Die Schwester des nordkoreanischen Machthabers Kim jong-un, Kim Yo-jong, ist selbst eine einflussreiche Funktionärin in der regierenden Arbeiterpartei.

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Pjöngjang – Die Drohgebärden im neu aufgeflammten Konflikt zwischen Nord- und Südkorea gehen weiter. Einen Tag nach der Sprengung eines Verbindungsbüros durch den Norden hat Pjöngjang am Mittwoch weitere drastische Schritte angekündigt. Dazu zählt ein militärischer Einmarsch in Gebiete, die nach einem Abkommen 2018 entmilitarisiert worden sind. Konkret geht es um die ehemalige gemeinsame Sonderwirtschaftszone in Kaesong und das einst ebenso gemeinsam genutzte Tourismusresort am Kumgang-Berg. Sie liegen auch nahe der entmilitarisierten Zone, die seit dem De-facto-Ende des Koreakriegs 1953 die beiden Staaten trennt.

Außerdem setzt die staatliche Nachrichtenagentur wüste Drohungen gegen den Süden ab. Diesen nennt ein anonymer Kommentar einen "Straßenköter der USA". Wenn sich die Lage nicht bald deutlich verbessere, heißt es dort, werde man wieder zur alten Politik der Drohungen zurückkehren. Dann werde man auch die Zerstörung der südkoreanischen Hauptstadt Seoul wieder öfter in Aussicht stellen.

Das Angebot Südkoreas, Spezialgesandte auszutauschen, lehnt in der Aussendung die Schwester von Machthaber Kim Jong-un, Kim Yo-jong, in scharfen Worten ab. Das sei in der aktuellen Situation rund um die Corona-Pandemie "respektlos" und "absurd". Zudem nennt sie die Vorschläge des Südens zur Konfliktreduzierung "unrealistisch", "taktlos", "bösartig", "eine Farce", "hochnäsig" und "leichtsinnig". Ihr Statement stellt eine längere Phase der Spannungen in Aussicht: Eine Lösung der von Südkorea verursachten Krise sei "nicht möglich und kann erst dann gefunden werden, wenn der nötige Preis bezahlt ist".

Profilierung durch Härte

Auffällig an den neuen Drohgebärden ist neben dem provokanten Inhalt die Person der Sprecherin. Machthaber Kim kommt in den Aussendungen nicht vor, stattdessen spricht seine Schwester. Sie wird als "Erste Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei" vorgestellt – in Wahrheit wird aus dem Statement aber klar, dass ihr mittlerweile eine bedeutendere Rolle beigemessen wird.

Kim Yo-jong war in den vergangenen Wochen mehrfach als mögliche Nachfolgerin ihres Bruders genannt worden. Dieser war nach einer längeren Abwesenheit und zahlreichen Spekulationen über seine Gesundheit zwar Ende April wieder in den Medien aufgetaucht – seither sind Bilder von öffentlichen Auftritten aber wieder rar. Sollte er tatsächlich gesundheitliche Probleme haben, wäre nun die Zeit für seine Schwester, sich mit harten Drohungen zu profilieren. Andere offensichtliche Nachfolger gibt es in der kommunistischen Familiendynastie nicht, da Kim Jong-uns eigene Kinder deutlich zu jung sind.

Möglich ist freilich auch, dass es sich um eine Art familiäre Arbeitsteilung handelt: Kim Yo-jong droht nun dem Süden – und ihr Bruder, der in den Statements nicht vorkommt, kann später dann einen versöhnlicheren Ton anschlagen.

Südkoreas Präsident Moon Jae-in, der am Montag noch den Austausch Sondergesandter ins Spiel gebracht hatte, ließ mitteilen, dass er das Verhalten des Nordens für sinnlos halte. Seine Regierung werde unverhältnismäßiges Handeln Pjöngjangs nicht akzeptieren. Allerdings hielt er auch fest, dass Seoul weiterhin zu den Vereinbarungen mit Nordkorea stehe, die man im Frühjahr 2018 nach mehreren Treffen geschlossen habe. Das sei auch wichtig, um aus Versehen entstandene Zusammenstöße an der Grenze zu vermeiden. Einer militärischen Provokation werde Südkorea aber mit Härte begegnen.

Moon hat in der Krise einen gefährlichen Balanceakt zu bewältigen. Er hatte sein Amt 2017 auch mit dem Versprechen errungen, eine bessere Beziehung mit dem Norden aufzubauen. Dafür hat er viel seines politischen Kapitals angelegt. Angesichts der neuen Spannungen hat nun sein Wiedervereinigungsminister – so heißt das Amt, das für die Beziehungen zum Norden zuständig ist – Kim Yeon-chul seinen Rücktritt angeboten. Er übernehme die Verantwortung für die verschlechterten Beziehungen, sagte er.

Viele Gründe für die Spannungen

Was genau den Hintergrund der neuen Spannungen ausmacht, ist indes nicht sicher. Nordkorea macht Seoul dafür verantwortlich, dass man Deserteure aus dem Norden nicht an feindlicher Propaganda gehindert habe. Konkret geht es um Heißluftballons, die gemeinsam mit Flugblättern von Südkorea aus den in Norden gesandt worden waren. Das dürfte allerdings nur der Anlass und nicht der eigentliche Grund der neuen Auseinandersetzungen sein. Vermutlich geht es dem Norden auch darum, neue Zugeständnisse zu bekommen.

Das Land steckt nämlich erneut in einer massiven Krise: Neben den Spekulationen über Kims Gesundheitszustand ist auch die Lage rund die Corona-Epidemie im Norden unklar. Offiziell behauptet Pjöngjang, es habe keinen einzigen Fall registriert, nach Angaben der USA war aber den ganzen Februar über die Armee offenbar aus Quarantänegründen im Lockdown. Die Wirtschaft befindet sich nach Schätzungen aus Südkorea massiv im Abwärtstrend, seit pandemiebedingt die Grenzen zu China, über die sonst viel Schmuggel läuft, streng kontrolliert werden. Die Uno teilte jüngst mit, in dem Land breite sich eine Hungersnot aus.

Zudem wächst in Nordkorea der Ärger über den mangelnden Fortschritt in den Gesprächen mit den USA. Die "Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel", auf die sich Kim und US-Präsident Donald Trump 2018 in Singapur geeinigt hatten, kommt nicht voran – auch deshalb, weil beide Seiten fundamental unterschiedliche Dinge darunter verstehen. Während die USA einen einseitigen Abbau des nordkoreanischen Atomarsenals meinen, denkt man im Norden an ein Ende des nuklearen US-Schutzschirms für den Süden und einen allenfalls schrittweisen Abbau der eigenen Nuklearwaffen. Zudem fordert Pjöngjang ein Ende der harten Wirtschaftssanktionen. Sollte es hier nicht bald Fortschritte geben – wovon nicht auszugehen ist –, ist gut möglich, dass auch wieder Tests von Atombomben und Langstreckenraketen im Raum stehen, auf die der Norden, in seiner Sicht als Konzession an die USA, seit 2018 verzichtet. (Manuel Escher, 17.6.2020)