Christian Drosten, Virologe an der Charité Berlin, war als Kopf bei der Pressekonferenz von Gesundheitsminister Rudolf Anschober per Zoom mit dabei.

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Die Stimmung im Land wäre ja so, dass alle gern aufatmen würden. Auch im Gesundheitsministerium. Die Lockerungen der Verhaltensmaßnahmen der letzten Wochen haben zu keinem signifikanten Anstieg der Infektionszahlen geführt. Zeit also zurückzublicken, um daraus die Prognosen für die nächsten Monate zu stellen. Rudolf Anschober hatte den deutschen Virologen Christian Drosten von der Charité Berlin zu einer Pressekonferenz geladen, "wir sitzen im selben Boot".

Schnell stellte sich Einigkeit ein: "Wir sind mittendrin in der Pandemie", sagte Anschober, und Drosten bestätigte: "Das Virus ist derzeit so stark gebremst, dass es nur nicht auffällt." Man könne sich die Ausbreitung wie einen Funkenflug vorstellen: Erst viele Funken machen Feuer, und wenn es brennt, ist das Löschen nur mit riesigen Anstrengungen möglich.

Doch der Gesundheitsminister blickt optimistisch nach vorne. Aufgrund der etablierten Maßnahmen geht er nicht von einem erneuten exponentiellen Wachstum aus. Einen zweiten kompletten Lockdown des Landes hält er für unwahrscheinlich. "Wir sind viel besser gerüstet," sagte er und zählt die Kontrollinstrumente auf.

Kontrolle und Vorsicht

Mit der Hotline 1450 hält man Infizierte von den Spitälern fern. "Bei den Spitalsbetten fahren wir auf Sicht", bestätigte Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich. Man kennt die Dynamik des Virus. Würden die Infektionszahlen steigen, könne man berechnen, wie viele Kranke innerhalb von 14 Tagen hospitalisiert werden und wie viele davon auf einer Intensivstation versorgt werden müssten. Nicht-Covid-19-Patienten bleiben durchschnittlich fünf Tage auf einer Intensivstation. Insofern könne man Kapazitäten schaffen "Da haben wir Planungssicherheit", so Ostermann. Elisabeth Puchhammer, Virologin an der Med-Uni Wien, attestiert dem österreichischen Gesundheitssystem eine "breite Laborlandschaft, Testkapazitäten und neue Surveillance-Systeme in Arztordinationen", die es vor der Pandemie nicht gab.

Ein weiterer Baustein der Pandemiekontrolle ist das Contact-Tracing. "Die Behörden auf lokaler Ebene leisten Unglaubliches", so Anschober. Sie verfolgen die Kontakte jedes Infizierten und isolieren Kontaktpersonen. Man wolle verstärkt dort testen, wo es prekäre Wohn- oder Arbeitssituationen gibt, so Anschober. "Wir befinden uns weiterhin in einem Lernprozess, was die Ausbreitung und Kontrolle betrifft." Und ja, vieles könne immer auch noch verbessert werden.

Erklärtes Ziel ist es, die Infektionskurven über den Sommer und in den Herbst hinein flachzuhalten. "Wir alle müssen den Mindestabstand leben, das ist nicht vorbei", so Anschober. Würden die Zahlen steigen, müsse man wieder die Notbremsen ziehen," da sei man sich in der Bundesregierung einig. Verstärkte Cluster-Kontrolle, Tests, lokale Ausgangsbeschränkungen oder ein strenger Nasen-Mund-Schutz sind Maßnahmen, die sich bewährt haben. Deshalb wolle man auch nicht von einer zweiten Welle sprechen.

Noch Rätsel

Aber vieles ist unklar. "Das Virus ist auf eine andere Weise infektiös, als wir dachten", resümiert Christian Drosten, "es kann sein, dass zehn Infizierte keinen einzigen anderen anstecken, aber es gibt auch Hinweise dafür, dass nur einer zehn andere angesteckt hat." Die niedrigen Infektionszahlen könnten, so Drosten, eine Folge des Lockdowns sein, aber "es wäre auch möglich, dass das Virus gerade Schwung holt, wir es aber noch nicht merken". (Karin Pollack, 17.6.2020)