Die Wiener Innenstadt soll verkehrsberuhigt werden.

Foto: EPA

Wien – Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein nannte es einen "historischen Augenblick". Markus Figl (ÖVP), der Bezirkschef der Inneren Stadt, sprach von Politik als der "Kunst des Möglichen". Die grün-türkise Kooperation in der City hat zu einem Verkehrskonzept geführt, das eine weitgehend autofreie Zone vorsieht. Die entsprechende Verordnung könnte noch im August umgesetzt werden. Hebein peilt jedenfalls einen Start vor der Wien-Wahl am 11. Oktober an.

Bei der Präsentation der Einigung am Mittwoch war neben Vertretern von Grünen und ÖVP auch die Bezirksfraktion der Neos an Bord. Die Bezirks-SPÖ habe bei den Verhandlungen am Dienstag laut Hebein noch ein Forderungspapier eingebracht, sie fehlte aber am Podium. "Ich bedaure, dass die SPÖ der Einladung nicht gefolgt ist", sagte Hebein. Bürgermeister Michael Ludwig sei noch am Dienstag über die Lösung informiert worden. Der Stadtchef dürfte über die rasche Einigung aber ordentlich verärgert sein: Er vermisste "ein schlüssiges Konzept" und kritisierte einen fehlenden Gesamtverkehrsplan für Wien.

Einfahrtsverbot mit vielen Ausnahmen

Kernpunkt des Verkehrskonzepts ist ein Einfahrtsverbot vom Ring in Richtung Stephansplatz für alle Kraftfahrzeuge. Das betrifft also auch Motorräder. Das Verbot sieht aber auch eine ganze Palette an Ausnahmen vor:

Anrainer mit Hauptwohnsitz können weiterhin einfahren, ebenso Fahrzeugbesitzer mit Stellplatznachweis in einer Garage. Die Zufahrt zu Parkgaragen ist weiterhin für alle möglich – also auch für Wiener aus anderen Bezirken oder für Besucher der Stadt. Und in diesem Segment gibt es bald mehr Stellplätze: Aktuell wird bis 2022 eine neue mehrstöckige Tiefgarage für rund 360 Autos und 40 Motorräder beim Neuen Markt gebaut.

Das Verbot gilt auch nicht für Firmenfahrzeuge von Firmen im Ersten oder von Unternehmen, die im Außendienst regelmäßig in der City zu tun haben. Beschäftigte, die außerhalb der Betriebszeiten der Wiener Linien zu ihren Arbeitsplätzen im Ersten kommen müssen, sind ebenfalls außen vor.

Weitere Ausnahmen gibt es für: Mitarbeiter des Sozialdienstes für Pflegetätigkeiten, Fahrzeuge mit Behindertenausweis, Taxis und Gästewagengewerbe, Hotelgäste, Diplomaten, Fahrzeuge mit Ladetätigkeiten, Einsatzfahrzeuge, Müllabfuhr, Straßendienst, Post, Baufahrzeuge, Fahrzeuge mit Sonderbewilligung, Besitzer von Kraftfahrrädern und öffentliche Verkehrsmittel.

Durchzugsverkehr wird gestoppt

Von "autofrei" kann also nicht wirklich die Rede sein. Das Verkehrskonzept zielt aber vor allem auf den bisherigen Durchzugsverkehr durch die City ab. Und dieser wird verunmöglicht. Hebein rechnet mit einem unmittelbaren Verkehrsrückgang von bis zu 30 Prozent. Wien sei die erste Stadt im deutschsprachigen Raum mit einer autofreien Innenstadt, sagte die Verkehrsstadträtin. Derzeit würden rund 50.000 Autos pro Tag in die City hinein- und wieder hinausfahren. Diese Zeiten seien vorbei. "Die Innenstadt gehört den Menschen und nicht den Motoren."

Neben der Zurückdrängung des fließenden Verkehrs soll auch eine lange Parkplatzsuche im Ersten künftig der Vergangenheit angehören. Denn die öffentlichen Parkplätze sind bald nur noch Anrainern und Menschen mit Behinderung vorbehalten. Ladetätigkeiten sollen weiterhin möglich bleiben.

"Die Verteilung des öffentlichen Raums ist nicht mehr zeitgemäß", sagte Hebein. Autos würden zwei Drittel des öffentlichen Raums für sich beanspruchen und durchschnittlich 23 Stunden pro Tag stehen. Zudem sei der Verkehr für mehr als 40 Prozent des CO2-Ausstoßes in Wien verantwortlich. Auch Figl sprach von einer "Rückgewinnung des öffentlichen Raums". Antworten darauf, was mit möglicherweise nicht mehr für den Verkehr benötigten Parkplatzflächen und Straßen passieren wird, gab es noch nicht. Figl: "Es wird nicht so sein, dass wir die Innenstadt gleich umgestalten."

Umsetzung im August möglich

Markus Raab, der Abteilungsleiter der zuständigen MA 46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten), erläuterte die weiteren Schritte zur Verkehrsberuhigung in der City: Im ordentlichen Ermittlungsverfahren soll es Mitte Juli zu einer mündlichen Verhandlung kommen. Geladen werden Polizei, Straßenerhalter, Bezirksvertreter, Wiener Linien und Interessenvertreter aller Kammern, die noch Anregungen einbringen können. Er rechnet auch noch mit vielen Mails von Anrainern. Einen Bürgerbeteiligungsprozess selbst werde es aber nicht mehr geben. Nach der Kundmachung im Amtsblatt der Stadt Wien und dem Aufstellen von rund 30 Verkehrszeichen, die das Einfahrtsverbot anzeigen, könnte laut Raab frühestens im August die neue Zone gelten. Die Überwachung des Verbots obliege der Polizei. Mittelfristig wird aber eine elektronische Lösung, wie es sie etwa in verkehrsberuhigten italienischen Städten gibt, angedacht.

Laut Figl habe die Stadt seit 2018 am neuen Verkehrskonzept getüfelt. Im Rahmen des Verfahrens hätten bei Veranstaltungen auch 500 Anrainer teilgenommen, die auf weniger Verkehr und Parkplatzdruck gedrängt hätten.

Ludwig vermisst "schlüssiges Konzept"

Stadtchef Ludwig ist das Konzept aber zu kleinräumig gedacht. Er kündigte an, Hebein und Figl zu einem klärenden Gespräch zu laden. Denn die SPÖ-Bezirksvorsteher der Nachbarbezirke steigen auf die Barrikaden: Sie befürchten massive Auswirkungen auf die Parkplatzsituation in ihrem Bezirk. Den von Hebein angestrebten Plan, die verkehrsberuhigte Innenstadtzone vor der Wahl umzusetzen, nannte Ludwig fast drohend "sehr ambitioniert". (David Krutzler, 17.6.2020)