Am 17. Dezember jährt sich der Geburtstag Ludwig van Beethovens zum 250. Mal. Nach dieser Feststellung sollte das Wort an den Musikwissenschafter übergeben werden, doch erlauben es einige Untersuchungen der letzten Jahre auch dem Bauhistoriker, Anmerkungen zu Beethoven als illustrem Mieter in so manchem Haus in Wien zu liefern. So sei mit kriminalistisch anmutenden Mitteln etwa auf seine Wohnung im Haus Probusgasse 6 eingegangen.

Im Vorfeld der Eröffnung dieses Hauses im 19. Bezirk als neugestalteter Außenstelle des Wien-Museums (vor genau 50 Jahren wurde hier bereits eine kleine Gedenkstätte zum 200. Geburtstag des Komponisten eingerichtet) konnte das Gebäude von seinen Ursprüngen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts über den Ausbau als Dorfrichterhaus in der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Umbau in ein Bäckerhaus Mitte des 18. Jahrhunderts mit den Methoden der bauhistorischen Forschung dokumentiert werden. Zur Orientierung entstand ein Baualterplan, aus dem die Bauzeiten der einzelnen Gebäudetrakte hervorgehen.

Probusgasse 6, Baualterpläne des Erdgeschoßes.
Foto: Günther Buchinger/ÖAW
Baualterpläne des Obergeschoßes.
Foto: Günther Buchinger/ÖAW

Eine Gartenwohnung im ehemaligen Bäckerhaus – nur, welche?

Beethovens Aufenthalt in diesem Haus ist nur durch eine mündliche Erzählung überliefert: Gegenüber dem Beethoven-Forscher Josef Böck-Gnadenau gab der Weinhauer Josef Nikolaus Zwölfjahr 1890 an, "dass ihm sein seliger Vater (geboren 1791, gestorben 1862) das 'Bäckerhaus' … nebst dem Hause am Pfarrplatz immer als dasjenige bezeichnet hatte, in welchem der Komponist gewohnt hat". Zwölfjahr erwähnte weiters, dass Beethoven eine Gartenwohnung gemietet haben soll, die über eine Holztreppe vom Hof aus erreichbar war – er konnte allerdings von den beiden Gartenwohnungen des Bäckerhauses die eigentliche Beethoven-Wohnung nicht angeben und vermutete, dass die beiden Zimmer links samt Küche von Beethoven bewohnt wurden. Dies führte dazu, dass die Räume OG10, OG11 und OG12 des aktuellen Baualterplans mit der Wohnung Beethovens identifiziert und 1970 als Gedenkstätte eingerichtet wurden.

Probusgasse 6, Südtrakt mit Beethoven-Gedenkstätte bis 2016, über den linken Treppenaufgang ist die bisher angenommene Beethoven-Wohnung erreichbar, rechts davon die wahrscheinlichere.
Foto: Günther Buchinger/ÖAW

Aufgrund jüngster baugeschichtlicher Erkenntnisse, wonach zwei dieser Räume Teile eines Traktes sind, der ab 1819 errichtet worden ist, hieße dies, dass Beethoven hier erst nach diesem Jahr hätte einziehen können. Dies steht jedoch in Widerspruch mit einer zweiten Überlieferung. Der Schüler Beethovens, Karl Czerny, erwähnte, "Beethoven sei auf das Motiv des letzten Satzes der D-moll-Sonate gekommen, als er, in Heiligenstadt wohnend, zum Fenster heraussah und ein Reiter in kurzem Galopp vorbeisprengte" – und diese Sonate, "Der Sturm", op. 29 (31) Nr. 2, entstand schon 1802. Da Czerny die Anekdote nur vom Hörensagen gekannt haben dürfte und das Bäckerhaus nicht explizit nannte, maß ihr Böck-Gnadenau keine allzu große Bedeutung bei. Bezieht sich die Geschichte jedoch tatsächlich auf das Bäckerhaus, so ließe sich die Wirkung eines galoppierenden Pferdes empirisch überprüfen. Die Entfernung von den Fenstern des Gartentrakts (OG01/13/12/11/10) zur südlich gelegenen Grinzinger Straße misst circa 80 Meter.

Franziszeischer Kataster, publiziert 1829, mit Nr. 51 das Haus Probusgasse 6.
1. Die Strecke eines Pferdes in der Probusgasse mit stark zunehmender Geräuschentwicklung.
2. Die Strecke auf der Grinzinger Straße mit gleichbleibend schwachen Schallwellen.
Foto: Günther Buchinger/ÖAW

Des Rätsels Lösung: Das Geräusch eines Pferdes im Galopp

Der sinnliche (optische und akustische) Eindruck eines Pferdegalopps aus dieser Distanz ist eher gering. Blickte man hingegen vom anschließenden Westtrakt vom Fenster in OG02 nach Nordwesten zur Probusgasse, so bestand hier die Möglichkeit, einen Reiter aus 75 Meter Entfernung bis auf 15 Meter heran- und vorbeisprengen zu sehen. Die Beobachtung eines immer näher kommenden galoppierenden Pferdes über eine offene Strecke von 60 Meter war – auch wenn dabei wohl kein Dopplereffekt zu bemerken war – sicherlich eindrucksvoll und für einen Komponisten möglicherweise inspirierend. Die westliche Gartenwohnung ist daher mit Czernys Schilderung gut in Einklang zu bringen, sodass vermutet werden kann, dass Beethoven die Gartenwohnung OG01/02/13/12 bewohnt hat.

Die Küche OG12 gehörte noch zum spätmittelalterlichen Bau und war mit dem westlich benachbarten Raum OG13 ehemals durch eine Tür verbunden, die heute seit ihrer Vermauerung nach 1819 als Nische erkennbar ist. Mit OG01, OG02, OG13 und OG12 bestand eine Wohneinheit, die mit einer Küche, zwei Zimmern und einem Kabinett eine für Beethovens Bedürfnisse nicht untypische Größe einnahm.

Heute sind fast alle Räume des Hauses vorbildlich museal eingerichtet: Sobald es nach überstandener Krise wieder möglich ist, lohnt sich ein Ausflug in die Probusgasse – inklusive Lehnens am Fenster und der Imagination eines galoppierenden Reiters. (Günther Buchinger, 19.6.2020)