Daniel Radcliffe. Emma Watson. Rupert Grint. In den vergangenen Tagen und Wochen haben sich immer mehr Darstellerinnen und Darsteller der "Harry Potter"-Verfilmungen bemüßigt gefühlt, ihre Unterstützung für Transpersonen deutlich zu machen, jenen Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren. "Transmenschen verdienen es, ihr Leben zu leben, ohne konstant dafür infrage gestellt zu werden", schrieb Emma Watson etwa.

Den Reaktionen vorausgegangen waren umstrittene Aussagen der Autorin Joanne K. Rowling. Sie machte sich unter anderem über einen Text lustig, in dem von "Menschen, die menstruieren", die Rede war. Sinn der Konstruktion ist es, auch Transmänner einzubeziehen, die zwar menstruieren, sich aber nicht als Frauen identifizieren. Transfrauen, die zwar nicht menstruieren, sich aber mit dem Begriff Frau identifizieren, sollten hingegen aktiv ausgeschlossen werden. "Ich bin mir sicher, da gab es einst ein Wort für diese Menschen", schrieb Rowling sarkastisch.

Damit zeigte die Autorin, dass ihr die Rücksichtnahme auf Transgenderpersonen, darauf, dass auch sie sich als Frauen und Männer verstehen und als solche angesprochen werden wollen, auf die Nerven geht. Frauen mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen, die sie von Geburt an haben, sind Rowlings Ansicht nach Frauen. Transfrauen, also jene, die sich selbst als Frauen verstehen und/oder auch geschlechtsanpassende Operationen durchführen ließen, sollten demnach nicht als Frauen bezeichnet werden. Doch was bedeutet diese Reduktion auf die Biologie? Für Transfrauen bedeutet es jedenfalls, dass jemand anderer als sie selbst über ihre geschlechtliche Identität bestimmt, darüber, was sie sind und was sie nicht sind.

"Zwischen feministisch interessierten Personen gibt es schon lange diese Auseinandersetzung mit dem Begriff 'Frau'. Wer ist darin eingeschlossen – oder auch nicht?", sagt Sabine Hark, Soziologin und Geschlechterforscherin an der TU Berlin. Somit ist jetzt eine Debatte im Mainstream angekommen, die in akademischen Kreisen schon vor Jahrzehnten geführt wurde. Die deutsche Genderforscherin Barbara Duden bezeichnete die US-amerikanische Philosophin Judith Butler als "Frau ohne Unterleib". Sie spielte damit auf Butlers inzwischen berühmte These an, nach der Geschlecht vor allem eine soziale und politische Tatsache sei, die von unserer Gesellschaft gestaltet wird. Die strengen sozialen Rollen, die damit verbunden seien, haben demnach nichts mit Biologie zu tun. Die Kritik an diesem Ansatz lautete, damit werde der Begriff "Frau" als politischer Begriff geschwächt, mit ihm müsse man weiter spezifische Diskriminierungserfahrungen ausdrücken, die als Frauen Geborene von Geburt an machen. Ansonsten könne das Subjekt des Feminismus abhandenkommen.

Darauf spielt auch Rowling an, wenn sie erklärt, "das Konzept, Geschlecht zu löschen, hindert viele Menschen daran, sinnvoll über ihr Leben zu sprechen".

Debatte aus den 1980ern

"Das ist ein sehr alter Vorwurf", sagt Hark. Nachvollziehen kann sie ihn nicht, denn bereits vor 30 Jahren wurde eine Antwort darauf gegeben. Und zwar von Judith Butler selbst, die in ihrem bekanntesten Buch "Gender Trouble" dazu sagt: "Der Feminismus braucht die Frauen, aber er muss nicht wissen, wer sie sind." Demnach gäbe es zwar politisch die Notwendigkeit, dass wir uns auf solche Begriffe und Identitäten berufen, erklärt Hark, aber wir müssen vorab nicht wissen, worauf sich diese Begriffe genau beziehen.

Die Debatte mag zwar eine alte sein, die gesellschaftliche Realität ist allerdings heute eine andere: Die Zahl geschlechtsanpassender medizinischer Behandlungen steigt. Die Gynäkologin Christine Kurz arbeitet seit 20 Jahren in der Klinik für Frauenheilkunde am AKH und ist auch an der dortigen Transgender-Ambulanz tätig. Vor 20 Jahren seien es etwa vier bis fünf Eingriffe gewesen, heute sind es über 20 pro Jahr, sagt sie.

Doch lange vor den ersten medizinischen Schritten sind zahlreiche psychologische und psychiatrische Begleitungen und Begutachtungen vorgeschrieben. Dann folgt mindestens ein Jahr Wartezeit, bis man sich weiter entscheiden kann. Langsames Begleiten, Rückfragen und immer wieder Evaluieren seien wichtig, um zu verhindern, dass man eine Hormontherapie und operative Eingriffe bereut, sagt Kurz. Den meisten Transpersonen gehe es nach einer Geschlechtsanpassung deutlich besser, das liege auch an der intensiven Betreuung.

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Die Autorin J. K. Rowling ist "wegen des aktuellen Transaktivismus sehr beunruhigt".
Foto: Reuters / Carlo Allegri

Dass Transpersonen heute präsenter sind, lässt Menschen wie Rowling offenbar empfinden, sie könnten nicht mehr "sinnvoll" über ihre Erfahrungen sprechen. Dem stimmt Sabine Hark nicht zu: "Wenn auch Transfrauen Frauen sind, hindert das die anderen ja nicht, ihre Anliegen wie körperliche Selbstbestimmung oder Reproduktionsfragen weiter zu artikulieren." Die aktuelle Debatte berühre damit auch die zentrale Frage, welchen Platz diese körperlichen Erfahrungen und Gegebenheiten im Feminismus haben sollen und ob die Unterdrückung von Frauen auch unabhängig davon gesehen werden kann.

Gewalterfahrungen als Grund

Rowling führte in ihrem zu diesem Thema veröffentlichten Essay auch ihre eigenen Gewalterfahrungen mit ihrem Ex-Mann als Grund an, warum sie "wegen des aktuellen Transaktivismus sehr beunruhigt" sei. Sie betonte zwar, dass auch Transfrauen gewaltfrei leben können sollten. Aber jene, die sie selbst als Frauen definiert, sollten deshalb nicht weniger sicher sein. "Wenn man die Tür zu Toiletten und Umkleiden für jeden Mann aufreißt, der glaubt, eine Frau zu sein, dann öffnet man die Tür für jeden und alle Männer, die hineinkommen wollen."

Neben viel sachlicher Kritik, die ebenso wie Rowlings Äußerungen selbst zur Meinungsfreiheit gehört, brach auch eine Welle an Beschimpfungen und Drohungen über sie herein. Die britische Boulevardzeitung "Sun" veröffentlichte sogar ein Interview mit Rowlings Ex-Mann mit dem Zitat "Es tut mir nicht leid, dass ich sie geschlagen habe", was für Empörung sorgte.

Daneben muss sich Rowling aber auch mit Argumenten jener auseinandersetzen, die ihr einfach widersprechen, etwa Laurie Penny: "Einer marginalisierten Gruppe Menschenrechte zu verwehren unter dem Vorwand, dass ein Mitglied der Gruppe eines Tages eine Straftat begehen könnte, ist der Kern von Vorurteilen", schrieb die Autorin zu Rowlings Sorge vor Eindringlingen in Toiletten und Umkleidekabinen.

Beabsichtigtes Missverständnis

Rowling, aber auch Feministinnen wie Alice Schwarzer werfen vor allem Transmännern immer wieder vor, sie würden sich quasi vor dem ihnen angeborenen Geschlecht drücken und eines annehmen, in dem das eigene Leben leichter scheint. Darin sieht Hark ein "fast beabsichtigtes" Missverständnis. Denn auch abseits von Geschlechterkonzepten, die den angeborenen Körper als den wesentlichen Ausgangspunkt politischer Fragen betrachten, sehen auch jüngere Gender-Theorien Geschlecht "als politisch insinuiertes Zwangssystem", sagt Hark. Ein System, unter dem viele sehr leiden – deshalb könne keine Rede davon sein, dass man einmal eben sein Geschlecht wie seine Garderobe wechselt.

Aber was, wenn sich Transpersonen auch dann ausgeschlossen fühlen, wenn dies nicht beabsichtigt war? Sind das diskursive Spitzfindigkeiten? "Es sind Konflikte um Worte, hinter denen sich aber politische Anliegen verbergen", sagt Hark. "Genauso wie es Leute wie Rowling gibt, die mit einer Öffnung des Begriffs ‚Frau‘ eine Entpolitisierung fürchten, so gibt es zu Recht auf der anderen Seite Transfrauen, die um Sichtbarkeit kämpfen und darum, dass ihre Anliegen berücksichtigt werden." Sicher sei jedenfalls, so Hark, dass der Konflikt noch lange andauern werde. Nicht zuletzt, weil eine Welt, in der das biologische Geschlecht nicht mehr festlegt, wer wir sein sollen und welches Leben wir führen sollen, völlig unbekanntes Terrain ist. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 18.6.2020)