Josh Bryan lebt mit seiner Familie in seinem Heimatbundesstaat Kansas.

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Transrechte werden seiner Meinung nach oft von Regierungen zur Ablenkung missbraucht.

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Seit der heute 41-jährige Joshua Bryan denken kann, weiß er, dass er männlich ist. Seine Mutter musste ihm erst klarmachen, dass er bei der Geburt einen weiblichen Körper erhalten hatte. Er versuchte als Kind im US-Bundesstaat Kansas immer, ganz brav zu sein, damit ihn Gott vor der Pubertät reparieren würde, wie er erzählt. Doch das funktionierte nicht. Als er seinen ersten BH bekam, legte er sich unters Bett, einen Gürtel um den Hals, und wollte sich selbst töten.

Doch er tat es nicht, sondern kämpfte um sein Recht auf sein echtes Geschlecht. Zwischenzeitlich gemeinsam mit Amnesty International gegen den Operationszwang in Dänemark – dem Heimatland seiner Frau, wo man seine Geschlechtsorgane ebenfalls angleichen musste, um einen neuen Personenstand zu erhalten. Nun lebt Josh mit seinen vier Kindern und glücklich verheiratet wieder in Kansas. Er arbeitet als Programmentwickler und verbringt seine freie Zeit mit Arbeiten im Haus, die laut ihm "nie fertig werden, wie es scheint".

STANDARD: Die Autorin J. K. Rowling schrieb in einem Essay, dass sie sich wahrscheinlich auch für eine Transition zu männlich entschieden hätte, wäre sie 30 Jahre später geboren worden. Als Grund dafür führt sie an, dass die Verlockung groß gewesen wäre, dem Frausein zu entfliehen. Was denken Sie darüber?

Bryan: Zuerst müssen die Leser*innen den Kontext des Zitats verstehen. Sie sprach von ihren eigenen Depressionen und Zwangshandlungen. Die setzte sie mit den Erfahrungen von Transmännern gleich. Sie ließ es so klingen, als würden Transmänner nur deshalb ihren Körper anpassen, weil es zu hart sei, eine Frau zu sein. Das kann man nicht gleichsetzen. Es ist auf keinen Fall eine Flucht aus den schwierigen Umständen der sozialen Konstrukte, die mit dem Frausein einhergehen. Es geht auch nicht darum, Depressionen und Ängsten zu entkommen. Diese Dinge kommen normalerweise, wenn man erkennt, dass man in einem Körper gefangen ist, in den man nicht gehört – nicht andersrum.

Der Tweet des Anstoßes.

Außerdem erwähnt Rowling auf Twitter, dass eine ihrer Freundinnen, die eine Butch-Lesbe ist, ihre Aussagen über Transpersonen sehr unterstützt. Das ist das Gleiche wie zu sagen "Aber ich habe einen schwarzen Freund", nachdem man einen rassistischen Kommentar abgegeben hat. Ich sehe einfach nicht, wie eine Freundschaft mit einer Lesbe ein besseres Verständnis für Transpersonen mit sich bringt. Das sind offensichtlich zwei unterschiedliche Dinge. Wenn sie wirklich eine Trans-Bezugsperson braucht, kann sie mich jederzeit anrufen.

STANDARD: Wie hat sich die Gesellschaft in Bezug auf Trans verändert, seit Sie sich damit beschäftigen?

Bryan: Das Thema ist definitiv sichtbarer, und die Sprache hat sich verbessert. Wir sprechen nicht mehr über "Männer in Kleidern" in anzüglichen Talkshows. Die meisten Menschen kennen Ausdrücke wie Geschlechteridentität, Dysphorie oder Transgender. Das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA war außerdem ein großer Schritt zu rechtlichem Schutz – zumindest am Arbeitsplatz. Aber es braucht noch immer viel, um vollkommene Gleichstellung zu erreichen.

STANDARD: Welche Bereiche fehlen noch?

Bryan: Der eingeschränkte Zugang zu medizinischer Versorgung und Angleichungen sowie Ungleichbehandlung am Wohnungsmarkt sind noch immer große Themen. Viele Transpersonen werden nur deshalb ermordet, weil sie sind, wer sie sind – vor allem dunkelhäutige Frauen. Die fehlende Akzeptanz ist bei Transfrauen viel offensichtlicher als bei Transmännern. Es scheint, als ob alles, was die traditionelle Auffassung von Männlichkeit infrage stellt, in unserer Gesellschaft verdammt wird.

STANDARD: Wird es diese Gleichstellung noch zu Ihrer Lebenszeit geben?

Bryan: Ich bin hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch, dass es während meines Lebens noch große Veränderungen geben wird. Der rechtliche Schutz wird vielleicht hergestellt, aber in der Gesellschaft haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Transthemen sind zu etwas geworden, das man auf Englisch eine politische Hundepfeife nennt, etwas, womit man die Wähler ablenken kann. Wenn die Regierung in Bedrängnis ist, hört man plötzlich Geschichten über Transpersonen im "falschen" WC, dass sie das Militär zu viel kosten, dass sie für Ungleichheit im sportlichen Wettkampf sorgen und so weiter. Dann haben die Massen wieder andere, die sie hassen können, wenn sie einen Sündenbock brauchen.

STANDARD: Ist es einfacher, Kindern oder Erwachsenen Transthemen zu erklären?

Bryan: Ich finde es viel einfacher mit Kindern. Bei meinen eigenen Kindern war es sehr einfach, sie haben mich vollkommen akzeptiert. Kinder haben keine vorgefassten Wertesysteme, zumindest nicht im jungen Alter. Erwachsene neigen dazu, in ihren Ansichten sehr starr zu sein. Für mich war es schwieriger, die Erwachsenen um mich herum dazu zu bringen, meine Identität zu akzeptieren, bevor mein Aussehen begann, sich daran anzupassen. Es war fast so, als hätten sie es sehen müssen, um es glauben zu können. Als ich dann angeglichen war, war es kein Problem mehr.

STANDARD: Weil gerade Pride-Monat ist und es auf amerikanischen Straßen gerade Demonstrationen für gleiche Rechte gibt: Braucht es Ausschreitungen, um sich Gehör zu verschaffen?

Bryan: Die große Mehrheit der Menschen protestiert friedlich, was zu einer nationalen Debatte über Rassismus geführt hat, die wir brauchen. Manche Situationen wurden zu Ausschreitungen, aber manchmal muss eine Gesellschaft dazu gezwungen werden, sich der Hässlichkeit von innen heraus zu stellen. Ich bin aber gegen jede Art von Gewalt. Punkt. (Bianca Blei, 17.6.2020)