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Markus Braun gibt nach 18 Jahren an der Spitze die Zügel der Firma aus der Hand.

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Wirecard kommt nach dem Kursabsturz nicht zur Ruhe.

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Aschheim – Bei Wirecard bleibt es auch nach dem massiven Kurseinbruch turbulent. Der Aktienkurs des in einen Bilanzskandal verwickelten Dax-Konzerns ist am Freitag in der Früh weiter eingebrochen. Das Papier verlor kurz nach dem Auftakt mehr als ein Fünftel an Wert und wurde knapp über 31 Euro gehandelt. Am Freitagnachmittag gab es den nächsten Kracher.

Der österreichische Konzernchef Markus Braun trat mit sofortiger Wirkung zurück, gab das Unternehmen bekannt. Der US-Manager James Freis übernimmt interimistisch, dieser wurde erst am Donnerstagabend in den Vorstand berufen. Zwei Tage, die definitiv in die Annalen der deutschen Börsengeschichte eingehen. In nur eineinhalb Tagen verlor Wirecard gut zehn Milliarden Euro an Wert. Allein Braun – mit sieben Prozent größter Aktionär – hat über 600 Millionen Euro eingebüßt.

Der 51-Jährige Wiener hat Wirecard groß gemacht. Er kam von der Unternehmensberatung KPMG, trat 2002 in das Unternehmen, das zunächst Geschäfte in der Porno- und Glücksspielbranche machte, ein und brachte es 2005 an die Börse. Zwischen 2006 und 2019 stiegen die Umsätze von knapp 82 Millionen auf zwei Milliarden Euro. Braun ist auch ein Mitglied des Think Tanks von Sebastian Kurz "Think Austria", der von Antonella Mei-Pochtler geleitet wird.

Fehlende Milliarden

Angesichts der bilanziellen Unklarheiten hatten immer mehr Investoren den Rücktritt von Braun gefordert. Die Aktien des Konzerns mit 5.800 Mitarbeitern und 313.000 Kunden reagierten darauf jedoch kaum. Zuletzt waren sie noch mit 46 Prozent im Minus. Am Donnerstag stürzte der Kurs um knapp 62 Prozent ab, nachdem Wirecard wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorgelegt hatte. Viermal in Folge wurde dieser nun verschoben.

Bilanzprüfer zweifeln an der Existenz von 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien verbucht worden sein sollen. Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online – und kam vor mehr als einem Jahr in Bedrängnis, als die Londoner "Financial Times" dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf.

Banken-Dementi

Zwei philippinische Banken haben nun dementiert, dass Wirecard bei ihnen Konten unterhalte. "Wirecard ist kein Kunde von uns", erklärten die BDO Unibank und die Bank of the Philippine Islands (BPI) am Freitag in zwei getrennten Mitteilungen. Dokumente, die externe Prüfer von Wirecard vorgelegt hätten, seien gefälscht, erklärte BPI. Auch BDO spricht von gefälschten Unterschriften.

Man werde den Fall weiter untersuchen. BDO teilte mit, Papiere, die ein Konto von Wirecard bei der Bank bestätigen sollten, trügen gefälschte Unterschriften von Bankenvertretern. Wirecard soll mittlerweile ein Team nach Manila geschickt haben, das das Problem vor Ort untersuchen soll, berichtet die deutsche "FAZ".

Die 1,9 Milliarden Euro entsprechen rund einem Viertel der Konzernbilanzsumme und wurden von Tochtergesellschaften als Garantie für das Risikomanagement von Händlern hinterlegt, für die Wirecard Zahlungen abwickelt.

Braun ortet Betrug

Der Zahlungsabwickler Wirecard sieht sich selbst als mögliches Betrugsopfer. "Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden ist", sagte Ex-Vorstandschef Braun in einem Video, das in der Nacht zu Freitag online gestellt wurde.

Wirecard

Es sei aktuell unklar, warum zwei Banken, die im Auftrag von Wirecard Treuhandkonten verwaltet hätten, dem Wirtschaftsprüfer EY gegenüber erklärt hätten, Bestätigungen über dort angelegte Milliardensummen seien gefälscht. Die Namen der Banken nannte Wirecard nicht. Man fürchtet beim Unternehmen einen "gigantischen" Milliardenbetrug und will Strafanzeige erstatten.

Erinnerungen an den Fall Enron werden wach. Der US-Energiekonzern zählte zu den größten Unternehmen der Branche und schlitterte nach einem Bilanzskandal in die Insolvenz. Wie Marktkenner berichten, wird am Markt eine Pleite von Wirecard bereits durchgerechnet.

Unternehmen in der Kritik

Schon länger gibt es Kritik an den Bilanzen des Konzerns, wenn auch in anderen Fragen, die auch eine Sonderprüfung durch die KPMG nicht hatte ausräumen können. Analysten wie Mirko Maier von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatten sich verwundert gezeigt über die erneute Verschiebung der Bilanzvorlage.

Noch am 25. Mai habe Wirecard kommuniziert, dass für die Bilanz 2019 ein uneingeschränktes Testat erwartet werde, erklärte Maier in einer Studie. Insofern überrasche die Meldung mit den Täuschungsvorwürfen. Immer mehr Analysten äußern sich nun auch kritisch zu dem Zahlungsabwickler und raten zum Verkauf oder setzen die Bewertung erst einmal aus. Letzteres tat auch Maier.

Weitere Probleme drohen

Im September 2018, als der erst vor gut zwei Jahrzehnten gegründete Zahlungsabwickler die 150 Jahre alte Commerzbank aus dem Dax verdrängt hatte, kostete eine Wirecard-Aktie noch fast 200 Euro. Firmenchef Braun wurde als Visionär gefeiert, der den angestammten Banken mit seinem Geschäftsmodell das Fürchten lehren sollte. Nun ist alles anders.

Sollte der Zahlungsabwickler auch an diesem Freitag keinen testierten Abschluss präsentieren, droht die Kündigung von Krediten in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro. Experten zweifeln allerdings, dass die Kreditgeber so einfach den Stecker ziehen würden, da dies auch Belastungen für andere Banken zur Folge haben könnte.

Würden die Banken diese Kredite sofort fällig stellen, müsste sie sie nämlich auch in ihren Bilanzen abschreiben. Es dürfte also zu neuen Verhandlungen zwischen Wirecard und den Geldhäusern kommen. Nach einer Schätzung der US-Bank Morgan Stanley würde Wirecard nur noch über liquide Mittel von 220 Millionen Euro verfügen, falls diese Kreditlinien verloren gehen.

Ermittlungen wegen Marktmanipulation

Gegen Wirecard-Vorstände ermittelt die Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Zudem schaut sich die deutsche Finanzaufsicht BaFin mehrere Vorgänge genauer an. Ärger droht Wirecard wegen des verschobenen Jahresabschlusses auch mit der Deutschen Börse. Weil die Frist für die Vorlage des Geschäftsberichts bereits im April abgelaufen ist, prüft die Frankfurter Wertpapierbörse schon seit dieser Zeit die Einleitung eines Sanktionsverfahrens. Bei Verstößen gegen Börsenpflichten droht Wirecard ein Bußgeld von bis zu einer Million Euro – ein unmittelbares Herausfallen aus dem Dax aber nicht. (and, APA, 19.6.2020)