Narzissmus nennen Freudianer das Phänomen der Selbstverkennung: Es erlaubt den Betroffenen, sich wider alle Zumutungen des Realen als über die Maßen potent, kompetent, glorios und wunderprächtig zu fühlen.

Foto: AFP / Nicholas Kamm

Vor ein paar Tagen ging ein Video durch alle "sozialen" und sonstigen Medien, welches Donald Trump beim hilflosen Hinunterwatscheln von einer Bühne in der Militärakademie West Point zeigt. Trippel, trippel, trippel, herzlich willkommen im späteren Lebensalter. Es darf als ein Wunder der Schwerkraft betrachtet werden, dass es Trump beim Abstieg nicht auf seinen orangen Greisenmund warf.

Das Erbarmungswürdige der Szene stand in flagrantem Kontrast zur bombastischen Selbsteinschätzung, für die Trump sonst renommiert ist. Der Mann weiß bekanntlich mehr vom Krieg als jeder General, mehr über Geld als jeder Ökonom und mehr über Viren als jeder Mediziner. Und körperlich superfit ist er sowieso – zieh dich warm an, Arnie Schwarzenegger. Es gab einst einen Clip, der eine Präsidentschaft Trump im Jahr 2040 in Aussicht stellte.

Narzissmus nennen Freudianer dieses Phänomen der Selbstverkennung, bei den Psychologen trägt es den Namen Dunning-Kruger-Effekt. Es erlaubt den Betroffenen, sich wider alle Zumutungen des Realen als über die Maßen potent, kompetent, glorios und wunderprächtig zu fühlen.

Entzweiung

Von dieser subjektiven Narretei abgesehen erweist sich Trump in seinem Verhalten auch als perfekter Repräsentant dessen, was angeblich Lenin – die Herkunft des Zitats ist umstritten – einmal ungalant den "nützlichen Idioten" genannt haben soll.

Hinter all dem Krawall, den Trump produziert, lässt sich komfortabel eine Politik der Steuerschonung für die Allerreichsten verbergen, welche zur Folge hat, dass jede Menge Männer, Alte, Schwarze und Fleischesser ökonomisch genauso in die Röhre sehen wie Frauen, Junge, Weiße und Veganer. Und Veganerinnen, versteht sich.

Robert Reich (unter Bill Clinton US-Arbeitsminister von 1993 bis 1997) hat dem Phänomen vor ein paar Tagen eine prächtige Kolumne im Guardian gewidmet: "Trump schürt Entzweiung mithilfe von Rassismus und Wut – und Amerikas Oligarchen schnurren dazu".

Es ist ein trauriger Trost, dass Narzissten für ihre illusionäre Arroganz vom Leben oft übel bestraft werden. Der Krisenkolumnist empfiehlt zu diesem Thema die Lektüre von Eugène Ionescos Stück Der König stirbt. So schockierend – und komisch – wie dort knallen narzisstische Allmachtsfantasien und die Grausamkeit des Todes selten aufeinander. (Christoph Winder, 21.6.2020)