Die Kaufleute protestieren gegen das teilweise Fahrverbot in der Wiener Innenstadt.

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Wien – "Wir sind nicht gegen Veränderungen. Aber das ist ein Überfall". Vertreter von traditionellen Nobelgeschäften in der Wiener Innenstadt protestieren dagegen, dass die weitgehend "autofreie City", die von einer Allianz der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein und des schwarzen Bezirksvorstehers Markus Figl frühestens per August durchgezogen werden soll.

Der Juwelier Herbert Schullin vom Kohlmarkt betont gegenüber dem STANDARD: "Keiner sagt, es muss so bleiben, wie es ist. Aber wir brauchen ein kluges, gemeinsam erarbeitetes Konzept, nicht diese Ho-ruck-Aktion."

Marie-Béatrice Fröhlich vom Modegeschäft Brieftaube am Graben zur Gesamtsituation: "Gerade haben wir mit Ach und Krach die Corona-Flaute überstanden. Jetzt, wo wir das Licht am Ende des Tunnels sehen, kriegen wir eine Watschen." Immerhin gehe es um 9.000 Geschäfte mit 50.000 Mitarbeitern.

Eindruck von abgeriegelter Stadt

Warum Widerstand gegen eine sofortige "autofrei(er)e City"? Die beiden Premium-Unternehmer argumentieren differenziert, von der Käuferpsychologie her. Wenn die weiter entfernte betuchte Kundschaft aus den Landeshauptstädten oder dem näheren Ausland den Eindruck gewinne, die Innere Stadt sei für sie abgeriegelt, dann würde sie wegbleiben oder nach München und Zürich ausweichen, sagt Herbert Schullin. Man müsse begleitende Maß nahmen durchführen, an denen schon gearbeitet werde, wie etwa Parkleitsysteme. Oder Zufahrten vom Ring, die direkt und ausschließlich in Parkgaragen führen.

Aber ist es nicht eine Tatsache, dass die Befürchtungen der Kaufleute, die sich seinerzeit gegen Fußgängerzonen aussprachen (Kärntner Straße, Graben und Stephansplatz waren bis in die 1970er-Jahre Autostraßen), nicht eingetroffen sind? Marie-Beátrice Fröhlich betont die Psychologie: "Die Leute müssen wieder Lust haben, qualitative Dinge zu kaufen. Aber sie werden jetzt durch plötzliche Hürden abgeschreckt."

Wenn das Qualitätspublikum abgeschreckt wird, werden am Ende statt der Traditionsbetriebe nur Geschäfte mit Touristenramsch übrig bleiben, befürchten Schullin und Fröhlich. Tatsächlich ist in der City die Tendenz zum Overtourismus unübersehbar: Warteschlangen vor Traditionscafés, Kolonnen von Tagestouristen, die Schaffung "goldener", aber eher "toter" Quartiere für Flagship-Stores fast ohne Kunden.

Protestbrief der Kaufleute

Schullin und Fröhlich sind nicht allein. Es gab einen heftigen Protestbrief der Vereinigungen der City-Kaufleute. Auch hier wird betont, man sei nicht gegen Verkehrsberuhigung, wolle aber in einem ausgearbeiteten Plan einbezogen werden. Schullin meint etwa, dass man damit beginnen könne, die Stellplätze zu reduzieren und auch die Diplomatenlimousinen in Tiefgaragen zu verbannen.

Jetzt aber habe man nach dem Prinzip "Schau ma mal, dann seh ma schon" etwas beschlossen, das noch dazu mit x Ausnahmen durchlöchert sei.

Als Motiv der Grünen wird der Wahlkampf vermutet. Was den schwarzen Bezirkschef dazu getrieben hat, dem so rasch zuzustimmen, ist Gegenstand von Spekulationen – etwa eine Vorleistung für eine Koalition auch in Wien. Die Unternehmer Schullin und Fröhlich werden nicht müde zu betonen, dass sie sehr wohl für eine starke Reduktion der Autos sind, aber dabei mitreden wollen: "Das ist so eine große Geschichte, das kann man nicht in sechs Wochen durchziehen." (rau, 18.6.2020)