Im Gastkommentar spricht sich Pastoraltheologe und Werteforscher Paul M. Zulehner für breite Partizipationsmöglichkeiten aus, wie etwa ein "Kirchenparlament".

Als die Zeit von Kardinal Franz König zu Ende ging, endete eine Ära in der Kirche Österreichs. Dann kam, wie es Bischof Egon Kapellari spirituell formuliert hatte, der Karfreitag der Ortskirche. Rom intervenierte – gestützt auf einen Bericht vom damaligen Nuntius Mario Cagna über die desaströse Entwicklung unter Kardinal König – mit einer Serie von Bischofsernennungen: Hans Hermann Groër, Klaus Küng, Georg Eder, Kurt Krenn und Andreas Laun. Das Kirchenvolks-Begehren von 1995 signalisierte den breiten Unmut der Katholikinnen und Katholiken des Landes gegen diesen "neuen Kirchenkurs".

Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner ist neuer Vorsitzender der römisch-katholischen Österreichischen Bischofskonferenz und folgt damit Kardinal Christoph Schönborn (vorne) nach.
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Umsicht und Einfühlungsvermögen

In dieser dunklen Zeit hatte mich der Publizist Otto Schulmeister zu einem abendlichen Gespräch eingeladen. Er wollte von mir wissen, ob ich mir Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien vorstellen könne. Es müsse jemand gefunden werden, der die Kirche aus der selbstgemachten Krise führen könne. Wir hatten uns mit unserer Einschätzung damals nicht getäuscht. Christoph Schönborn gehörte alsbald zu den vier Bischöfen, die öffentlich erklärten, dass an den Vorwürfen gegen Kardinal Groër etwas dran sei. Der Versuch, mit dem Volksbischof Johann Weber und dem Dialog für Österreich die missliche Lage aufzuarbeiten, wurde von Rom jäh beendet. Der Dialog für Österreich fand nur einmal in Salzburg statt und schrumpfte zu einem Dialog für das Burgenland, was Bischof Paul Iby massive Kritik aus dem Vatikan und wenig Rückenwind aus Wien eintrug.

Die Amtszeit von Christoph Schönborn hatte mutig begonnen. Dabei ist Mut nicht unbedingt Schönborns Primärstärke. In seinem kirchenpolitischen Handeln ist er eher zögerlich und zaudernd. Er hat dies stets ausgeglichen durch Umsicht und hohes Einfühlungsvermögen. Er ist ein ausgezeichneter Seelsorger, sei es im Umgang mit den vielfach diskriminierten Homosexuellen oder auch mit Priestern, die mit der zugemuteten Lebensform haderten. Er weiß auch aus seiner eigenen Familie, dass der Wert eines Menschen nicht vom Gelingen einer Ehe abhängig gemacht werden kann. Hier lag er klar auf der Linie von Kardinal König und Helmut Krätzl. Er unterstützte die Position, dass für Geschiedene, die wieder heiraten, im Einzelfall eine Integration in die volle Kommuniongemeinschaft möglich sei. Er konnte unter Papst Franziskus dazu beitragen, dass diesem pastoralen Weg endlich auch weltkirchlich nicht mehr widersprochen wurde.

Den Rahmen reformieren

Christoph Schönborn ist ein exzellenter Dogmatiker. Papst Benedikt XVI., mit dem Schönborn eng befreundet ist, nützte seine theologische Tiefe und machte ihn zum Redaktor des Katechismus der katholischen Kirche. Der polyglotte Kardinal war weltkirchlich sehr präsent, manche handelten ihn sogar als papabile. Wie schon Kardinal König liebte auch Kardinal Schönborn das weltkirchliche Parkett mehr als die ortskirchlichen oder gar erzdiözesanen Niederungen. Kardinal König konnte sich dies leisten, weil er mit Erzbischof Franz Jachym einen starken Mann zur Seite hatte. Vielleicht ist das eine der Kernschwächen von Kardinal Schönborn, dass starke Persönlichkeiten in seinem Umfeld selten sind und, wenn sie sich dazu entfaltet haben (wie Helmut Schüller), alsbald mit anderen Aufgaben betraut wurden.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in der dem Kardinal zunehmend leidigen diözesanen Strukturreform. Der Kardinal setzte auf eine Steuerungsgruppe, in der die spirituelle Bewegung Emmanuel mehr zu sagen hat(te) als pastoral erfahrene Persönlichkeiten. Die frankophile Vorliebe des Kardinals für "geistliche Bewegungen" erklärt, warum ihm die Wertschätzung der Pfarrgemeinden oder der oft übersehenen Orden oder der Katholischen Aktion unentwegt abgerungen werden musste. Das Downsizing des sterbenden Kirchenbetriebs eröffnet noch keine gute Zukunft. Es reicht nicht mehr, im Rahmen zu reformieren. Man muss vielmehr den Rahmen reformieren und erneut den Tiefgang des Evangeliums erreichen. Hier blieb, nach eigenen Worten im Radiocafe, der Kardinal "dreißig Jahre lang zu feig".

Dramatische Umbauzeit

Angesichts dieser Lage hat der von seiner Krankheit belastete Kardinal den Vorsitz der Bischofskonferenz an Franz Lackner übergeben. Die apostolische Visitation in Gurk-Klagenfurt ist diesem gut gelungen, weil er sich fähige Leute in sein Team geholt hatte, allen voran den einfühlsamen Benno Elbs.

"Setz weiter auf breite Beratung!", möchte man ihm zurufen. Denn Österreichs Kirche steckt, so die Langzeitstudie "Religion im Leben der Österreicher*innen 1970–2020", in einer dramatischen Umbauzeit. Diese kann nur mit breiter Partizipation gemeistert werden. Nur wenn viele Kirchenmitglieder mitgestalten und mitentscheiden können, werden sie sich künftig identifizieren und engagieren. Papst Franziskus hat dies klar erkannt, wenn er auf den Ausbau der Synodalität setzt.

Für "Kirchenparlament"

Österreichs Kirche braucht erheblich mehr Synodalität, und das nicht als Einmalevent, sondern als Dauereinrichtung: gut geleitete, institutionalisierte Synodalität also. Warum sollte sich die Kirche in Österreich nicht eine Art "Kirchenparlament" einrichten, in dem alle gemeinsam beraten und entscheiden? Die Bischöfe müssten von Amts wegen lediglich darauf achten, dass die Beschlüsse in der Spur des Evangeliums bleiben. Dass nur sie über das Geld verfügen, davon steht nichts im Evangelium.

Auf diese Weise kann es, ganz im Sinn von Papst Franziskus, geschehen, dass in Österreich neuerlich etwas beginnt, was erst nach Jahren weltkirchliche Akzeptanz findet – zum Beispiel die Weihe von bewährten Person für lebendige Gemeinden. Das Argument, dass wichtige Fragen nur in weltkirchlichem Gleichschritt gelöst werden können, sticht unter Papst Franziskus nicht mehr. Amazonien wird seinen Weg finden. Und die Kirche in Österreich auch. Der bisherige Zentralismus ist eine Hauptursache der Stagnation. Und dass, so der große Kardinal Martini, die Kirche zweihundert Jahre zurück ist. Vielleicht kann Papst Franziskus eines Tages schreiben "Querida Austria!" – und uns dafür loben, dass wir mutig vorangegangen sind. (Paul M. Zulehner, 20.6.2020)