Karl Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister und Gründer der Christlichsozialen Partei, er instrumentalisierte den Antisemitismus.

Foto: Christian Fischer

Seit Black Lives Matter um die Welt geht, werden die Proteste von einer lauten Debatte rund um rassistische, kolonialistische oder anderwertig problematische Denkmäler begleitet. Auch in Wien gibt es genug Gründe zur Diskussionen, sie kommen in Form von Statuen, Straßenschildern und Figuren daher.

Kolumbus in mehreren Städten entfernt

Doch erst ein Blick ins Ausland, wo der Anfang der neuerlichen Stürme auf Denkmäler liegt. Der gewann spätestens Ende Mai an Geschwindigkeit, als die Statue des polnischen Freiheitshelden Tadeusz Kościuszko besprüht wurde. Wenige Tage später ordnete etwa der US-Staat Virginia die Entfernung von einem Denkmal für den Südstaatengeneral im amerikanischen Bürgerkrieg, Robert E. Lee, an.

Am 8. Juni dann erreichten spektakuläre Bilder aus Bristol die Medien: Black-Lives-Matter-Demonstranten stürzten eine Statue des ehemaligen Sklavenhändlers Edward Colston und versenkten sie im Avon. Auch Amerika-Entdecker Christopher Kolumbus landete in Richmond in einem See. In Boston wurde eine Statue des Seefahrers, der für seine Gewalt gegenüber amerikanischen Ureinwohnern kritisiert wird, enthauptet. Erst in der Nacht auf vergangenen Freitag ließ die Stadt San Francisco eine Kolumbus-Staute abbauen – zwei Tonnen Material wurden weggeschafft. Und am Freitagabend war auf Fernsehbildern zu sehen, wie die Statue von Südstaaten-Gerneral Albert Pike in Washington mit Seilen von seinem Sockel gerissen und angezündet wird.

Farbe auf Antisemiten

Und in Wien? Da machten am 10. Juni Bilder von rosa Farbe auf dem Dr.-Karl-Lueger-Denkmal am Wiener Stubenring die Runde, verbreitet wurden sie unter anderem von Aktivisten via Twitter. Tatsächlich wurde deswegen Anzeige bei der Polizei erstattet, wegen schwerer Sachbeschädigung, wie es von einem Polizeisprecher heißt. Näheres dazu sei nicht bekannt. Zu Beginn der Woche landete im steirischen Hartberg roter Lack auf einem Denkmal des "Hakenkreuzlied"-Dichters Ottokar Kernstock, die Polizei bat um Hinweise zur Tat. Am Freitag veröffentlichten Medien erneut Bilder von einem besprühten Lueger. Dieser war von 1897 bis 1910 Bürgermeister von Wien.

Es ist nicht neu, dass Denkmäler aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Der Begriff des Ikonoklasmus – die Zerstörung von Heiligenbildern – stammt aus der christlichen Tradition. Im Verlauf der Kirchenspaltung zwischen Byzanz und Rom entwickelte die Ostkirche ein bis heute gültiges Regelwerk für religiöse Abbildungen und verbannte Bildwerke aus den Kirchen, erklärt Andreas Pribersky, Politikwissenschafter an der Uni Wien. Die Reformation habe an diese Tradition angeschlossen und religiöse Abbildungen aus den Kirchen entfernt – die Umwandlung katholischer in reformierte Kirchen in den Niederlanden oder der Schweiz war deshalb mit einem "Bildersturm" und der Zerstörung einer Reihe von Bildwerken verbunden.

"In der Politik ist das Ausgangsdatum dafür die Französische Revolution", sagt Pribersky. Da sei es darum gegangen, ein neues politisches System auch im öffentlichen Raum sichtbar zu manchen: "Wenn wir eine Republik haben und spazieren gehen, wollen wir nicht über einen König nach dem anderen stolpern." In Österreich ließen später etwa die Austrofaschisten das Denkmal der Republik abtragen. Noch später entfernten die Nazis "alles, was ihnen nicht passte", sagt Historiker Peter Autengruber vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Auch nach der Wende fielen kommunistische Denkmäler in mehreren Ländern.

Zwei Seiten des Lueger

Angesprochen auf die aktuellen Bilder umstürzender Statuen, sagt Autengruber: "Das finde ich nicht okay." Man solle Statuen vielmehr in ein Depot stecken "und sich überlegen, was man damit macht". Lueger müsse man ambivalent sehen: Ja, er habe den Antisemitismus instrumentalisiert, aber er habe auch vieles für Wien geleistet, etwa im öffentlichen Verkehr und in der Gasversorgung. Autengruber fordert eine künstlerische Intervention, eine differenzierte Erklärung für die zwei Seiten Luegers.

Die künstlerische Neufassung des Siegfriedskopfes, sie wurde durchgeführt von Bele Marx und Gilles Mussard im Jahr 2006.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Vom Burschenschaftler-Treffpunkt zur Aufarbeitungsstätte

Wie so eine künstlerische Intervention aussehen kann, zeigt der Siegfriedskopf an der Uni Wien. Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg aufgestellt und während des Nationalsozialismus zum "zentralen Symbol für diese Vorstellung vom kämpfenden Studenten und seines Heldentods", wie es in einer Aufarbeitung der Uni Wien heißt. Noch Jahrzehnte später bummelten Burschenschafter rund um den Siegfriedskopf in der Aula. 2006 wurde die Statue abgebaut, in ihre Einzelteile zerlegt und in den Arkadenhof geschafft. Jeden Teil ummanteln nun Glasscheiben, darauf geschildert werden "antisemitische Übergriffe an der Universität Wien in den 1920er-Jahren, die vor allem die Gruppe zu verantworten hat, die den Siegfriedskopf finanzierte", schreiben die Gestalter.

Personen, die Wiens Straßenbild prägen, gebe es viele diskutierenswerte, sagt Historiker Autengruber. Etwa der Heerführer Graf Radetzky, ein Denkmal von ihm steht unweit von Lueger vor dem Sozialministerium. Auch da fordert Autengruber eine künstlerische Auseinandersetzung, "immerhin hat er die Revolution in Italien blutig niedergeschlagen". Für das sogenannte Russendenkmal, das eigentlich Befreiungsdenkmal heißt und am Schwarzenbergplatz steht, da wäre eine "positive Erklärung fällig", sagt der Historiker. Man müsse klar sehen, "dass die sowjetische Armee die Befreier waren", sagt er, "doch das, was danach passiert ist, die Vergewaltigungen", auch das müsse man thematisieren.

Straßen, benannt nach Nazis

Und doch gibt es Namen in Wiens Straßen, die der Historiker gänzlich löschen würde. Maria Grengg etwa, einer Autorin, die "ihr gesamtes Werk in den Dienst der Nazis stellte", wie Autengruber sagt. Nach ihr ist eine Gasse in Wien-Liesing benannt. Oder Josef von Manowarda, er war österreichischer Opernsänger und in der NSDAP aktiv – Hitler soll großer Fan von ihm gewesen sein. Nach ihm ist seit 1960, ebenfalls in Liesing, eine Gasse benannt. Die Liste ist lang: Da gibt es noch die Kloepferstraße im 22., benannt nach Hans Kloepfer, steirischer Gstanzl-Dichter und "Nazi bis zum Schluss", sagt Autengruber. Oder die Sebastian-Brunner-Gasse im 13., benannt nach einer Schlüsselfigur im katholischen Antisemitismus, wie Autengruber in seinem Lexikon der Wiener Straßennamen anführt.

Schon im Jahr 2013 setzte sich eine Historikerkommission mit problematischen Straßennamen Wiens auseinander, sie erstellten eine Shortlist besonders kritischer Namen. 159 diskutierenswerte Personen fand man da auf Wiens Straßenschildern, das sind fast vier Prozent aller personenbezogenen Namen von Wiener Straßen, Plätzen und Parks. Bei einigen wurden in den Monaten und Jahren danach Zusatztafeln angebracht, auch etwa bei Grengg, Brunner und Manowarda. Ein Zusatzschild ist übrigens auch bei der Lueger-Statue angebracht.

Keine Änderungspläne für Lueger

Es ist ein schleppender Prozess, das Straßenbild zu verändern, sowohl bei Namen als auch bei Denkmälern. Werden zweitere abgebaut, verschoben oder musealisiert, dann, so sagt Politikwissenschafter Pribersky, ist das ein Spiegel von gesellschaftlichen Entwicklungen. Und damit ein langwieriger Prozess, "der immer wieder bestimmte Stationen in der Entwicklung von Interressengruppen und deren Gewicht in der öffentlichen Meinung abbildet". Kurz: Das dauert, egal in welchem Land.

Würde man den Abriss von Lueger, wie er etwa aktuell in einer Petition gefordert wird – auf legalem Wege –, tatsächlich anpacken wollen, wäre die Stadt Wien am Zug. Sie müsste als Eigentümerin einen Veränderungs- oder Aufhebungsantrag an das Bundesdenkmalamt (BDA) stellen – die Statue steht unter Denkmalschutz. Das BDA prüft dann, ob die geplanten Maßnahmen denkmalverträglich sind, und entscheidet "im Rahmen einer Abwägung der im Verfahren vorgebrachten Interessen", heißt es vom BDA. Dann erarbeiten Experten und Antragsteller Lösungen für eine "denkmalverträgliche Umsetzung des Vorhabens gemäß den Standards der Denkmalpflege", so eine Sprecherin des BDA.

Nur: Beim BDA ist bisher kein derartiger Antrag eingegangen, die Stadt plant weder die Verlegung noch den Abbau. Lueger sei zwar eine "höchst umstrittene, widersprüchliche und ambivalente Figur, die in der Geschichte der Stadt als Bürgermeister und Kommunalpolitiker sowie Antisemit eine zweifelhafte Rolle gespielt hat", heißt es in einem Statement des zuständigen Magistrats, doch man wolle Geschichte weder "verleugnen noch umschreiben oder gar auslöschen". (Gabriele Scherndl, 21.6.2020)