Bei einem Routinecheck im Spital kamen Ärtze dem Corona-Cluster in einem Hochhaus in Göttingen auf die Spur.

Foto: APA/dpa/Swen Pförtner

Göttingen/Berlin – Nach einem neuerlichen massiven Corona-Ausbruch haben die deutschen Behörden im niedersächsischen Göttingen einen kompletten Hochhauskomplex unter Quarantäne gestellt. Von der Maßnahme seien knapp 700 Menschen betroffen, teilte die Stadtverwaltung am Donnerstag mit. Aus ersten Testergebnissen gehe bereits hervor, dass sich etwa hundert Bewohner infiziert hätten.

Einwöchige Quarantäne

In dem Gebäudekomplex gebe es zudem "zahlreiche Kontaktpersonen und Querkontakte" der Betroffenen. Der städtische Krisenstab habe deshalb nach intensiven Abwägungen trotz des damit einhergehenden "massiven Eingriffs in Grundrechte" entschieden, eine einwöchige Quarantäne bis zum kommenden Donnerstag zu verhängen. Dies sei notwendig, um Infektionsketten zu unterbrechen.

Für die Bewohner werde unter anderem ein mobiles medizinisches Versorgungszentrum aufgebaut. Auch eine Anlaufstelle für Informationen samt Dolmetschern werde vor Ort eingerichtet.

Bei Routinecheck entdeckt

Das massive Infektionsgeschehen in dem Hochhauskomplex war durch Tests an zwei Bewohnerinnen entdeckt worden, bei denen im Rahmen einer Routineuntersuchung in einem Krankenhaus eine Ansteckung mit Corona festgestellt worden war. Daraufhin starteten Reihentests.

Bereits vor knapp zwei Wochen hatte Göttingen mit einem massiven Corona-Ausbruch in einem anderen Hochhauskomplex zu kämpfen. Dort hatten sich rund hundert Menschen mit dem Virus angesteckt, weitere etwa 200 Menschen mussten sich als Kontaktpersonen in Quarantäne begeben. Alle Schulen wurden vorübergehend wieder geschlossen. Auf die Verhängung einer Quarantäne über das gesamte Gebäude wurde aber noch verzichtet.

Mehr Infizierte in Berliner Cluster

Anfang der Woche wurde zudem ein ähnlicher Fall aus dem Berliner Bezirk Neukölln vermeldet, wo sich ebenfalls ein lokaler Hotspot gebildet hatte. Die Zahl der Infektionen in den unter Quarantäne gestellten Wohnblöcken ist seither weiter gestiegen. Dem Ausbruch werden nun 85 Fälle zugerechnet, wie der Bezirk am Donnerstagnachmittag mitteilte. Das sind 15 Fälle mehr, als am Vortag bekannt waren. Unter den Infizierten seien 36 Kinder und Jugendliche, hieß es.

75 Kisten mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln seien zur Versorgung erster Haushalte verteilt worden. Mit einem weiteren Anstieg der Fallzahlen wird gerechnet, da noch Tests bei Bewohnern der betroffenen Häuser laufen. Bisher wurden in dem Zusammenhang laut Bezirksstatistik 440 Tests vorgenommen. Neukölln hat knapp 370 Haushalte an sieben Standorten unter Quarantäne gestellt, um eine Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verhindern. Pro Haushalt leben bis zu zehn Bewohner – die genaue Zahl der Betroffenen ist nach Bezirksangaben unbekannt.

Bekannt geworden war der Ausbruch am 5. Juni. Vermutet wird, dass er in Zusammenhang mit einer christlichen Gemeinde steht, deren Pfarrer an Covid-19 erkrankte. Unter den Gemeindemitgliedern gebe es zahlreiche Infizierte, sie hätten auch an einem Gottesdienst teilgenommen, hieß es. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte betont, der Ausbruch betreffe die "Schwächsten der Gesellschaft", für sie sei die Situation eine "Katastrophe".

Kreis Gütersloh droht Lockdown

Nach dem Ausbruch des Corona-Virus in einem Schlachthof des Fleisch-Konzerns Tönnies im Kreis Gütersloh droht der Region dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet zufolge ein flächendeckender Lockdown. "Wir nehmen ein Infektionsgeschehen wahr, das in dieser Größenordnung neu ist", sagte er am Freitagabend in Düsseldorf.

"Es ist das größte, bisher nie da gewesene Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen." Von den rund 7.000 Beschäftigten am Standort seien bis zum Nachmittag 1.106 Menschen gestestet worden, insgesamt 803 Personen mit positiven Befunden. "Noch können wir das Infektionsgeschehen lokalisieren", sagte Laschet. Sollte sich dies ändern, könne auch "ein flächendeckender Lockdown in der Region" notwendig werden.

Außerdem müssen sämtliche Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen in Quarantäne. Das betreffe auch die Verwaltung, das Management und die Konzernspitze, teilte der Kreis Gütersloh am Freitagabend mit.

Arbeitsbedingungen unter der Lupe

Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat ein konsequentes Durchgreifen angekündigt. "Die Masseninfektionen bei Tönnies bestätigen unseren Kurs, Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie zu verbieten", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerk Deutschlands.

"Wir werden hier aufräumen und für menschenwürdige Arbeitsbedingungen sorgen", so Heil. Er verwies auf den Beschluss des Bundeskabinetts vor vier Wochen zu neuen Auflagen für die Fleischindustrie. Vorgesehen ist unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, das allerdings erst ab dem 1. Jänner 2021 gelten soll. Damit sich an der "systematischen Ausbeutung in den Fleischfabriken" wirklich etwas ändere, "arbeiten wir mit Hochdruck an der Umsetzung", versicherte der Minister.

Für Integrations-Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) treffe die Corona-Krise Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen "besonders hart". (APA, 18.6.2020)