerte massive Kritik an der WKStA wider, sie bekomme quasi neue Nahrung, lautet die andere.

Zeitlich passt das Thema perfekt zum Streit zwischen WKStA und Staatsanwaltschaft Wien bzw. Soko Tape rund um (laut WKStA) unleserlich übermittelte Unterlagen und um das Ibiza-Video. All das thematisierten die Auskunftspersonen von WKStA und Soko Tape vorige Woche im U-Ausschuss. Vor allem aber dürfte es um einen sehr tiefsitzenden Stachel im Fleisch der ÖVP gehen: dass Justizministerin Zadić den Chef der Supersektion Strafrecht und Legislative, Pilnacek, via Trennung der beiden Sektionen entmachtet hat – ohne das mit der ÖVP abzustimmen. Zudem gibt es ein neues Gerücht: Die ÖVP bereite einen U-Ausschuss zum Thema WKStA vor – wovon Gerstl laut eigenen Angaben "noch nie gehört" hat. (Renate Graber, 16.6.2020)