Es gibt kein Zurück: Um Trump zu überwinden, müssen sich die USA neu erfinden.

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Donald Trump nannte das Coronavirus bekanntlich "China-Virus", als es sich nicht länger wegleugnen ließ. Darauf anspielend, veröffentlichte Eliot Weinberger im London Review of Books Skizzen über Trumps Handling der Pandemie unlängst unter dem Titel "The American Virus".

Viele davon sind zum Haareraufen, manche auch einfach absurd. Eine davon erzählt von einem Besuch des Präsidenten in einer Fabrik in Arizona, in der Masken hergestellt werden. Als er ankommt, freilich ohne Mund-und-Nasen-Schutz, grölt aus den Lautsprechern – wie passend! – Live And Let Die von Guns N' Roses. Von einem Reporter später befragt, warum er eigentlich keine Maske trage, meinte Trump, er habe sehr wohl eine getragen: "Nur nie, wenn die Reporter in der Nähe waren."

Unsinn, Lüge oder Verschleierung? Masha Gessen ist sich in ihrem soeben erschienenen Buch Autokratie überwinden (Aufbau-Verlag) jedenfalls sicher, dass das Virus das verheerende, ja tödliche Ausmaß der Trump'schen Politik sichtbar macht. In seiner Kombination aus Präzision und Unverblümtheit ist ihr Buch ein Sonderfall unter den Sachbuchstudien über megalomanische Staatenlenker. Mehr als um die Person geht es um das System des Populisten, den Trumpismus. Wie konnte es ihm gelingen, das auf "Checks and Balances" basierende System der Gewaltenteilung zu umgehen? Warum gefährdet Trumps "autokratischer Versuch", wie das Gessen nennt, Politik und Institutionen im Kern? Ist er nicht einfach nur ein Idiot?

Expertin für illiberale Narzissten: Autorin Masha Gessen.

Die russisch-amerikanische Essayistin, die zum ständigen Team des New Yorker gehört, ist eine Expertin für Demagogen neuerer Bauart. Ihr vielfach ausgezeichnetes Buch über den Übergang der Sowjetunion zu Putin'schem Alleinherrschertum, Die Zukunft ist Geschichte, war auch deshalb so aufschlussreich, weil es die Korrosion des Landes quer durch die Gesellschaft hindurch beschrieben hat. Autokratie überwinden ist demgegenüber ein schnellerer Wurf, minutiös recherchiert, aber stärker auf das Momentum ausgerichtet. Gessens Chronologie der Überschreitungen Trumps und der gescheiterten Versuche, sein destruktives Wirken zu mildern oder gar zu stoppen, hat den Vorzug der Entschlossenheit: Sie will aufrütteln, aufklären. Man sollte nicht den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen, seine Verstöße sind spontan, aber keine Willkürakte: "Trumps Inkompetenz ist militant. Sie mildert nicht die Bedrohung, die dieser Mann darstellt; sie ist vielmehr die eigentliche Bedrohung", so Gessen.

Trumps Kakistokratie

Eine Antwort auf seine Wirkkraft findet sie beim ungarischen Soziologen Bálint Magyar, der bei der Beschreibung postkommunistischer autokratischer Systeme mit den Analysebegriffen der liberalen Demokratie nicht weiterkam und den Begriff des Mafiastaats kreierte. Gessen nennt Trumps Projekt daran anschließend eine Kakistokratie – die Herrschaft des Schlechtesten.

Diese zielt auf die Zerstörung all dessen ab, was Politik bisher bestimmt hat. Trump baut die Machtkonzentration in der Exekutive aus und fördert Korruption bei gleichzeitiger Aushebelung tradierter Formen politischer Repräsentation – der gesellschaftliche Austausch, der ein gemeinsames Wir erst ermöglicht, schwindet dahin.

Weil er eine andere, ausschließende Realität schaffen will, so Gessen, die mit jener der etablierten liberalen Politarena konkurriert, wird auch Sprache selbst verformt: "Indem er sagt, was er will, wann er will, bemächtigt er sich der Sprache selbst und damit unserer Fähigkeit, mit anderen zu sprechen und zu interagieren." Nicht nur Fake-News-Umkehrungen, notorische Lügen, auch (gefährlicher) Nonsens wie jener, dass man sich doch Desinfektionsmittel gegen Corona spritzen könnte, sind solche Mittel der Entwertung der Kommunikation.

Dilemma der Neutralität

Gessen beklagt, dass selbst Renommee-Blätter wie die New York Times keine überzeugende Strategie gefunden haben, einer Normalisierung der Trump'schen Kulturumkehr entgegenzuwirken, im Gegenteil: Die Zurückhaltung, die einer Ethik der Neutralität folgt, während der Gegner diese verhöhnt, hat sie erst mitermöglicht.

Lässt sich das System Trump noch überwinden? Gessen drängt darauf, dass es besser früher als später gelingen muss – der Schaden könnte sonst irreparabel sein. Die Proteste von "Black Lives Matter" konnte sie in ihrem Buch zwar nicht mehr auffangen, aber ihr Plädoyer für eine Neuerfindung Amerikas, die den moralischen Anspruch von Institutionen, Medien und Zivilgesellschaft ernst nimmt, trifft dessen "spirit". Gessen erinnert an Bürgerrechtler wie Vacláv Havel, die am Ende den längeren Atem bewiesen haben. (Dominik Kamalzadeh, 18.6.2020)