Sieht man sich sein Video an, kann man den Eindruck gewinnen, Valentino Lazaro sitzt in der Badewanne. Der Schein trügt. Ende Mai: Die Proteste in den USA gegen Polizeigewalt und gegen Rassismus dehnen sich auch nach Europa aus. Dem ÖFB-Teamspieler "reicht es": Er nimmt sein Handy und spricht in einem Video über die Proteste, über Rassismus und das Gegenteil von nobler Zurückhaltung in den sozialen Medien. Am Sonntag trifft er in der Premier League mit Newcastle auf Sheffield United.

STANDARD: Sie sind in Newcastle, das nicht unbedingt ein Spektakel von einer Stadt ist. Die Premier League ist seit Anfang März unterbrochen. War Ihnen sehr fad?

Valentino Lazaro: Ich hatte ja nicht komplett frei, es gab ein Programm, das zu absolvieren war. Natürlich war die Situation ungewohnt und auch anstrengend. Aber als Spieler ist man ja in einer guten Position. Wir mussten nicht um unseren Job fürchten wie jemand, der einer normalen Arbeit nachgeht. Es gibt ja viele, die ihren Job verloren haben.

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Valentino Lazaro spielt ab Sonntag wieder in der Premier League. Er ist bis Saisonende von Inter Mailand an Newcastle United verliehen.
Foto: Reuters/Andrew Boyers

STANDARD: Die Reisefreiheit war stark eingeschränkt, Sie haben noch keine eigene Familie. Waren Sie einsam?

Lazaro: Nein, ich habe meinen besten Freund hier, der wohnt mit mir. Aber es war schon eine komische Situation, weil viele Spieler ihre Familie da haben und ich eben weg bin, in einem anderen Land. Das war schon hart. Jetzt bin ich froh, dass es wieder losgeht.

STANDARD: Was sind die Ambitionen für die restlichen Partien?

Lazaro: Wir wollen die Saison so gut wie möglich beenden. Wenn wir gut starten, können wir nach oben schauen. Vielleicht Top Ten. Es wird sicher ein bis zwei Spiele dauern, bis wir uns auf die Situation eingestellt haben. Ich hoffe, dass ich selbst so viel und so gut wie möglich spielen kann.

STANDARD: Liverpool ist quasi Meister. Was macht sie so besonders?

Lazaro: Man hat gesehen, dass Jürgen Klopps Arbeit dort herausragend ist. Sie haben einerseits natürlich sehr gute Spieler, aber eben auch einen sehr guten Trainer, der das mit der Teamchemie gut hinbekommt. Das sieht man.

STANDARD: Man hört bei Spielerinterviews immer wieder "Wir verstehen uns alle sehr gut. Die Chemie passt." Ist das auf diesem Level wirklich so entscheidend?

Lazaro: Ja, ist es. Wenn man merkt, dass jeder gerne hinkommt, macht das den großen Unterschied. Natürlich braucht es Topspieler, aber wenn die nur für sich selbst spielen, funktioniert es nicht. Der Spaß ist mitentscheidend.

STANDARD: Sie waren länger in Deutschland bei der Hertha, dann in Italien bei Inter und jetzt bei Newcastle in der Premier League. Jede Liga hat ihre Klischees. Stimmen die?

Lazaro: Ja, und diese Stereotype sind bekannt. Ich persönlich habe es auch so wahrgenommen. In Deutschland war es erstmals die große Fußballbühne. Italien ist sehr taktisch. In England gibt es sehr viel Lauffußball, der Kampf ist wichtig.

STANDARD: Als Fußballer ist man oft an Weggabelungen in der Karriere. Würden Sie etwas anders machen?

Lazaro: Nein, auf keinen Fall. Ich war in Salzburg schon jung als Profi und hatte aber auch mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Es gab einige, die gesagt haben, dass aus mir nichts mehr wird, weil ich zu verletzungsanfällig bin.

STANDARD: Das hat sich ja nicht bewahrheitet.

Lazaro: Heute stehe ich da, spiele auf der großen Fußballbühne, bei Topvereinen, und mir geht es gut. Ich bin glücklich und stehe hinter allen meinen Entscheidungen.

STANDARD: Der Schritt von Hertha BSC zu Inter Mailand war ein großer. Vielleicht zu groß?

Lazaro: Nein, ich habe mich in Mailand sofort wohlgefühlt. Am Anfang hatte ich leider kleine Muskelprobleme, dadurch bin ich zu Saisonstart aus der Startelf gerutscht. Das Problem war vielleicht, dass wir zu gut waren, also alles gewonnen haben. Dadurch gab es für den Trainer wenige Gründe zu wechseln. Bei meinen Einsätzen habe ich aber gute Kritiken bekommen. Trainer Conte hat auch zu mir gesagt, dass er mir gerne mehr Einsatzzeit geben würde, aber es zu dieser Zeit einfach schwierig war.

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Lazaro war auch im Inter-Dress hinter dem Ball her.
Foto: AP/Bruno

STANDARD: Dann kam das Leihgeschäft mit Newcastle.

Lazaro: Ich wollte vor der Euro unbedingt mehr spielen, es gab ein paar Optionen, und ich habe mich für die Premier League entschieden, weil ich noch einmal etwas Neues machen wollte. Dann kam das Virus und diese komische Situation jetzt.

STANDARD: Das Fußballgeschäft ist für seine Schnelllebigkeit bekannt. Sie sind 24, vor zwölf Jahren waren Sie noch in Graz. Hat man Zeit und Muße zu reflektieren?

Lazaro: Es ist verrückt, wenn man zurückdenkt, wo man herkommt und wo man jetzt ist. Aber in meinem Kopf war immer nur Fußball. Ich bin mit 14 nach Salzburg gekommen, und dann ging alles sehr schnell.

STANDARD: Gab es einen Plan B?

Lazaro: Nein. Immer nur Fußball, Fußball, Fußball. Ich habe bis zu meinem 18. Lebensjahr nicht einmal gewusst, dass es andere Jobs gibt.

STANDARD: Das sagen quasi alle Fußballer.

Lazaro: Vielleicht ist es wirklich so, dass man es nicht schafft, wenn man andere Interessen hat. Die Decke im Profifußball ist dünn.

STANDARD: Wie geht es weiter?

Lazaro: Der Leihvertrag mit Newcastle wurde bis zum Saisonende verlängert. Dann werde ich weiterschauen, ob ich hier bleibe, zurück nach Mailand gehe oder zu einem anderen Verein wechsle.

STANDARD: Sie haben kürzlich ein Video zu den Black-Lives-Matter-Protesten gepostet, das für einen Fußballer ungewohnt direkt und deutlich war. Wie kam es zu dem Video?

Lazaro: Ich habe gesehen, dass sich viele Sportler und öffentliche Personen im Kollektiv geäußert haben, nur wenige haben das individuell getan. Ich habe mir gedacht: "Es reicht", das Handy genommen und das Video aufgezeichnet. Vielleicht kann ich meine Plattform nutzen, um wenigstens ein paar Leute zu erreichen – und dass ein Umdenken stattfindet. Ich habe das mit niemandem abgesprochen und mir auch keine Gedanken dazu gemacht, was kommt gut an, was kommt schlecht an. Es war mir egal, was das mit meinem Image macht, weil es mir einfach wichtig war.

STANDARD: Wie waren die Reaktionen?

Lazaro: Positiv. Aber auch wenn's nicht so wäre: Das ist meine Meinung, und ich stehe für das ein.

STANDARD: Sie sagen im Video auch "Ihr werdet denken, nicht schon wieder ein Video über Rassismus".

Lazaro: Es wurde schon so viel darüber geredet, wo Rassismus beginnt und wo sich Menschen, die anders aussehen, ausgeschlossen fühlen. Die komischen Blicke, die Kommentare bis hin zum Extrem, also das, was in Amerika gerade passiert. Es sind Erfahrungen, die man, wenn man sie selbst nicht erlebt hat, nicht verstehen kann. Ich mache aber niemandem einen Vorwurf, der das nicht unmittelbar sieht, aber vielleicht muss man auf die Mitmenschen hören und ihnen glauben.

STANDARD: Marcus Rashford hat mit seiner Initiative für eine kleine Kurswende in der britischen Politik gesorgt. Fußballer haben also durch ihre Öffentlichkeit einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft. Warum wird das so selten genutzt?

Lazaro: Viele Fußballer wollen ihre Marke, ihr Image schützen. Die Personen in ihrem Umfeld bestärken das. Oft bleibt der Mensch da auf der Strecke und er muss selbst sagen: "Ich bin alt genug, um meine Meinung zu vertreten." Wenn es positiv ankommt, gut, wenn nicht, kann ich mir aber auch keine Vorwürfe machen, weil ich mich nicht verstellt habe. Aber vielleicht hat nicht jeder das Selbstvertrauen.

STANDARD: Aus Österreich kam von anderen Sportgrößen nicht sehr viel zu dem Thema. Hat Sie das enttäuscht?

Lazaro: Nein, überhaupt nicht. Die Entscheidung liegt bei jedem Einzelnen, ob er sich dazu äußert. Die Proteste weltweit, auch in Österreich, haben mich dennoch mit Stolz erfüllt. Man sieht, dass die große Masse weiß, was richtig ist, und bereit ist, dafür einzustehen. Das macht einen stolz.

STANDARD: Wären Sie in einer Welt ohne Corona zu Protesten auf die Straße gegangen?

Lazaro: Es wäre auf jeden Fall die Überlegung wert gewesen, dass ich meine Plattform so nutzen kann und rausgehen kann, um zu zeigen, dass ich mich dafür einsetze.

STANDARD: Rassismus ist und bleibt ein Thema im Fußball. Was waren Ihre Erfahrungen im Profi-Umfeld?

Lazaro: Ich persönlich habe keine unmittelbaren Erfahrungen gemacht, aber ich glaube, bei der Auswärtspartie mit Inter in Cagliari gab es eindeutige Rufe gegen Romelu (Lukaku). Es ist wichtig, dass wir im Sport Zeichen setzen. Es ist nicht mehr die Zeit, still zu sein und zu hoffen, dass sich etwas verändert.

STANDARD: In Ihrem Video sprechen Sie die Zurückhaltung direkt an.

10. Oktober 2019: Lazaro trifft gegen Israel zum 1:1.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Lazaro: Es gibt so viele einflussreiche Menschen in den sozialen Medien, die sich bei unzähligen unnötigen Themen einmischen und eine Meinung dazu haben. Und jetzt, wo es wirklich zählt, sind sie plötzlich still. Wenn du es sonst auch immer schaffst, deinen Mund aufzumachen, dann mach das jetzt auch – und setze deine Plattform positiv ein.

STANDARD: Was sagen Sie Leuten, die Sportlern entgegnen, dass sie sich zu Sportthemen äußern sollen und nicht zu gesellschaftspolitischen?

Lazaro: Das prallt an mir ab, denn ich werde mich trotzdem äußern. Zuerst bin ich Mensch und dann Fußballer. Und ich kann zu diesen Themen genauso etwas sagen wie jeder andere. Wenn ich am Vortag fünf Eigentore schieße und am nächsten Tag sage, dass Rassismus falsch ist, ist das unabhängig voneinander. Jeder Mensch, der etwas Positives zur Gesellschaft beitragen will, soll auch das Recht dazu haben. (Andreas Hagenauer, 21.6.2020)