Vielfach heißt es, das Publikum am Brunnenmarkt und Yppenplatz vermische sich nicht, zugezogene Hipster verdrängten Altbewohner. Das scheint aber zu kurz gefasst.

Foto: Christian Fischer

Ein Babyelefant passt nur knapp zwischen die Besucher, die am Montag bei den Gemüse-, Fleisch- und Textilständen am Brunnenmarkt einkaufen. Es ist einiges los: Eltern mit Kinderwagen, Pensionisten, die sich in der Sonne unterhalten, Schüler, die zu Mittag bei den Falafel- und Kebap-Ständen Schlange stehen, oder eine junge Frau, die erzählt, nur wegen "ihres Ziegenkäse-Dealers" hierherzukommen.

Am Ende des Marktes, auf der "Piazza", dem gastronomischen Herzstück des Yppenplatzes, trinken viele junge Menschen Kaffee oder arbeiten am Laptop. Unter der Markise der "Drei Silberlinden" sitzt "die alte Partie", wie sie Mischa Perzel, der Trafikant von gegenüber, nennt. Seit 22 Jahren betreibt er die Trafik. In der Zeit habe sich einiges getan im Grätzel: "Es wurde vom wilden, argen Viertel, dem Ausläufer des Straßenstrichs, zum teils fast elitären Ort mit viel weniger Kriminalität." Dass es sich verändert hat, sagen alle, mit denen man spricht.

Kunstschaffende, Studierende oder junge Familien leben mittlerweile neben Alteingesessenen mit alten Mietverträgen, Arbeitenden oder Menschen mit Migrationshintergrund unterschiedlichster Generationen. Besonders durch die Neugestaltung 2010 wurde das Brunnenviertel zu einem der angesagtesten Grätzeln der Stadt. Für Haubenkoch Raetus Wetter vom gleichnamigen Restaurant am Yppenplatz war der diesbezügliche Marker der Zeitpunkt, "als die ersten Airbnb-Touristen ihre Rollköfferchen über den Platz zogen". Und Lokale kamen, "die bestimmte Leute anziehen – etwa deutsche Studierende".

Schleichende Gentrifizierung

Das Brunnenviertel gilt zwar als Paradebeispiel für die Gentrifizierung Wiens. Doch "das klassische Verständnis der Gentrifizierungsentwicklung, dass rasch, großflächig und direkt einkommensschwache Gruppen durch einkommensstärkere verdrängt werden", gebe es hier nicht, sagt Yvonne Franz, die an der Uni Wien zu Stadtentwicklung forscht. Wenn, passiere es schleichend, sagt Franz.

Auch mithilfe des hohen Mieterschutzes und des sozialen Wohnbaus werde die Verdrängung und Mietpreisexplosion eingedämmt. Das sei ein "unglaublicher Schatz, den Wien hat", um Viertel lebendig und divers zu halten. Und: Es sei nicht einfach, seit Jahrzehnten so eine Situation zwischen Alt und Neu zu halten. Besonders unbefristete Mietverträge würden zur Stabilität beitragen. Von Gentrifizierung in Ottakring würde Franz daher erst sprechen, wenn sich bestehende Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen fühlten oder am Leben vor Ort nicht mehr teilhaben können, weil etwa die Lokale zu teuer seien.

Die Stadtforscherin Cornelia Dlabaja von der Uni Wien beobachtet seit 15 Jahren eine punktuelle Veränderung einzelner Straßenzüge wie der Brunnengasse oder die kommerzielle Gentrifizierung in den Erdgeschoßen, wo Cafés und Galerien einzogen.

So etwa auch in der Grundsteingasse, wo Fabian Dorner seit fünf Jahren wohnt. Jährlich seien drei Häuser eingerüstet, in seinem hätten, seit er eingezogen ist, zwei Drittel der Mieter gewechselt. Dennoch werden im Viertel neben teuren Dachgeschoßausbauten auch geförderte Wohnungen errichtet und saniert. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt mit rund 14 Euro (im nicht-geförderten Bereich) im unteren Wiener Segment und ist in den vergangenen Jahren nur leicht gestiegen, zeigen Auswertungen von Immopreise.at.

"Ankunftsräume" am westlichen Gürtel

Dlabaja rechnet in den nächsten zehn Jahren mit einem weiteren Zuzug an Besserverdienenden, aber es werde immer eine Mischung bleiben. Wohl auch, weil es immer noch – auch wenn sie weniger werden – "Ankunftsräume" gibt, wie Stadtgeografin Franz sie nennt. "Gerade wer aus dem Ausland herzieht, findet in den westlichen Gürtelregionen oft die erste Wohnung, baut hier das soziale Netzwerk auf, findet Arbeit", sagt sie.

Den Generationenwandel sieht Raetus Wetter vor allem am Markt. Seit elf Jahren betreibt er sein Restaurant, seit 28 Jahren wohnt er ums Eck. Manch alteingesessene Standler wurden von migrantischen Betreibern abgelöst. Aber der Markt sei lebendig, was auch an den Preisen liege. Auch beim Bauernmarkt, der "kein Luxusmarkt" sei, bei dem nur die Hipster einkaufen, wie es oft heißt: "Es durchmischt sich gut", sagt Wetter. Auch in seinem Lokal. Dorner hingegen will eine leichte Trennung der Marktbesucher bemerken: je näher zur Ottakringer Straße, desto mehr Hipster, sagt er.

Durchmischung der Bevölkerungsgruppen

Es gebe im Grätzel ein Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander, sagt Stadtforscherin Dlabaja Autochthone Räume wie türkische Lokale, kroatische Clubs oder Wiener Beisln seien wichtig. Aber es brauche genauso Orte des Austauschs, um die Verdrängung zu verhindern, weiß Franz. Das sind etwa der Markt, der Platz mit Bänken und Tischtennistischen, der Spielplatz, aber auch Kulturinitiativen wie die Brunnenpassage und die Gastro.

Auf dem Spielplatz trifft man viele Väter und Mütter. Eine von ihnen ist die Architektin Johanna. Seit acht Jahren wohnt sie in der Gegend. Der Austausch zwischen den Gruppen passiere vor allem, seit sie ihren Sohn hat: "Die Kinder spielen gemeinsam Ball, man plaudert mit den Eltern, das verbindet." Seit Corona sei der Platz für viele noch mehr zum erweiterten Wohnzimmer geworden. (Selina Thaler, 19.6.2020)