Innerhalb von zwei Tagen einigte sich die türkis-grüne Regierungskoalition darauf, das Hilfspaket für die Wirtschaft nochmals ordentlich aufzustocken.

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Am Ende ist alles schnell gegangen. Innerhalb von zwei Tagen einigte sich die türkis-grüne Regierungskoalition darauf, das Hilfspaket für die Wirtschaft nochmals ordentlich aufzustocken. Bei der Aufzählung der bisherigen und neu dazugekommenen Maßnahmen kann einem schwindlig werden.

Zehn Milliarden für die Kurzarbeit sind schon zugesagt. Eine Milliarde bekommen Gemeinden, eine weitere Milliarde gibt es aus dem Härtefallfonds für Unternehmen. 1,6 Milliarden Euro kostet die Senkung der ersten Stufe der Einkommenssteuer, 360 Millionen der neue Kinderbonus.

Wenn man sich jede dieser Ausgaben als Fluss vorstellt, könnte man sagen: Die Regierung hat alle Schleusen geöffnet, um einen großen See zu befüllen. Auf 50 Milliarden Euro summieren sich die Hilfen.

Aber: Nicht all die Mittel fließen tatsächlich, manche Zuflüsse zum See sind noch trocken. So sind in die Gesamtsumme der Hilfen sieben Milliarden Euro an Garantien eingerechnet, die der Staat dafür vergibt, dass sich Unternehmen bei privaten Banken Kredite nehmen. Im Idealfall, wenn die Unternehmen diese Darlehen zurückzahlen, werden diese Garantien nie schlagend.

Mindestens noch einmal sechs Milliarden bestehen aus Steuerstundungen, die der Staat Firmen gewährt hat. Auch dieses Geld ist noch nicht für den Fiskus verloren, weil die Steuern nachbezahlt werden müssen. Aber sogar wenn man diese Posten von der Gesamtsumme voll abzieht, bleiben gut 37 Milliarden Euro übrig.

Woher kommt dieses Geld, was findet man, wenn man stromaufwärts reist und die Quellen sucht? Die erste Station der Reise führt zu Markus Stix.

Der erste Zufluss

Das Finanzministerium mag zwar die Millionen an Unternehmen und Familien auszahlen. Doch Stix ist dafür verantwortlich, dass die Republik genug liquide Mittel hat: Der Manager verantwortet bei der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur alle Geldoperationen. Die vergangenen Wochen waren hektisch für ihn.

Die Zinslast Österreichs sinkt schon seit Jahren kontinuierlich.

Österreich wird krisenbedingt deutlich weniger einnehmen, als es ausgeben muss. Stix ist operativ dafür verantwortlich, diese Lücke zu schließen. Etwas mehr als 32,5 Milliarden Euro sollten er und sein Team für die Republik 2020 am Markt auftreiben. So war es zu Jahresbeginn geplant. Aktuell, als Folge der Krise, sind schon 60 Milliarden avisiert. Es könnten noch mehr werden. Noch sind nicht alle Maßnahmen der Regierung berücksichtigt. Dafür könnte manches, was geplant ist, weniger kosten.

26 Milliarden Euro hat die staatliche Finanzierungsagentur heuer an Krediten am Markt schon aufgenommen: Die Agentur begibt dafür Anleihen, das sind handelbare Schuldscheine, also Wertpapiere. Investoren bezahlen dafür. Im Gegenzug verspricht der Staat ihnen, die Gesamtsumme in fünf, zehn, 30 oder selten auch in 100 Jahren zurückzuzahlen. Dafür bekommen Investoren Zinsen – dazu später.

Ein neuer Zufluss gewinnt an Bedeutung

Fonds, Versicherungen und Pensionskassen aus dem In- und Ausland kaufen üblicherweise die Papiere der Republik. So war das auch in den vergangenen Monaten. Bei Pensionskassen ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sie in sichere Staatspapiere investieren müssen. Österreich ist ein sicherer Schuldner. Das ist also die erste und übliche Quelle für den Geldfluss.

Ungewöhnlich kräftig eingekauft haben zuletzt ausländische Notenbanken, etwa aus der Schweiz, Japan, Saudi-Arabien oder China. Zwanzig Prozent aller Kredite für Österreich kamen heuer von ihnen. Notenbanken kaufen ausländische Anleihen, um den Wert der eigenen Währung zu drücken oder um Geldreserven sicher anlegen zu können. Letzteres ist in aktuell turbulenten Zeiten offenbar besonders gefragt.

Auch heimische Banken halten mehr Staatsanleihen in ihren Büchern als zuvor. Der Grund dafür ist, dass die Bürger sparen.

Die Geschäfte waren im März und April geschlossen, die Kunden konnten keine Autos kaufen oder in Einkaufsstraßen flanieren. Zugleich wird weniger Geld ausgegeben, weil die Krise für Unsicherheit sorgt: Wer Angst hat, seinen Job zu verlieren, ist weniger spendabel. Im Schnitt der vergangenen Jahre haben Haushalte in Österreich sieben bis acht Prozent ihres Einkommens gespart. Laut der Oesterreichischen Nationalbank werden es heuer 13 Prozent werden.

Für die Wirtschaft ist das schlecht, weil das Geld nicht in Konsum oder Investitionen fließt. Die Mittel landen oft auf dem Konto, Österreicher sind Aktienmuffel. Die Banken wollen das Geld aber nicht horten, weil sie dafür Strafzinsen bei der Europäischen Zentralbank zahlen. Sie legen es also an, etwa in sichere Staatsanleihen wie österreichische. Dieses Phänomen vollzieht sich weltweit: In allen Industrieländern steigt die Sparquote.

Die erste Geldquelle waren Fonds und Versicherungen, dann ausländischen Notenbanken. Die dritte sind private Sparer. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Die wichtigste Quelle liegt woanders.

Wenn Österreich eine Anleihe begibt und Banken wie Nomura, Barclays, Deutsche, JPMorgan oder die Erste zuschlagen, halten sie einen großen Teil der Papiere nur kurz. Sie geben der Republik Geld, holen es sich aber bald zurück, indem sie die Papiere am Markt wieder verkaufen. An wen? An die Republik. An Thomas Steiner.

Er und sein Team aus einer Handvoll Wertpapierhändlern bei der Oesterreichischen Nationalbank haben in den vergangenen sechs Monaten fast zehn Milliarden Euro neu in österreichische Staatsanleihen investiert. Wir erinnern uns: 26 Milliarden Euro hat die Republik sich an Geld heuer ausgeborgt. Mehr als ein Drittel davon kam also von der eigenen Notenbank.

Eine unendliche Quelle ...

Steiner und seine Kollegen nehmen das Geld aus dem Nichts: Sie schöpfen es, wie Notenbanker dazu sagen, erschaffen es neu per Knopfdruck. Das machen sie natürlich nicht auf eigene Faust. Die Europäische Zentralbank hat als Antwort auf die Krise ein Notprogramm, das Pandemic Emergency Purchase Programme, aufgelegt.

Im Wert von 1350 Milliarden Euro kaufen die Notenbanken des Eurosystems bis Juni 2021 Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen. Die Aktivitäten der Oesterreichischen Nationalbank sind ein Teil davon. Mit dem Geld soll die Inflation in der Eurozone auf beinahe zwei Prozent angehoben werden.

Die Oesterrichische Nationalbank kauft im Auftrag der EZB Staatsanleihen Österreichs.

Wobei in der Eurozone wie in den meisten anderen Ländern gilt, dass die Zentralbanken nicht direkt vom Staat kaufen, sondern über den Umweg privater Investoren. In normalen Zeiten soll das eine Kontrolle ermöglichen: Die Banken werden nur solchen Staaten günstig Geld geben, denen sie vertrauen, die also vernünftig wirtschaften, so die Idee. "Aktuell ist dieser Mechanismus weitgehend ausgesetzt", sagt Patrick Krizan, Analyst bei der Allianz Versicherung.

Die Hälfte der staatlichen Schulden von entwickelten Ländern halten derzeit öffentliche Institutionen wie Notenbanken. Das ist ein Rekord. Neben der EZB kaufen auch andere Notenbanken wie die Fed in den USA, die Bank of Japan oder die Bank of England massiv staatliche Schuldscheine auf. Eine Folge davon ist, dass die Zinsen weiter gesunken sind.

... befüllt den See am schnellsten

Da global zu viel gespart wird, werden Zinsen ohnehin seit Jahrzehnten tiefer und tiefer. Die Notenbanken verstärken diesen Trend nur: Bei viel Nachfrage nach Anleihen steigen die Kurse der Papiere, dadurch sinken automatisch die Zinsen dafür. Das hat zur Folge, dass aktuell die höhere Verschuldung durch Corona keine Rolle spielt.

Österreich zahlt auf die bisher 2020 aufgenommenen Kredite im Schnitt leicht negative Zinsen. Sprich: Gläubiger geben uns sogar Geld, damit wir uns verschulden. Wenn bei manchen Anleihen doch Zinsen anfallen, dann landet das Geld dafür dennoch wieder beim Staat. Da wir einen großen Teil der Schulden bei uns machen, zahlen wir auch Zinsen zu einem Teil an uns.

Der Geldkreislauf ermöglicht es also, aktuell dringend benötigte Summen für die Wirtschaft zum Nulltarif bereitzustellen.

Was sind die Schattenseiten?

Im Idealfall wachsen Industrieländer aus den Schulden heraus, wenn die Pandemie vorbei ist. Ein Risiko ist, dass das Finanzsystem instabiler wird, wie Analyst Krizan sagt. Zinsen werfen heute nur noch riskante Wertpapiere ab: Investoren müssen also, um Rendite zu finden, mehr Risiko suchen. Die große Unbekannte ist die Inflation. Sollte 2021 die Wirtschaft in die Gänge kommen, Unternehmen und Kunden wieder konsumieren und investieren, könnten dann die Preise rapide zu steigen beginnen?

Es ist mehr Zentralbankgeld im Umlauf. Wenn Löhne und die Kreditnachfrage des Privatsektors kräftig zulegen, bestünde das Risiko. Ökonomen wie Barry Eichengreen von der University of Berkeley sehen ein solches Szenario nicht in naher Zukunft. Die Wunden durch die Pandemie seien zu tief. Bis die Krise überwunden ist, werde es dauern. (András Szigetvari, 20.6.2020)